Rheinische Post Krefeld Kempen
Gemeinschaft und Privatsphäre
„Gemeinsam statt einsam“, so könnte der Slogan für Wohnprojekte lauten, die sich Mehrgenerationenhaus oder Cohousing nennen. In Tönisvorst gab es die Idee bereits vor zehn Jahren. Derzeit wird sie wieder aufgegriffen.
TÖNISVORST Bis in die 1960er-Jahre hinein war es in der Bundesrepublik üblich, dass Großeltern, Eltern und Enkel in einem Haus zusammenwohnten. In landwirtschaftlichen Betrieben wird das heute noch gelebt. Viele wohnen heute allerdings am liebsten in einem freistehenden Einfamilienhaus, mit Abstand und Zaun zum Nachbarn. Seit einiger Zeit aber scheint sich der Trend umzukehren: Immer mehr Menschen träumen von einer großen Lebensgemeinschaft, in der Nachbarn nah beieinander wohnen, Gemeinschaftsräume teilen und füreinander da sind.
Bei diesem generationsübergreifenden Miteinander muss es sich nicht um Familienangehörige handeln. Vielmehr finden sich bei den Projekten, die in immer mehr Städten Anhänger haben, fremde Menschen zusammen, die das Konzept des Mehrgenerationenwohnens leben möchten. Oft wird das in Häusern mit mehreren Wohnungen umgesetzt, die von Singles, Paaren und Familien bewohnt werden. So können sich die Bewohner nahe sein, haben aber ihre Privatsphäre.
Die Grundidee des Mehrgenerationenwohnens ist es, sich gegenseitig zu unterstützen. Junge Familien profitieren von dem Modell, weil der Rentner von nebenan den Ausflug zum Spielplatz übernimmt oder bei den Schulaufgaben hilft. Dafür bringen die Nachbarn die Lebensmittel mit oder bieten einen Fahrdienst an. Die Vorteile liegen auf der Hand: Erfahrungswissen und Kompetenzen
mehrerer Generationen werden unter einem Dach gebündelt. Alle helfen sich gegenseitig. Ältere Menschen bleiben so länger fit und selbstständig, Kinder lernen Rücksicht, Respekt und Verantwortung.
Um den generationsübergreifenden Austausch zu fördern, gibt es Gemeinschaftsräume. Dort kann zusammen gekocht werden. Aber auch Angebote wie Hausaufgabenbetreuung, Musikunterricht, Yoga, Kinoabende, Spielnachmittage, Sprachkurse für Migranten oder die Einrichtung von Krabbelgruppen sind dort denkbar.
Hinter der Idee des gemeinsamen Wohnens steckt das Ideal der perfekten Gesellschaft, die demokratisch organisiert ist und in der Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Fähigkeiten solidarisch, tolerant und rücksichtsvoll miteinander leben und voneinander profitieren.
In Tönisvorst gab es bereits vor zehn Jahren eine Initiative, die diese Wohnform fördern wollte. „Wabe – Wohnen als besondere Erfahrung“nannte sich der Verein, der mit einem Mehrgenerationenhaus attraktiven Wohnraum für Senioren und junge Familien schaffen wollte. Entstehen sollte dieses Haus auf dem städtischen Grundstück zwischen Kirchplatz und Alter Markt, wo einst eine Grundschule stand. Auch ein Architektenmodell, wie das Tönisvorster Mehrgenerationenhaus aussehen könnte, gab es, aber den Zuschlag für das Grundstück bekam ein Bauunternehmer, der 36 Eigentumswohnungen errichtete.
Die Idee aber ist damit nicht gestorben. Zwar hat sich der Verein „Wabe“aufgelöst, aber die Gruppe „Cohousing“hat den Traum des Mehrgenerationenwohnens wieder ins Gespräch gebracht. Anders als „Wabe“will Cohousing kein Haus mit vielen Wohnungen bauen, sondern eine kleine Siedlung mit unterschiedlichen Haustypen. Mehr als 30 Menschen haben sich der Initiative bereits angeschlossen. Stadtverwaltung und Politik stehen der Gruppe aufgeschlossen gegenüber. Auch ein Grundstück hat „Cohousing“bereits ins Auge gefasst: das städtische Gelände hinter dem Schwimmbad an der Schelthofer Straße. Konkrete Baupläne gibt es noch nicht, aber es entwickelt sich etwas, und vielleicht heißt es auch in Tönisvorst bald „Gemeinsam statt einsam“.