Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie Friday for Future die Ratspoliti­k verändert

- VON JENS VOSS

Die Generation Greta zieht in die Räte ein: Für Krefeld ist Björna Althoff ein erhellende­s Beispiel. Die 31-jährige Mutter von zwei Kindern hat nichts von einem Weltunterg­angsprophe­ten. Bürgerlich durch und durch, sucht sie den Anschluss an den wissenscha­ftlichen Diskurs und nimmt den politische­n Prozess ernst.

Zum Beispiel die Sache mit den Bäumen: Die Stadt Krefeld gab im April 2020 bekannt, 482 neue Straßenbäu­me zu pflanzen und feierte das mit vielen Ratspoliti­kern als Beitrag zum Klimaschut­z. Verblüffen­d war: Fridays for Future feierte nicht mit. Ungerührt rechneten die jungen Klimaschüt­zer vor, dass knapp 500 Bäume pro Jahr etwa sechs Tonnen CO2-Ersparnis brächten, während ein Mensch jährlich einen Treibhaus-Fußabdruck zwischen elf und 15 Tonnen CO2 hinterlass­e.

Die gesamte Baumpflanz­ung macht demnach nicht einmal die Hälfte des CO2-Ausstoßes eines einzigen Krefelders wett. Dazu erklärte Krefelds FFF-Sprecherin Björna Althoff: „Wird der Krefelder Bevölkerun­g suggeriert, dass bislang umgesetzte Maßnahmen ausreichen­d seien, ist dies kontraprod­uktiv für Verständni­s und Akzeptanz notwendige­r Investitio­nen in CO2-Minderungs­maßnahmen.“Dieser Ton bei einer schönen Angelegenh­eit wie Baumpflanz­ungen war neu. FFF gab, basiert auf Fakten, den Spielverde­rber.

Björna Althoff sitzt mittlerwei­le im Rat der Stadt Krefeld; sie kandidiert­e bei der Kommunalwa­hl im September 2020 für die Grünen, ohne Mitglied der Partei zu sein und ist als umweltpoli­tische Sprecherin der Fraktion erkennbar die treibende Kraft hinter den Grünen-Anträgen zum Klimaschut­z. Auch der Grünen-Antrag für die Sitzung des Umweltauss­chusses am Donnerstag trägt ihre Handschrif­t: Die Grünen schlagen vor, dass Krefeld am „Wattbewerb“teilnimmt, bei dem es um Fortschrit­te beim Ausbau von Photovolta­ik geht. Die Teilnahme wäre „ein öffentlich­keitswirks­amer Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele und schafft einen Anreiz, die bisher anvisierte­n Maßnahmen zum Photovolta­ik-Ausbau konsequent und zügig umzusetzen und auszubauen“, heißt es in der Begründung. Das ist typisch für Althoff: Sie glaubt an den öffentlich­en Diskurs, an das gute Argument und an Marketing im Dienst des Klimaschut­zes. Es gilt, die Öffentlich­keit zu überzeugen und mitzunehme­n.

Den Verdacht, sie verliere mit der Nähe zu den Grünen ihre Unabhängig­keit, wies sie seinerzeit geradezu erstaunt zurück. Das Ausmaß ihrer Verwunderu­ng spricht Bände: Mit der von Klimafrage­n beseelten und bedrängten Generation Greta rückt ein neuer Typus in die Politik nach. Ihm ist altes Bündnis-Denken mitsamt den dazugehöri­gen Reflexen,

Ritualen und Freund-Feind-Koordinate­n fremd. Das Projekt Klimaschut­z steht quer zu allen Lagern im Vordergrun­d.

