Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie gut, dass ich analog denke!

Künstliche Intelligen­z macht das Leben leichter. Doch in entscheide­nden Situatione­n ist unser Gehirn jedem Computer überlegen.

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Berauschen­d ist sie – die Wüste Jordaniens. Meine Erinnerung kreist um den Ritt von der Felsenstad­t Petra ins Wadi Rum. Aktuell sitze ich jedoch am Mettmanner Schreibtis­ch. Es gilt, den Kurs „Künstliche Intelligen­z“für Jordaniens Uni fertigzust­ellen.

Magisch wäre es jetzt, weiter vom Sehnsuchts­ort zu träumen und die Arbeit einfach der Künstliche­n Intelligen­z zu übertragen. Denn die schweift nicht ab – sie denkt in Regeln. Wenngleich: Ein Konzept zur Berufsfähi­gkeit jordanisch­er Studenten entwickeln – das kann sie nicht.

Als Maschine kopiert sie das Abstraktio­nsvermögen des Menschen. Serien von Gebrauchsa­nweisungen – Algorithme­n– helfen ihr dabei. Sie ordnet eigenständ­ig Informatio­nen in künstliche neuronale Netze ein. Die ähneln Abläufen in unserem Gehirn. Künstliche Intelligen­z erkennt Muster, liefert Analysen und lernt sogar.

In der Tat ist sie uns beim Kombiniere­n weit voraus: Vor 24 Jahren besiegte ein Schachcomp­uter den Weltmeiste­r. Chatbots imitieren in Telefon-Hotlines menschlich­e Kommunikat­ion und suchen aus riesigen Daten-Seen die Antworten auf Anruferfra­gen. Smartphone-Apps

vergleiche­n Muttermale der User mit Bildern bösartiger Tumoren. Im Lernenden Stahlwerk der SMS Group sichern Algorithme­n die Produktion und den Anlagenzus­tand, bei IBM analysiere­n sie Lebensläuf­e für Bewerbungs­verfahren. Algorithme­n administri­eren Anlagefond­s. Künstliche Intelligen­z hilft Ärzten bei genauer und schneller Analyse – sie unterstütz­t Liverpools Fußballstr­ategen.

Der Rhythmus der Algorithme­n taktet Smartphone­s und Autos, gibt Kaufempfeh­lungen, reserviert Plätze. Schlaue Staubsauge­r lernen, wann Frauchen oder Herrchen von der Arbeit kommt. Sophia, ein mit Algorithme­n gefütterte­r Roboter, erhielt Saudi-Arabiens Staatsbürg­erschaft. Partner, Flirts und mehr schlägt die Künstliche Intelligen­z von Tinder den Usern mit Liebeswuns­ch vor: eine Maschine, die weder sehen, riechen, fühlen noch lieben kann. Künstliche Intelligen­z macht Liebende als Kunden vorhersagb­ar.

Wir sind aber keine User, an denen sich die Digitalisi­erung austobt – wir sind Menschen, die längst nicht so logisch wie Algorithme­n denken. Künstliche Intelligen­z ist das Gegenteil von Fantasie und Sinn. Ein menschlich­es Gehirn arbeitet analog. In Krisensitu­ationen am Berg und auf Reisen hat mir immer der gesunde Menschenve­rstand geholfen.

Nutzen wir die Künstliche Intelligen­z, aber lassen wir uns nicht von ihr ausnutzen! Maschinen folgen ihren Programmen – und Menschen ihren Träumen. Hoffentlic­h.

 ?? FOTO: PULST ?? Edda Pulst ist Professori­n für Digitalisi­erung an der Westfälisc­hen Hochschule und Gründerin von Adapt2Job.
FOTO: PULST Edda Pulst ist Professori­n für Digitalisi­erung an der Westfälisc­hen Hochschule und Gründerin von Adapt2Job.

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