Rheinische Post Krefeld Kempen
Für manche ist Corona eine Chance
Auch in der Pandemie gibt es einige Branchen, die dringend Absolventen suchen, sagt der Leiter des Career Service der Uni Münster.
Herr Eimer, wie ist die Stimmung bei den Absolventen, was bewegt diejenigen, die jetzt ihren Bacheloroder Masterabschluss machen? EIMER Die Studierenden sitzen jetzt bereits seit einem Jahr zu Hause, meist allein. Da bleibt viel Zeit zum Grübeln. Und natürlich sehen die Absolventen auch: Ihre Freundinnen und Freunde oder auch sie selbst haben ihre Jobs verloren, in der Gastronomie, bei Messen oder im Kulturbereich. Kurz: Die ganze Situation verunsichert sie stark. Einige Studierende haben in der Beratung gefragt, ob sie vielleicht lieber noch weiter studieren, den Abschluss hinauszögern sollen. Oder einfach in den kommenden sechs Monaten keine Bewerbungen schreiben. Davon rate ich aber dringend ab.
Warum? Wie sieht die Situation am Arbeitsmarkt für Akademiker tatsächlich aus?
EIMER Insgesamt ist die Arbeitslosigkeit bei Akademikern nur ganz leicht gestiegen, von 2,2 auf 2,7 Prozent. Und wichtig ist auch: Der Verlust der typischen „Studentenjobs“kann nicht verglichen werden mit den Jobs, in die Absolventen dann einsteigen. Die ganz wichtige Botschaft ist: Was wir nach einem Jahr Corona fühlen, ist negativer, als es auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich aussieht. Übrigens muss man auch sagen: Die Absolventen sind 23, 24, 25 Jahre alt. Einige haben das Gefühl: Deutschland stand wirtschaftlich jahrelang gut da. Gerade jetzt, wo ich fertig werde, wird es schwierig. Da muss man natürlich auch entgegenhalten: Das stimmt so nicht. Der Arbeitsmarkt in Deutschland hat sich immer verändert und ist schon durch so einige Krisen gegangen – denken Sie an die Folgen des 11. September 2011 oder die Euro-Krise. Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Auch das versuche ich in unseren Beratungsangeboten deutlich zu machen. Wer jetzt fertig wird mit dem Studium, hat nicht außergewöhnlich „Pech gehabt“, auch wenn es sich vielleicht so anfühlt.
Gibt es Unterschiede zwischen den Branchen?
EIMER Man kann sagen, dass einige Branchen besonders viele Absolventen suchen und mehr Jobs ausschreiben als vor der Pandemie. Dazu gehören etwa der IT-Bereich, Unternehmen in der Logistik und im medizinischen Bereich. Dort gibt es einen regelrechten Nachfrageboom. Und das zeigt eben auch: In der Krise ist nicht zwingend alles schlecht – manches wird anders.
Was ist mit denjenigen, die noch praktische Erfahrung im Ausland oder in hiesigen Unternehmen sammeln wollen?
EIMER Das ist derzeit tatsächlich schwierig. Wir haben einen deutlichen Rückgang der Auslandsaufenthalte und bekommen von den Studierenden die Rückmeldung, dass es auch bei hiesigen Unternehmen kaum Praktika gibt. Das ist auch verständlich: Die praktische Lernerfahrung und auch das Arbeiten in Teams ist in einem digitalen Praktikum ja kaum vermittelbar. Sollte aber ein Praktikum dennoch notwendig sein, um das Studium abzuschließen, sollte man ein digitales Praktikum in dieser Situation dann doch in Erwägung ziehen, selbst wenn es nicht optimal ist.
Ihre Botschaft ist also: Die meisten Absolventen sind – was die Jobsuche angeht – von der Corona-Krise gar nicht betroffen.
EIMER Absolut. Es gibt keinen Grund, sich jetzt nicht zu bewerben. Im Gegenteil: Die Firmen verzeichnen tatsächlich weniger Bewerbungen, weil viele eben in Zeiten der Krise eher passiv bleiben, erst einmal abwarten wollen, den Jobwechsel verschieben. Das ist eine Chance! Das Leben läuft weiter, und die Unternehmen schreiben weiter Stellen aus. Und die Absolventen können sogar von der Lockdown-Zeit profitieren, indem sie beispielsweise in der Bewerbung herausstellen, dass sie ihren Abschluss rein aus dem Homeoffice gemacht haben. Dass sie also mit der Situation des digitalen Arbeitens sehr gut klargekommen sind. Das wirkt auf Arbeitgeber, die zu digitalen Vorstellungsgesprächen einladen und derzeit ihre Mitarbeiter vielfach im Homeoffice haben, durchaus attraktiv. Ein anderes Beispiel: Wer in den Bereich Personal gehen möchte, kann dort derzeit echte Veränderungsprozesse mitgestalten. Heißt: Diese Zeit der Pandemie bietet eben auch ganz neue Möglichkeiten der persönlichen
Entwicklung. Ich möchte die Absolventen aus ihrer Passivität herausholen und ihnen klarmachen, dass sie die Chance haben, die Situation selbst zu gestalten. Durch Corona tun sich einige neue Arbeitsfelder auf, die ich mit meinen individuellen Stärken und Qualifikationen modellieren kann.
Ändert sich denn für die Absolventen durch die Pandemie auch etwas im Bewerbungsprozess?
EIMER Dass man seine Unterlagen online über ein Portal einreicht oder per Mail schickt, ist schon lange üblich. Neu sind sicher die digitalen Vorstellungsgespräche. Sie sind für beide Seiten weniger aufwendig, und die Studierenden sagen auch oft, sie seien dabei weniger nervös – aber: Aus Bewerbersicht bekommt man natürlich die Atmosphäre im Haus nicht mit, den Umgangston, hat weniger ein Gefühl für das Unternehmen, als wenn man sich am Firmensitz umschauen kann. Das ist so ein Punkt, wo ich denke: Hoffentlich kommen wir da wieder zu persönlichen Begegnungen.