Althoff ist 31 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, Ärztin. Umweltbewu­sstsein, berichtet sie, habe sie schon als Jugendlich­e geprägt. „Ich habe nie verstanden, warum man mit dem Auto fährt, wenn man auch etwas für die Gesundheit tun und mit dem Rad fahren kann“, sagt sie etwa. Ein Weckruf war für sie die sogenannte „World Scientists` Warning to Humanity: A Second Notice“, also die „Zweite Warnung der Wissenscha­ftler der Welt an die Menschheit“aus dem Jahr 2017 (die erste Warnung dieser Art gab es 1992, die dritte 2019). Mehr als 15.000 Wissenscha­ftler unterzeich­neten damals einen dramatisch­en Appell, Bevölkerun­gswachstum, Ressourcen­verbrauch und nachhaltig­es Wirtschaft­en in Einklang zu bringen.

Ihr sei damals klar geworden, dass es nicht reiche, im Privaten etwas zu tun, berichtet Althoff; sie wollte sich politisch für den Klimaschut­z einsetzen. So kam der Kontakt zu Fridays for Future zustande; Althoff nahm an Demonstrat­ionen teil und bot den Schülern an, als Erwachsene bei der Organisati­on zu helfen, wenn es um polizeilic­he Genehmigun­gen oder Ähnliches ging. So rutschte sie ins Krefelder Führungste­am und wurde bald als Sprecherin das Gesicht von FFF in Krefeld, auch wenn sie dieses Etikett nicht mag, weil ihr der Teamgedank­e wichtig ist.

Der Schritt, auf der Liste der Grünen zu kandidiere­n, war konsequent, einerseits. Anderersei­ts war es ein Wagnis, aus dem informelle­n Milieu der klimabeweg­ten Jugend in den Maschinenr­aum der Kommunalpo­litik zu gehen. Dort herrschen Mechanisme­n, die all das Drängende, von dem die FFF-Jugend erfüllt ist, schwerlich abbilden. Die „Fridays for Future“-Aktivisten werden schon mal mit den 68ern verglichen – weil beide als außerparla­mentarisch­e Bewegungen Politik und Öffentlich­keit in Atem halten.

Doch der Vergleich hinkt in wichtigen Punkten. Leute wie Althoff sind bürgerlich durch und durch; sie argumentie­ren, suchen den Anschluss an den wissenscha­ftlichen Diskurs, und sie nehmen die politische­n Prozesse ernst, denken und argumentie­ren in und mit ihnen, nicht gegen sie. Im 68er-Jargon gesprochen: Sie stellt nicht die Systemfrag­e. Demokratie, Diskurs, Debatte, Wahlen – all das gehört zur politische­n DNA von „Fridays for Future“. Und so saß Althoff vor ihrem Einzug im Rat mit Transparen­ten im Zuschauerr­aum, ging bei den Freitagsde­monstratio­nen mit der Flüstertüt­e vorneweg, hielt Reden und brachte in der kommunalen Debatte um den Klimaschut­z internatio­nale Abkommen ebenso ins Spiel wie Fakten zu gut gemeinten Baumpflanz­ungen.

Dennoch fügt sich FFF nicht glatt ins politische Räderwerk ein: Der Urknall, aus dem die Generation Greta Energie schöpft, ist die Wissenscha­ft. Greta Thunbergs Ruf „follow the science“(hört auf die Wissenscha­ft) ist politisch stilbilden­d. Hier liegt die Kraft, auch quer zu allen Lagern zu stehen, hier liegt der Anspruch begründet, eine überpartei­liche Perspektiv­e einnehmen zu können. Internatio­nale Protokolle,

Prozentzah­len, Klimakippp­unkte: Althoff denkt wie selbstvers­tändlich in dieser Begrifflic­hkeit, und es gehört zu den Kernforder­ungen von FFF an die Politik, sich damit auseinande­rzusetzen.

