Rheinische Post Krefeld Kempen
Bewegender Soundtrack der Epidemie
London 1666 ist überall: Im Opernfilm „The Plague“setzt Kobie van Rensburg Leid und Hoffnung mit einem großartigen Team in Szene.
Der Stoff, aus dem die Träume sind, eignet sich auch, um Alpträume daraus zu weben. Kobie van Rensburg spricht Shakepeares vielzitierten Satz, den der Dichter Prospero in „Der Sturm“sagen lässt, wie nebenher: „Wir sind aus solchem Stoff, aus dem Träume sind, und unser kleines Leben ist umfangen von einem Schlaf“. Und doch ist diese Stelle das Herz seines Opernfilm „The Plague“, den das Theater Krefeld und Mönchengladbach zu Ostern online gestellt hat. Was ist der Mensch? Was ist sein Leben? Was ist ein Menschenleben wert? Und wie kann man sein Schicksal händeln, ertragen, annehmen? Solche Fragen pochen wie ein Pulsschlag durch die Geschichte.
Und wo ist Gott, wenn der Mensch verzweifelt? Henry Purcell hat diese Fragen in Kirchenliedern und tieftraurigen Operngesängen verhandelt. Seine Musik - eine Fundgrube für van Rensburg, der in das London von 1665/66 führt, als eine verheerende Epidemie die Stadt befällt und 100.000 Menschen am Schwarzen Tod sterben. Purcell war damals ein Kind - ebenso wie der Autor Daniel Defoe, der später mit dem fiktiven Tagebuch eines Pest-Überlebenden Furore macht. Musik und Text haben sich nie zusammengefunden - und passen doch so kongenial. Als „Pasticchio“- als Mix - hat van Rensburg aus der barocken Musik, vor allem „King Arthur“, Dido & Aeneas“und „Fairy Queen“von Purcell und Songs einiger Barock-Zeitgenossen, einen Soundtrack von Leid, Lebenshunger, Sinn- und Gottsuche zusammengestellt. Mit düsteren SchwarzWeiß-Bildern, die an Gothic Novels und Edgar Allen Poes Settings erinnern, lässt er das 17. Jahrhundert in den Straßen und Pubs, den Armenhäusern und Herrschaftssitzen entstehen. Aber: alles ist Fake, virtuell mit Blue- und Greenscreentechnik am Computer entstanden, raffiniert zu einer Filmwirklichkeit konstruiert, die nicht einmal vorgibt, echt sein zu wollen. Eine unwirkliche Wirklichkeit, so wie sich rund 350 Jahre später eine Welt im Lockdown anfühlt, in der das Leben von Welle zu Welle surreal fremd wird und einzeln aufgenommene Sangespartien per Hightech zu Tuttiszenen zusammengeschnitten werden.
The Plague zeigt alles: die Angst vor der Seuche, die Abgrenzung von Kranken, Flucht aus den Hotspots, den lebensgierigen Tanz auf dem Vulkan, die Trauer und das Elend, die Quarantäne.
Das düstere Panoptikum, das mit Zeichentrickratten, Klopapierrollen und manchen Requisiten auch schwarzen Humor und Komik sprüht, lässt die Akteure glänzen. Eine Kammerorchesterbesetzung unter Leitung von Yorgos Ziavras und die Sängercrew nutzen diese Gelegenheit ausgiebig. Susanne Seefing färbt ihren Mezzosopran in eleganten Molltönen ein bei der berückend schönen Klage der Didio „When I'm laid down in Earth“und gibt lustvoll, mit laszivem Blick die lebensdralle Wirtin. Matthias Wippich bringt seine schön getönte Bassstimme zum Leuchten, wenn er den dubiosen „Heiler“oder den von Todesangst Gepeinigten mimt. Auch darstellerisch ist er ein Brillant. Gänsehaut löst Boshana Milkov mit ihrem Lamento am Totenbett ihres Babys aus. Und der berühmte Klagegesang „O let me weep“aus Purcells „Fairy Queen“ist mit Chelsea Kolic' silbrig perlendem Sopran berückend schön. Die Sopranistinnen Antigoni Challia und Maya Blaustein singen makellos, ebenso die Tenöre Woongyi Lee und Robin Grunwald (der als ausgelassener Zecher eine kleine Dosis Dreck auf seinen Gesang streut). Guillem Batlloris Bariton gefällt vor allem in den weichen tiefen Lagen. Die raffinierte Schlusspointe der „Plague“sei hier nicht verraten.