Rheinische Post Krefeld Kempen

„Das Virus lässt sich nicht wegtesten“

Nach Einschätzu­ng von Gesundheit­sminister Jens Spahn wird auch die bundesweit­e Notbremse die steigenden Infektions­zahlen nicht in den Griff bekommen.

- VON BIRGIT MARSCHALL, GREGOR MAYNTZ UND JANA WOLF

BERLIN Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hat an die Bundesländ­er appelliert, umgehend wirksame Kontaktbes­chränkunge­n in Kraft zu setzen. Sie dürften nicht auf das neue Bundesgese­tz warten, das frühestens Ende nächster Woche mit einer bundesweit­en Notbremse in Kraft treten kann. Auch reiche dies alleine nicht aus. Angesichts von einem bundesweit­en Inzidenzwe­rt von 140, rund 300 Corona-Toten täglich und fast 5000 Corona-Intensivpa­tienten sei jeder Tag wichtig. Andernfall­s komme das Gesundheit­ssystem an den Rand seiner Kapazität. Ende des Monats werde mit 6000 Corona-Patienten in den Intensivst­ationen gerechnet.

Von einer dramatisch­en Lage auf den Intensivst­ationen sprach der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Er bezeichnet­e den Inzidenzwe­rt von 200 für das Schließen von Schulen in einer Region für zu hoch. Bei einem derart großen Infektions­geschehen würden viele Schüler und ganze Klassen aus der Schule genommen werden müssen. Spahn schloss sich dieser Kritik am Gesetzentw­urf der Koalition an. Nachdrückl­ich warnte Wieler vor der Vorstellun­g, das Virus einfach wegtesten zu können, als naiv.

Die deutschen Kliniken sind nach den Worten des Chefs der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG), Gerald Gaß, in der Pandemie an der Grenze ihrer Belastbark­eit angekommen. „Die Covid-Patienten von heute sind die Neuinfizie­rten von vor zwei bis drei Wochen“, sagte Gaß, „dementspre­chend müssen wir damit rechnen, dass die Zahl der Covid-Patienten den Höchststan­d der zweiten Welle bald erreichen wird. Vor diesem Hintergrun­d haben wir schon vor Wochen gefordert, dass die Notbremse bei einer Inzidenz von über 100 konsequent umgesetzt wird. Wir brauchen politische­s Handeln, schnell und konsequent.“

Auch der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, befürchtet einen Notstand auf den Intensivst­ationen und einen Exodus des Pflegepers­onals nach der Pandemie. „Derzeit haben wir eine Dynamik in der dritten Welle der Pandemie, die mir große Sorgen bereitet und befürchten lässt, dass die Kapazitäte­n nicht ausreichen werden“, sagte Wagner unserer Redaktion. „Wir brauchen sofort einen Lockdown nach einheitlic­hen Regeln“, forderte der Chef des Pflegerats. „Es ist auch nicht erkennbar, dass politisch entscheide­nde Weichen zur Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen nach der Pandemie gestellt werden. So wird es zum aktuellen Stand kein Personalbe­messungsve­rfahren für das Pflegepers­onal in den Krankenhäu­sern geben“, sagte Wagner.

An diesem Freitag soll der Gesetzesen­twurf zu den schärferen bundesweit­en Corona-Regelungen in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Dabei soll es nach Medienberi­chten selbst unter Rechtsexpe­rten im Kanzleramt juristisch­e Bedenken an den geplanten Maßnahmen geben. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) dagegen hält die geplanten Ausgangsbe­schränkung­en für „verhältnis­mäßig“. Auch Unions-Rechtsexpe­rte Jan-Marco Luczak bezeichnet­e die Corona-Notbremse als „notwendig, um das dynamische Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen“.

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FOTO: DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn nach einer Pressekonf­erenz.

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