Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Wahrheit über Beuys und seine Hasenliebe
Im Beuys-Jubiläumsjahr und in der Beuys-Geburtsstadt Krefeld fragen wir: Wie geht es eigentlich dem Feldhasen, diesem für Beuys' Werk so wichtigen Totem-Tier? Eine Erkundung über den Abstand von Kunst und Leben.
Im Beuys-Jahr sollte man in der Beuys-Jubiläumsstadt Krefeld nach ihm fragen dürfen, ja müssen: Wie geht es eigentlich dem Feldhasen, diesem so wichtigen Totem-Tier von Joseph Beuys? Der Künstler hat bekanntlich mit einem toten Vertreter dieser Tierart 1965 in einer kleinen Düsseldorfer Avantgarde-Galerie eine aufsehenerregende Aktion veranstaltet – Titel: „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt.“Sie gilt als ein Höhepunkt von Beuys' Aktionskunst. Die Zuschauer mussten draußen bleiben und konnten durch die Scheibe mitverfolgen, wie der Künstler einen echten toten Hasen an Bildern vorbeitrug, ihm Kunst erklärte, dazu eine Hasenpfote auch mal zum Bild führte oder den Hasen auf allen Vieren durch den Raum „gehen“ließ – die Löffel mit dem Munde gestreckt haltend.
Das war, so kann man lesen, ironisch auf einen Kunstbetrieb gemünzt, der meinte, Kunst, „erklären“zu können, wie ein Metzger erklärt, wo genau das Filet eines Rindviehs sitzt. Jedenfalls sah Beuys es so. Er hat über seine Aktion gesagt, es sei einfacher, einem toten Hasen das Geheimnis der Kunst zu erklären als lebendigen Menschen. Dagegen setzte er seinen erweiterten Kunstbegriff: Kunst, die Beuys meinte, sollte zur sozialen Skulptur entgrenzt werden und unser ganzes Leben umfassen und inspirieren.
Schon 1963 hat Beuys bei seiner ersten öffentlichen Aktion mit dem Titel „Sibirische Sinfonie“einen Hasen als zentrale Figur auftreten lassen. Eigentlich sollte es ein toter Hirsch werden, doch der war nicht aufzutreiben, also griff der Künstler zu einem toten Hasen. „Beuys“, so kann man bei Wikipedia lesen, „setzte seinen Hut auf, befestigte den Hasen mit einem Haken an der vorbereiteten Schnur und ließ ihn an der Tafel herabhängen.“
Noch ein echter Hase – wieder tot – findet sich in dem (überaus gelungenen) Magazin der Stadt Krefeld über Beuys und das Beuys-Jahr in der Geburtsstadt des Künstlers. Beuys steht am Niederrhein und hält am ausgestreckten Arm einen Hasen. Wie üblich: tot. Hasen über Hasen: Kein Wunder, dass Beuys, als er gefragt wurde, ob er Humanist sei, einmal geantwortet haben soll, er sei lieber ein Hase.
Trotz dieser Identifizierung: Hasen hat Beuys auf eine Art gemocht, die nicht zwingend erforderte, dass sie noch lebten. Er war mithin nicht sentimental, wenn es um diese Tiere ging. Nicht mal besonders empathisch. Genau genommen: Gar nicht. Er interessierte sich für ihren Symbolgehalt, für ihre Rolle und Zeichenhaftigkeit in seiner Kunst, nicht für sie als Tiere aus Fleisch und Blut. Die Form war's und ihre Geschichte, die ihm zu dienen hatte.
Das wiederum passt zum Schicksal des echten Feldhasen, den jedes Kind als Meister Lampe kennt. Er ist beliebt, der Hase, besonders seine Löffel, er galt schon den Germanen als Bote der Fruchtbarkeitsgöttin Ostara, in Byzanz galt er gar als Symbol für Christus, und bis heute ist er im Brauchtum des christlichen Osterfestes als freundlicher Eier-Überbringer präsent – als Symbol für die Kraft des Lebens überhaupt.
Im richtigen Leben geht es für die Hasen nicht so glanzvoll zu. Die Bestände des Feldhasen haben nach Nabu-Angaben seit den 80er Jahren um 75 Prozent abgenommen. Wurden 1980 noch rund 825.000 Feldhasen geschossen, ging diese Zahl 2017 auf 185.000 zurück, ein Rückgang von 77 Prozent. Man schätzt, dass heute noch zwei bis drei Millionen Tiere in Deutschland leben. Heißt auch: Als Beuys seine Hasen-Kunst konzipierte, gab es Hasen noch zuhauf. Ein Allerweltstier.
Heute gilt der Hase bundesweit als gefährdet – bei negativem Entwicklungstrend. Laut Naturschutzbund Nabu führt die Zunahme von Monokulturen in der Landwirtschaft auch beim Feldhasen zur „Landflucht“. Denn inzwischen ist der eigentlich scheue Feldhase in Städten anzutreffen. Dort interessieren ihn vor allem Brachflächen, die Heimat sind für eine vielfältige Flora, die Hasen das Überleben sichern und so nicht ohne weiteres in der freien Landschaft vorkommen.
Dass es noch so viele Hasen gibt, liegt daran, dass er ein Fortpflanzungskünstler ist. Ein Hase ist mit sechs bis acht Monaten geschlechtsreif. Eine Häsin wirft drei- bis viermal im Jahr je ein bis drei Junge, die sehend und behaart zur Welt kommen, also über ihr Fell sofort gut getarnt sind. Junghasen wiegen knapp unter 100 Gramm und sind damit etwa so groß wie ein Überraschungs-Ei. Mehr als 60 Prozent der Junghasen verenden im ersten Lebensjahr, die Ursachen sind nass-kalte Witterung, Beute-greifer oder die landwirtschaftliche Bearbeitung der Felder. Nicht nur Hunde, auch Trecker sind des Hasen Tod. Dazu kommt laut Nabu, dass Junghasen heute auf den Feldern weniger Chancen zum Verstecken haben und so leichte Beute sind. Gesäugt werden Junghasen nachts, damit sie nicht die Aufmerksamkeit von Füchsen, Wildschweinen und Greifvögeln erregen. Ausgewachsene Tiere werden in freier Wildbahn im Schnitt vier Jahre alt, in Gefangenschaft bis zu zwölf Jahre.
1982, vier Jahre vor seinem Tod, hat Beuys zur documenta 7 wieder auf das Hasenmotiv zurückgegriffen. Er schmolz eine Nachbildung der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen öffentlich ein und goss aus dem Material eine Hasenfigur mit Sonnenkugel. Dieser Hase sitzt mit Juwelen, einem Diamantkreuz und der Gussschlacke hinter Glas in einem fest verschweißte Tresor.
Da thront er nun, der falsche Hase. Während seine Brüder draußen um ihr Leben rennen.