Rheinische Post Krefeld Kempen
Iran wirft Israel Sabotage vor
Der mutmaßliche Anschlag auf eine Atomanlage stört die Verhandlungen über die Urananreicherung.
NATANZ Der Konflikt um das iranische Atomprogramm eskaliert dramatisch. Der Iran und der Westen hatten sich nach Gesprächen in Wien noch am Freitag zuversichtlich über eine mögliche Einigung im Atomstreit geäußert. Einen Tag später irritierte der iranische Präsident Hassan Ruhani den Westen, indem er in der zentraliranischen Atomanlage Natanz neue Gaszentrifugen für die Anreicherung von Uran einweihte. Am Sonntag zerstörte eine Explosion das Kraftwerk auf dem Atom-Gelände von Natanz und setzte Zentrifugen außer Gefecht – das iranische Anreicherungsprogramm wurde damit um bis zu neun Monate zurückgeworfen. Am Montag schwor der Iran Rache für den Anschlag, der vermutlich von Israel verübt wurde.
Drei Jahre nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen, das den Bau einer iranischen Atombombe verhindern soll, bieten die Wiener Verhandlungen eine Chance, den Vertrag zu retten. Der neue US-Präsident Joe Biden will sein Land in das Abkommen zurückführen und verlangt vor einem Abbau der amerikanischen Sanktionen vom Iran, die Uran-Anreicherung wieder auf das vertragliche Maß zu reduzieren. In Wien wird besprochen, wie ein Sanktionsabbau und eine Rückkehr der Iraner zur Vertragstreue koordiniert werden können.
Die Gespräche sollen an diesem Dienstag weitergehen, doch die Ereignisse in Natanz seien „kein positiver Beitrag“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas am Montag. Die Atmosphäre bei den Verhandlungen, die bisher allseits als konstruktiv gelobt wurde, dürfte sich ändern. Der iranische Außenminister Dschawad Sarif warf Israel vor, Fortschritte bei den Atomverhandlungen verhindern zu wollen, und kündigte Vergeltung für den Anschlag von Natanz an. Sarif steht aber nicht nur vor der Frage, wie diese Vergeltung gegen die militärisch, geheimdienstlich und technologisch weit überlegenen Israelis aussehen soll. Er muss auch einkalkulieren, dass Gewaltaktionen gegen Israel zum Abbruch der Wiener Gespräche führen könnten.
Dass Israel hinter der Explosion steckt, ist so gut wie sicher. Israelische Medien berichteten, der Geheimdienst
Mossad habe das Kraftwerk angegriffen. Die „New York Times“zitierte amerikanische und israelische Geheimdienstvertreter mit ähnlichen Aussagen. Die Explosion habe das Kraftwerk für die Zentrifugen in einem unterirdischen Bunker in Natanz völlig zerstört. Nach iranischen Angaben wurde eine Person als mutmaßlicher Täter ausgemacht und gesucht. Die Urananreicherung in Natanz gehe trotzdem weiter.
Israel hat Natanz schon länger im Visier. Im vergangenen Sommer richtete eine ebenfalls den Israelis zugeschriebene Bombenexplosion in der Anlage schwere Schäden an. Der Iran macht Israel auch für die Ermordung des Atomwissenschaftlers Mohsen Fachrisadeh im vergangenen Jahr verantwortlich.
Anders als Biden will die israelische Regierung keine Verständigung mit dem Iran, sondern plädiert für einen harten Kurs, um die Islamische Republik am Bau einer Atombombe zu hindern. Ob die US-Regierung vor dem Anschlag in Natanz konsultiert wurde, war am Montag nicht bekannt.
Für die iranische Regierung ist die Explosion eine Demütigung, die sie innenpolitisch weiter schwächt. Pragmatiker wie Außenminister Sarif und Präsident Ruhani haben ihr ganzes politisches Kapital in das Vorhaben gesteckt, durch eine Einigung im Atomstreit die iranische Wirtschaft von der Last der Sanktionen zu befreien und der Bevölkerung des Landes mehr Wohlstand zu bescheren. Nach Bidens Kurswechsel hofften sie auf rasche Lösungen noch vor der iranischen Präsidentenwahl im Juni, um den Hardlinern in Teheran Paroli bieten zu können. Ohne einen solchen Erfolg dürfte der Sieg eines anti-westlichen Kandidaten bei der Wahl kaum abzuwenden sein.
Jetzt aber sehen sich die Gegner von Sarif und Ruhani in ihrer Überzeugung bestätigt, dass dem Westen nicht zu trauen ist. Sie hatten schon vor dem Anschlag kritisiert, die Wiener Verhandlungen seien sinnlos. Der Druck der Hardliner auf die gesprächsbereiten iranischen Politiker sei bereits hoch, schrieb Ali Vaez, Iran-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, auf Twitter. Nach dem Anschlag von Natanz würden in Teheran nun wohl „die Messer gezückt“.