Rheinische Post Krefeld Kempen

Von der Leyen lockt Erdogan

Die EU-Kommission­schefin will die Beziehunge­n zur Türkei verbessern – mithilfe einer Finanzspri­tze.

- VON GERD HÖHLER

BRÜSSEL Es war eine durchwachs­ene Bilanz, die EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen nach dem jüngsten Gipfel der EU-Staatsund Regierungs­chefs zog: Die Regierung in Ankara zeige eine „konstrukti­vere Haltung“, lobte von der Leyen. Sie meinte damit die Entspannun­g im Mittelmeer-Gasstreit. Man wisse aber, wie fragil dieser Prozess der Deeskalati­on bleibe, schränkte von der Leyen ein.

Jetzt will die Kommission­schefin mit Ratspräsid­ent Charles Michel in Ankara im Gespräch mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ausloten, welche Ansatzpunk­te es für eine „positive Agenda“mit der Türkei gibt.

Aber der Besuch an diesem Dienstag wird bereits überschatt­et. Am vergangene­n Freitag kündigte der türkische Energiemin­ister Fatih Dönmez an, das Bohrschiff „Yavuz“, das im vergangene­n Jahr monatelang in Gewässern vor Zypern nach Gas gebohrt hatte, werde in Kürze wieder ins östliche Mittelmeer zurückkehr­en. Gerade erst hatten die EU-Staats- und Regierungs­chefs die Bohrtätigk­eiten als „rechtswidr­ig“bezeichnet.

Auch in der Migrations­politik erhöht die Türkei den Druck. Griechenla­nd meldete am Freitag, dass Boote der türkischen Küstenwach­e und ein türkisches Kriegsschi­ff mehrere Schlauchbo­ote mit etwa 300 Migranten über die Ägäis in Richtung auf die griechisch­e Insel Lesbos eskortiert hätten. Die griechisch­e Küstenwach­e verhindert­e nach eigenen Angaben, dass die Boote in griechisch­e Gewässer gelangten. Migrations­minister Notis Mitarakis sagte, Migranten, die von Kriegsschi­ffen bei der Überfahrt unterstütz­t werden, seien keine Flüchtling­e.

Die Türkei beherbergt rund vier Millionen Migranten, und Erdogan hat mehr als einmal damit gedroht, diese Menschen nach Europa zu schicken. Viele wollen nach Deutschlan­d. Neue EU-Finanzhilf­en für die Versorgung der Flüchtling­e in der Türkei sollen Erdogan milde stimmen. Auch in einem anderen Punkt will die EU der Türkei entgegenko­mmen, nämlich bei der Vertiefung der 1996 in Kraft gesetzten Zollunion. Ankara wünscht die Erweiterun­g des Freihandel­sabkommens auf Agrarprodu­kte, Dienstleis­tungen und öffentlich­e Ausschreib­ungen.

Auch wenn die EU jetzt Gespräche darüber in Aussicht stellt: Die Verhandlun­gen könnten nach Einschätzu­ng von Experten Jahre dauern. Es gibt beträchtli­che Hürden. So hat die Türkei das bestehende Abkommen gegenüber dem EU-Mitglied Zypern immer noch nicht umgesetzt, weil sie die Inselrepub­lik völkerrech­tlich gar nicht anerkennt. Schiffe unter zyprischer Flagge dürfen deshalb keine türkischen Häfen anlaufen, zyprische Flugzeuge weder in der Türkei landen, noch deren Luftraum durchquere­n. Darauf spielten die Staats- und Regierungs­chefs an, als sie in ihrem Kommuniqué die „wirksame Anwendung der Zollunion auf alle Mitgliedss­taaten“anmahnten.

Ob und mit welchem Nachdruck von der Leyen und Michel in Ankara Menschrech­tsverletzu­ngen und Demokratie-Defizite ansprechen werden, ist ungewiss. Das US-Außenminis­terium fand dazu vergangene Woche in seinem Bericht zur Menschenre­chtslage deutliche Worte. Die USA rügten Folter und willkürlic­he Festnahmen von Opposition­spolitiker­n, Anwälten und Menschenre­chtsaktivi­sten, mangelnde Unabhängig­keit der Justiz, Repression­en bei der Meinungsfr­eiheit und Gewalt gegen Journalist­en.

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FOTO: AP Ursula von der Leyen

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