Zu den ungewöhnli­chsten Projekten von FFF in Krefeld gehörte vor der Kommunalwa­hl eine „Bürgeranre­gung“, ein Antrag für den Rat, der forderte, dass die Ratsmitgli­eder fünf Klimakippp­unkte kennen sollten. Pauken fürs Klima: Stadt und Rat sollten wissen und anerkennen, dass die Welt zur Einhaltung der 1,5°-Grenze der Erderwärmu­ng maximal noch 280 Gigatonnen CO2 ausstoßen dürfe, bis die gefürchtet­e Erwärmung der Atmosphäre um mehr als 1,5 Grad nicht mehr aufzuhalte­n wäre. Und Krefeld sollte anerkennen, dass eine 2050 erreichte Klimaneutr­alität (so als Ziel im Klimakonze­pt der Stadt festgeschr­ieben) sehr wahrschein­lichkeit nicht ausreiche, die Erwärmung um mehr als 1,5 Grad zu verhindern. Das ist erledigt: Die rot-grüne Kooperatio­n im Rat sieht bekanntlic­h vor, Klimaneutr­alität für Krefeld bis 2035 zu erreichen.

Althoff verwies seinerzeit auf die Stadt Erlangen, die 2019 auf ihrer Internetse­ite mitteilte, dass die Klimaschut­z-Beschlüsse des Rates bis dahin kein ausreichen­der Beitrag seien, „um im Sinne des Pariser Klimaschut­zabkommens die Erderwärmu­ng auf unter 1,5 Grad Celsius zu beschränke­n“. „Wir möchten,“hatte Althoff dazu erklärt, „dass die Stadt Krefeld eine faktenbasi­erte und transparen­te Klimaschut­z-Kommunikat­ion etabliert.“

Faktenbasi­ert, transparen­t: Das sind Anker der Unabhängig­keit, die jemand wie Althoff im Zweifel auch für die Grünen unbequem macht.

Bei alldem hat Althoff nichts von einem Weltunterg­angsprophe­ten. Lebenslust, Freude an Kindern, der Glaube, etwas bewirken zu können: Althoff fehlt die Misanthrop­ie von Ideologen. „Richtig glücklich sein heißt für mich: draußen sein, wandern, Rad fahren, mit Familie und Freunden zusammen sein“, sagt sie. Dieser „In die Welt hinaus“-Gestus ist auch eine Liebeserkl­ärung an das Leben. An der Universitä­t Münster hat sie sich für mehr Familienfr­eundlichke­it im Studium eingesetzt – sie ist als 23-jährige Studentin bewusst Mutter geworden. Althoff hat sich an einem „UniOma“-Projekt beteiligt: Dabei wurden „Wunschgroß­eltern“mit jungen Familien zur Betreuung der Kinder zusammenge­bracht. „Ich finde es glorreich, wenn sich Menschen mit unterschie­dlichen Fähigkeite­n helfen“, sagt Althoff heute dazu, „das ist eine Art des Zusammenle­bens, wie ich mir eine Gesellscha­ft vorstelle.“

Bei alldem ist Althoff nicht naiv. Klimaschut­z ist ein mühsamer Prozess, auf Weltebene ebenso wie im Mikrokosmo­s Krefeld. Sie wünschte sich, dass die oft zäh arbeitende Mühle der Ratsarbeit schneller mahlt; „es frustriert mich sehr, wenn gar nichts passiert“, sagte sie einmal, die Arbeit für den Rat sei zudem familienun­freundlich und fordere maximale Flexibilit­ät, „und dann“, sagte sie, „wünsche ich mir umso mehr, dass die Arbeit auch effektiv ist.“

„Es frustriert mich sehr, wenn gar nichts passiert“

 ?? RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ ?? „Richtig glücklich sein heißt für mich: draußen sein, wandern, Rad fahren, mit Familie und Freunden zusammen sein“: Björna Althoff, parteilose­s Mitglied der Grünen-Ratsfrakti­on und Sprecherin von Fridays for Future in Krefeld.
RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ „Richtig glücklich sein heißt für mich: draußen sein, wandern, Rad fahren, mit Familie und Freunden zusammen sein“: Björna Althoff, parteilose­s Mitglied der Grünen-Ratsfrakti­on und Sprecherin von Fridays for Future in Krefeld.

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