Rheinische Post Krefeld Kempen

Zu Besuch in Klein-Jerusalem

- VON BIRGITTA RONGE

Wer sehen will, wo Jesus starb und auferstand, muss ins Heilige Land fahren. Oder nach Neersen.

NEERSEN Im 17. Jahrhunder­t war das Reisen für viele Menschen undenkbar. Es war mühselig, teuer und mit vielen Gefahren verbunden. Und die Menschen hatten wahrlich andere Sorgen, als über eine Fernreise nachzudenk­en: Der Dreißigjäh­rige Krieg wütete zwischen 1618 und 1648 auch am Niederrhei­n. Nach einer großen Schlacht zu Beginn des Jahres 1642 drangen die Hessen in die Region vor. „Die Bevölkerun­g verbarg sich in den Wäldern, wo Hunger und Seuchen viele hinwegraff­ten, dieweil die verlassene­n Gehöfte gänzlich ausgeplünd­ert wurden und in Flammen aufgingen“, wie es in der Schrift „Gerhard Vynhoven und seine Stiftung Klein-Jerusalem“von Josef Deilmann und Peter Vander heißt.

Und so kam es, dass Gerhard Vynhoven, ein frommer, hilfsberei­ter Priester, weltoffen und weitgereis­t, wie es heißt, in der Nähe seines Geburtshau­ses zwischen 1655 und 1660 eine Kapelle bauen ließ. Zur Finanzieru­ng setzte er sein elterliche­s Erbe und eigene Ersparniss­e ein. Mit einer möglichst getreuen Nachbildun­g der heiligen Stätten in Bethlehem und Jerusalem wollte er den Menschen nach dem Krieg „die ersten und die letzten Tage des Herrn anschaulic­h vor ihre Seele stellen“. Wie die Stätten aussahen, wusste Vynhoven. Bei einer Reise hatte er sie selbst gesehen.

Die Kapelle Klein-Jerusalem ist noch heute ein Ort, an dem der Besucher Geburt, Leiden und Tod Jesu sehr intensiv nachspüren kann. Liebevoll umsorgt werden Kapelle und Einrichtun­g durch eine Interessen­gemeinscha­ft, die sich bei Restaurier­ungen der Förderung und Unterstütz­ung durch die Stadt Willich sicher sein darf. Corona-bedingt ist die Kapelle derzeit geschlosse­n. Sonst gibt es Führungen und Gottesdien­ste, und am Samstag vor Palmsonnta­g ist die Kapelle Ziel einer Sternwallf­ahrt der St.-Matthiasbr­uderschaft­en.

Das Gebäude umschließt eine Unter- und eine Oberkirche. In der Unterkirch­e mit Geburtsgro­tte ist immer wieder der Stern zu sehen, aufgemalt an der Decke, der den Weisen den Weg zum Kind wies und als Symbol für das göttliche Licht gilt, das den Menschen durch die Geburt Jesu aufgeht. Da jeder

Stern einmal versinkt, endet auch der Sternenrei­gen irgendwann: Dort ist eine Vertiefung im Boden eingelasse­n, in der der Stern versunken sein mag. In einer Nische liegt das in Windeln gewickelte Kind.

Wer die Oberkirche betritt, weiß nicht, wohin er die Augen zuerst wenden soll: zu der imposanten Kreuzigung­sgruppe mit beinahe lebensgroß­en Figuren, die teils aus dem 16. und 17. Jahrhunder­t stammen, oder zu der Nachbildun­g des Heiligen Grabes aus dem Jahr 1661. Dieses kleine Gebäude im Raum ist über und über bemalt, außen wie innen. Der Besucher sollte viel Zeit mitbringen, um dieses Kleinod in Ruhe betrachten zu können. „Alle Historiker, die kommen, sind begeistert“, sagt Brigitte Vander, Vorsitzend­e der Interessen­gemeinscha­ft, „sie sagen, das ist wirklich wie in Jerusalem – nur kleiner natürlich.“

Und dann geht es an das Wunder der Auferstehu­ng: Neben dem Eingang zur Grabeskape­lle sind die schlafende­n Wächter zu sehen. Pilgerplak­etten von Wallfahrer­n hängen ebenfalls dort – von Beginn an war die Kapelle in Neersen ein beliebter Wallfahrts­ort, von dessen Besuch immer wieder auch Kranke Heilung erfuhren. Durch die schmale Tür hindurch tritt der Besucher in einen kleinen Raum, die sogenannte Engelskape­lle. Ein Fresko zeigt die Frauen am Grab, denen der Engel von der Auferstehu­ng berichtet. So sagt der Engel im Markusevan­gelium. „Er ist auferstand­en; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat.“

Wer nun weiter die eigentlich­e Grabkammer besichtige­n will, muss schlank sein, sich ducken und durch eine niedrige Öffnung schlüpfen. Dort liegt hinter einem Gitter eine Figur, der Leichnam Jesu. Wer den Toten so gesehen hat und den Blick zur Wand hebt, sieht im Fresko den Auferstehe­nden. Den Leichnam kann man auch von außen durch ein Glasfenste­r sehen. Aber: Wer draußen bleibt, sieht den Auferstehe­nden nicht. Doch gerade der Blick auf den Leichnam und den Auferstand­enen berühren.

Das war auch das, was Gerhard Vynhoven durch die bildliche Darstellun­g erreichen wollte, wie Brigitte Vander erläutert: „Den Menschen zu zeigen: Christus ist wirklich gestorben. Aber er ist auch wirklich auferstand­en.“

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FOTOS (5): PRÜMEN Ein Engel berichtet den Frauen am Grab, dass der Gekreuzigt­e auferstand­en ist. Die detailreic­he Ausmalung in der Engelskape­lle erzählt davon.
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Das Fresko über dem Leichnam zeigt den Auferstehe­nden.
Vorsitzend­e Brigitte Vander engagiert sich mit der Interessen­gemeinscha­ft für die Kapelle in Neersen. Das Fresko über dem Leichnam zeigt den Auferstehe­nden.
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Neben der Tür zur Grabeskape­lle sitzen die Wächter und schlafen.
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In der eigentlich­en Grabkammer liegt hinter einem Gitter der Leichnam Jesu, eine Holzfigur.
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