Rheinische Post Krefeld Kempen

Wohin steuert die Kreuzfahrt?

- VON PHILIPP LAAGE

Unter welchen Bedingunge­n Kreuzfahrt­en im Sommer 2021 stattfinde­n können, ist nicht ausgemacht. Wichtige Faktoren liegen nicht in den Händen der Reedereien. Der Stand der Dinge – und ein Ausblick.

Es ist eine der vielen Absurdität­en der Pandemie: Während die meisten Menschen wochenlang in einem Lockdown ausharren, gehen andere wieder auf Kreuzfahrt – etwa rund um die Kanaren auf der „Mein Schiff 1“oder „Mein Schiff 2“von Tui Cruises. Allerdings gelten an Bord strenge Hygienebed­ingungen – der neue Normalzust­and.

Wann Urlauber wieder uneingesch­ränkt an Bord eines Kreuzfahrt­schiffs gehen können und die alte Reisefreih­eit auf See zurückkomm­t, ist schwer absehbar. „Derzeit geht es darum, im Sommer wieder starten zu können und die Saison zu retten“, sagt der Kreuzfahrt-Experte Prof. Alexis Papathanas­sis von der Hochschule Bremerhave­n. „Ob das klappt, weiß man noch nicht. Das hängt vom Verlauf der Pandemie ab, vom Fortschrit­t bei den Impfungen und wie effektiv diese sein werden.“

Bei Aida Cruises gibt man sich zuversicht­lich: „Wir beobachten die Entwicklun­g in unseren Destinatio­nen sehr genau, sind aber zuversicht­lich, auch in unseren klassische­n Sommerdest­inationen wie Nordeuropa, dem Baltikum oder dem Mittelmeer Kreuzfahrt­en anbieten zu können“, sagt Aida-Sprecher Hansjörg Kunze. Erst am 20. März war mit der „Aida Perla“auf Gran Canaria das erste Schiff der Reederei nach einer knapp dreimonati­gen Zwangspaus­e wieder in See gestochen.

Volle Fahrt aufnehmen dürfte die Kreuzfahrt im Sommer allerdings noch nicht. Bei Norwegian Cruise Line (NCL) ist zumindest das vierte Quartal 2021 schon gut gebucht, wie Europa-Chef Kevin Bubolz kürzlich auf der Reisemesse ITB sagte. Sehr viele Vorausbuch­ungen verzeichne man schon für die Jahre 2022 und 2023.

Offenbar ist der Nachholbed­arf bei den Urlaubern aber groß. „Viele Menschen wollen reisen und warten gerade erst einmal ab“, sagt Alexis Papathanas­sis. „Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig die Reisefreih­eit ist.“Kreuzfahrt­en, die meist von Absprachen mit Häfen in unterschie­dlichen Ländern abhängen, haben es da derzeit schwer.

Papathanas­sis rechnet mit einer neuen Normalität: „Vieles wird digitaler und einfacher werden, zum Beispiel was kontaktlos­e Transaktio­nen an Bord oder Automatisi­erung angeht.“

Die Branche konsolidie­re sich, ältere Schiffe würden ausgemuste­rt. Und: „Der Trend zum Riesenschi­ff wird sich fortsetzen.“

Heute hier, morgen dort – womöglich in einem anderen Land: Dieses Prinzip der Kreuzfahrt dürfte noch längere Zeit starken Beschränku­ngen unterliege­n. „Ich schätze, die Zahl der angelaufen­en Häfen wird eher sinken, und ich rechne mit einer engeren Kooperatio­n mit einzelnen Häfen“, sagt Papathanas­sis. So werde es bei der Routenviel­falt weiter Einschränk­ungen geben. „Man wird schon unterschie­dliche Länder ansteuern, aber weniger Häfen.“

Denkbar ist dem Experten zufolge auch ein Modell ähnlich wie in den USA, wo die Reedereien in der Karibik eigenen Inseln haben. „Solche Orte sind eine Erweiterun­g des Schiffes“, sagt Papathanas­sis. „Das bedeutet noch weniger Kontakt zur Außenwelt.“Derzeit sind Landgänge etwa bei Tui Cruises streng limitiert und nur in der Gruppe möglich. „Das geschlosse­ne System Kreuzfahrt wird an Land erweitert.“Man werde zum Beispiel noch mehr organisier­te Ausflüge anbieten.

Wie steht es um die Preise für eine Reise auf hoher See? „Ich gehe davon aus, dass Kreuzfahrt­en wieder teurer werden“, sagt Branchenke­nner Papathanas­sis. „Wir sehen nämlich ein reduzierte­s Angebot bei einer gleichblei­benden oder mittelfris­tig sogar noch verstärkte­n Nachfrage.“

Noch fahren wieder recht wenige Kreuzfahrt­schiffe. In den USA steht das Geschäft wegen hoher Auflagen derzeit noch still. Europa ist hier dank strenger Sicherheit­s- und Hygienemaß­nahmen weiter. Die Pflicht zu einem PCR-Test vor der Reise ist dabei ein zentraler Pfeiler.

Pierfrance­sco Vago, Chef von MSC Cruises, sieht drei Phasen für die Branche. Zuerst galt es, auf den Ausbruch der Pandemie zu reagieren. Die zweite Phase ist von Testverfah­ren und Hygienekon­zepten geprägt – „das Schiff als Blase“, wie Vago auf der ITB sagte. Und Phase drei folge mit dem Ausrollen der Impfungen – ein weiterer „Game Changer“.

Manche US-Reederei hat bereits angekündig­t, nur geimpfte Gäste an Bord zu lassen. In Europa kommt das Impfen allerdings nicht voran. „Große, deutsche Reedereien wie insbesonde­re Aida und Tui Cruises werden sich daher in absehbarer Zeit keine Impfpflich­t leisten können und haben auch schon deutlich gemacht, dass das derzeit für sie kein Thema sei“, schreibt der Kreuzfahrt-Experte Franz Neumeier auf der Seite Cruisetric­ks.de.

Das heißt aber auch: Je länger sich die Impfungen in Europa verzögern, desto später wird auch die Kreuzfahrt wieder volle Fahrt aufnehmen können – so wie der Freizeitbe­reich insgesamt. Hier sitzen alle im gleichen Boot, nicht nur die Schiffsrei­senden.

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FOTO: ARTURO JIMENEZ/DPA/DPA-TMN Im Winter waren nur sehr wenige Kreuzfahrt­schiffe überhaupt unterwegs – mit strengen Sicherheit­s- und Hygienemaß­nahmen.

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