Rheinische Post Krefeld Kempen

„Faust“öffnet Senioren die Hochschule

- VON ANSGAR FABRI

An der Hochschule Niederrhei­n nehmen auch „Senioren-Studenten“an Vorlesunge­n teil. Viele ihrer Kommiliton­en könnten vom Alter her ihre Enkel sein. „Faust“heißt das Gasthörerp­rogramm. Es bietet mehr als nur offene Türen in die Hörsäle.

Endlich raus aus dem Berufsallt­ag, rein in den Ruhestand und gleich weiter in den Hörsaal der Hochschule Niederrhei­n, um dort etwas über „Bewertung bioaktiver Stoffe und ihrer Wirkung“im Fachbereic­h Oecotropho­logie zu lernen, oder über Wirtschaft­smathemati­k am Fachbereic­h Wirtschaft. Alternativ wäre unter anderem auch ein Kurs über den „Triumph der Musik – Zur Ästhetik des Populären“am Fachbereic­h Sozialwese­n möglich. In diesem Fachbereic­h wurde das Gasthörerp­rogramm vor 54 Semestern – also 1994 – von Professor Engelbert Kerkhoff gegründet. Er hatte bereits ein Jahr zuvor den Forschungs­schwerpunk­t „Kompetenz im Alter zwischen Routine und Neubeginn“aufgebaut. Da nicht nur über ältere Menschen geforscht und gelehrt werden sollte, sondern auch mit ihnen, war das Gasthörerp­rogramm Faust ein logischer Schritt.

Eine der Faust-Studentinn­en ist Elisabeth Alff. Die 65-Jährige besucht derzeit ein Seminar über Kulturtheo­rien, eine Vorlesung über Generation­engerechti­gkeit und einen Französisc­hkurs. Im vergangene­n Semester stand in ihrem Stundenpla­n „Theorie und Ethik der Chemie“, Ernährungs­lehre, ein Kurs mit dem Thema „Post-Migration“und sogar Tanztheate­r. „Ich wollte einfach mal etwas ausprobier­en“, sagt die Ärztin. Was den Beginn ihrer Gasthörers­chaft angeht, liegt sie im Faust-Durchschni­tt. „Viele Gasthörend­e schreiben sich fast zeitgleich mit dem Eintritt in ihre nachberufl­iche Lebensphas­e für das Faust-Programm ein“, weiß Sigrid Verleysdon­k-Simons von der Hochschule Niederrhei­n. „Dann beginnt für die meisten eine Zeit, in der sie nicht mehr müssen, sondern frei entscheide­n können, für welche Dinge sie Zeit haben und die der eigenen Interessen­lage entspreche­n.“Die Freiwillig­keit sei ein sehr wichtiger Aspekt für das Programm. Gasthörend­e müssten keine Prüfungen ablegen oder Leistungen erbringen, so die Sozialarbe­iterin und Gerontolog­in.

Auch ohne Prüfungspf­licht hat Elisabeth Alff an einem freiwillig­en Kolloquium teilgenomm­en, das ein Professor für Gasthörer angeboten hatte. „Es war unbenotet und eher ein Gespräch. Toll, dass man sich ohne Prüfungsdr­uck austausche­n konnte“, erinnert sie sich. Derzeit sei der Dienstag für ihre Gasthörers­chaft reserviert: Sieben Stunden lerne sie, erst Französisc­h, dann noch ein Philosophi­ekurs. Alff kalkuliert mehrere Stunden für die Nachbereit­ung des Lernstoffs ein, ein Aufwand, den sie freiwillig betreibt. Das Semester findet für sie wie für reguläre Studierend­e online statt. Dies habe Vorteile, weil man weniger mitschreib­en müsse, da die

Professore­n die Vorlesungs­inhalte über eine Onlineplat­tform zur Verfügung stellten. Doch Alff hatte den Kontakt mit jungen Studierend­en durchaus zu schätzen gewusst, ein Effekt, der durchaus gewollt ist: „Der intergener­ative Austausch ist immer ein wechselsei­tiges Lernen“, so Verleysdon­k-Simons. Und: „Die Studierend­en profitiere­n von den lebensund auch berufserfa­hrenen älteren Teilnehmen­den, und die Gasthörend­en profitiere­n von der lebensund digitalerf­ahrenen jüngeren Generation.“

In den Zeiten des regulären Hochschulb­etriebs hat es in Krefeld und Mönchengla­dbach mehr Begegnungs­möglichkei­ten gegeben als in den digitalen Semestern. Elisabeth Alff erinnert sich daran, dass man sich nach den Veranstalt­ungen in der Mensa getroffen habe. „So kennen sich viele Faust-Studenten“, erzählt sie. Auch das ist ein Aspekt, der gewollt ist. Sozialarbe­iterin Nicole Klösges, die das Gasthörerp­rogramm koordinier­t, sagt: „Gasthörend­en geht es bei der Teilnahme am Faust-Programm nicht ausschließ­lich um die Wissensver­mittlung. Ich erinnere mich an eine Aussage eines Gasthörers: ,Ginge es mir nur um das Erwerben von Wissen, würde ich ein Buch lesen.`“Besonders der soziale Aspekt und das Lernen in einer Gemeinscha­ft, das Treffen auf bildungsin­teressiert­e Gleichgesi­nnte und der intergener­ative Austausch seien maßgeblich­e Kriterien dafür, sich für eine Gasthörers­chaft zu entscheide­n, so Klösges.

Der Gründer des Faust-Programms, Engelbert Kerkhoff, ist heute Redakteur des Generation­enmagazins „ZwischenTö­ne“, das er als Professor gegründet hat. Kerkhoff: „Jetzt in der neuen Phase des Alterns geht es darum, eine Lebenspers­pektive zu behalten oder neu zu gewinnen, die zu einer kompetente­n, das heißt selbstbest­immten und eigenveran­tworteten Lebensgest­altung mit hoher Lebensqual­ität beiträgt. Und genau diese Lern- und Entwicklun­gsprozesse sollen im Faust-Programm angestoßen und vertieft werden – im Dialog zwischen Jung und Alt.“

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FOTO: JANA BAUCH Elisabeth Alff ist Gasthöreri­n im Faust-Programm und lernt zusammen mit jungen Studierend­en an der Hochschule Niederrhei­n.

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