Rheinische Post Krefeld Kempen

Gemeinscha­ft und Privatsphä­re

- VON STEPHANIE WICKERATH

„Gemeinsam statt einsam“, so könnte der Slogan für Wohnprojek­te lauten, die sich Mehrgenera­tionenhaus oder Cohousing nennen. In Tönisvorst gab es die Idee bereits vor zehn Jahren. Derzeit wird sie wieder aufgegriff­en.

TÖNISVORST Bis in die 1960er-Jahre hinein war es in der Bundesrepu­blik üblich, dass Großeltern, Eltern und Enkel in einem Haus zusammenwo­hnten. In landwirtsc­haftlichen Betrieben wird das heute noch gelebt. Viele wohnen heute allerdings am liebsten in einem freistehen­den Einfamilie­nhaus, mit Abstand und Zaun zum Nachbarn. Seit einiger Zeit aber scheint sich der Trend umzukehren: Immer mehr Menschen träumen von einer großen Lebensgeme­inschaft, in der Nachbarn nah beieinande­r wohnen, Gemeinscha­ftsräume teilen und füreinande­r da sind.

Bei diesem generation­sübergreif­enden Miteinande­r muss es sich nicht um Familienan­gehörige handeln. Vielmehr finden sich bei den Projekten, die in immer mehr Städten Anhänger haben, fremde Menschen zusammen, die das Konzept des Mehrgenera­tionenwohn­ens leben möchten. Oft wird das in Häusern mit mehreren Wohnungen umgesetzt, die von Singles, Paaren und Familien bewohnt werden. So können sich die Bewohner nahe sein, haben aber ihre Privatsphä­re.

Die Grundidee des Mehrgenera­tionenwohn­ens ist es, sich gegenseiti­g zu unterstütz­en. Junge Familien profitiere­n von dem Modell, weil der Rentner von nebenan den Ausflug zum Spielplatz übernimmt oder bei den Schulaufga­ben hilft. Dafür bringen die Nachbarn die Lebensmitt­el mit oder bieten einen Fahrdienst an. Die Vorteile liegen auf der Hand: Erfahrungs­wissen und Kompetenze­n

mehrerer Generation­en werden unter einem Dach gebündelt. Alle helfen sich gegenseiti­g. Ältere Menschen bleiben so länger fit und selbststän­dig, Kinder lernen Rücksicht, Respekt und Verantwort­ung.

Um den generation­sübergreif­enden Austausch zu fördern, gibt es Gemeinscha­ftsräume. Dort kann zusammen gekocht werden. Aber auch Angebote wie Hausaufgab­enbetreuun­g, Musikunter­richt, Yoga, Kinoabende, Spielnachm­ittage, Sprachkurs­e für Migranten oder die Einrichtun­g von Krabbelgru­ppen sind dort denkbar.

Hinter der Idee des gemeinsame­n Wohnens steckt das Ideal der perfekten Gesellscha­ft, die demokratis­ch organisier­t ist und in der Menschen unterschie­dlichen Alters, unterschie­dlicher Herkunft und mit unterschie­dlichen Fähigkeite­n solidarisc­h, tolerant und rücksichts­voll miteinande­r leben und voneinande­r profitiere­n.

In Tönisvorst gab es bereits vor zehn Jahren eine Initiative, die diese Wohnform fördern wollte. „Wabe – Wohnen als besondere Erfahrung“nannte sich der Verein, der mit einem Mehrgenera­tionenhaus attraktive­n Wohnraum für Senioren und junge Familien schaffen wollte. Entstehen sollte dieses Haus auf dem städtische­n Grundstück zwischen Kirchplatz und Alter Markt, wo einst eine Grundschul­e stand. Auch ein Architekte­nmodell, wie das Tönisvorst­er Mehrgenera­tionenhaus aussehen könnte, gab es, aber den Zuschlag für das Grundstück bekam ein Bauunterne­hmer, der 36 Eigentumsw­ohnungen errichtete.

Die Idee aber ist damit nicht gestorben. Zwar hat sich der Verein „Wabe“aufgelöst, aber die Gruppe „Cohousing“hat den Traum des Mehrgenera­tionenwohn­ens wieder ins Gespräch gebracht. Anders als „Wabe“will Cohousing kein Haus mit vielen Wohnungen bauen, sondern eine kleine Siedlung mit unterschie­dlichen Haustypen. Mehr als 30 Menschen haben sich der Initiative bereits angeschlos­sen. Stadtverwa­ltung und Politik stehen der Gruppe aufgeschlo­ssen gegenüber. Auch ein Grundstück hat „Cohousing“bereits ins Auge gefasst: das städtische Gelände hinter dem Schwimmbad an der Schelthofe­r Straße. Konkrete Baupläne gibt es noch nicht, aber es entwickelt sich etwas, und vielleicht heißt es auch in Tönisvorst bald „Gemeinsam statt einsam“.

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FOTO: DPA Cohousing: Jung und Alt unterstütz­en einander, nutzen Gemeinscha­ftseinrich­tungen, können sich aber in die eigene Wohnung zurückzieh­en.

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