Rheinische Post Krefeld Kempen
„Schweigen heißt zustimmen“
Die Initiative „Demokratie gerade jetzt“will Corona-Leugnern die Stirn bieten. Warum jeder mitmachen sollte.
KEMPEN In Kempen hat sich eine Initiative zusammengeschlossen, die sich gegen Corona-Leugner wendet. Die Initiative „Demokratie gerade jetzt“sammelt Unterschriften von Bürgern, die „sich mit ihrer Unterschrift zur Verteidigung demokratischer Werte gerade in dieser Krise – der größten seit Bestehen der Bundesrepublik – bekennen“. Zu den Initiatoren gehören bekannte Kempener, darunter der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer und der SPD-Ratsherr Stefan Kiwitz. Sie erklären, wie es weitergehen soll – und warum jeder mitmachen sollte.
Sie haben Ihre Aktion im Februar auf dem Buttermarkt in Kempen gestartet. Wie viele Unterschriften haben Sie seither gesammelt? STEFAN KIWITZ Bis heute sind 673 Unterschriften eingegangen. Die meisten sind von Kempenern, aber es nehmen Menschen bundesweit teil. Und es werden mehr: Kürzlich hat sich uns beispielsweise das Bündnis gegen Rechts aus Heinsberg angeschlossen, auch die Klimaaktivisten uns in Kempen gibt, waren für mich der Punkt, an dem ich gesagt habe: Jetzt ist die Schmerzgrenze erreicht. Wir müssen etwas dagegen tun. Deutschland ist eine junge Demokratie, und meiner Meinung nach stehen wir vor einer Bewährungsprobe. Wo ist der Aufschrei der Bürger, die nicht damit einverstanden sind, was hier passiert, die sich den Corona-Leugnern, den Verschwörungsideologen, den Rechtsextremisten entgegenstellen?
Und da reicht eine Unterschrift? HUFER Sie ist ein Zeichen. Manchmal schreiben uns die Leute, warum sie unterschreiben: Sie wollen die Demokratie festigen und verteidigen.
KIWITZ Die Unterschrift ist ein positives Signal. Bei mir haben sich ältere Leute gemeldet, die kein Internet haben, und gefragt, wo sie unterschreiben können. Sie haben Angst um die Demokratie und wollen etwas tun.
In der Diskussion um den Umgang mit der Pandemie ist viel Wut spürbar, die sich gegen Politiker, Virologen, Journalisten richtet. Woher kommt diese Wut?
HUFER Die Wut gibt es nicht erst seit Beginn der Pandemie. Die Wut war schon vorher da. Sie hat sich in unserer Gesellschaft aufgeladen. Corona ist ein Anknüpfungspunkt. Das Virus ist keine unmittelbare und sichtbare Bedrohung, es kam überraschend, niemand war darauf vorbereitet. Das ist für viele Menschen beängstigend. Das, was wir jetzt kriegen an Frust, an Aggression, das ist die Verdichtung dessen, was schon da war. Die Aggression richtet sich nun an diejenigen, die notwendige Entscheidungen treffen, die aufklären und Informationen liefern: Politiker, Virologen und Epidemiologen.
KIWITZ Wenn man sieht, was sich da in den sozialen Medien teilweise zusammenbraut, ist das schon erschreckend. Wer versucht, mit Sachargumenten die Argumente der Corona-Leugner zu widerlegen, wird beschimpft und beleidigt.
Muss ich denn mit Corona-Leugnern und Verschwörungsideologen diskutieren?
HUFER Ja, man sollte sich ganz entschieden einmischen. Schweigen ist Zustimmung, und auch das resignierte Schweigen ist eine Zustimmung. Wir dürfen die Deutungshoheit nicht diesen Menschen überlassen. Und schließlich sind immer auch ein paar Unentschiedene dabei, die man vielleicht überzeugen kann, dass die Corona-Leugner doch unrecht haben.
Aber wenn Sachargumente nicht verfangen?
HUFER Man kann Fragen stellen, die Corona-Leugner zwingen, ihre eigenen Theorien zu hinterfragen. Man kann beispielsweise fragen: Wie sicher ist eure Quelle? Warum glaubt ihr einem anderen Facebook-Nutzer mehr als einem Virologen der Charité? Man kann die Leute in einen Begründungszwang bringen, um Verunsicherung zu erzeugen und zum Nachdenken anzuregen.
Glauben Sie, dass in Bund und Land im Umgang mit der Pandemie Fehler gemacht wurden, die diese Wut befeuert haben?
KIWITZ Sicher. Nehmen Sie nur die Provisionen in der Maskenaffäre zuletzt. Wir als Kommunalpolitiker bekommen ja immer die Klatsche
dafür, und so etwas trägt zur Politikverdrossenheit bei. Wenn ich an die Bundestagswahl denke, frage ich mich, was da am 26. September gewählt wird. Da wird sich viel Wut entladen.
HUFER Der Föderalismus hat seinen guten Grund, allerdings dauern die Entscheidungen auf Länderebene entsprechend lange. Ich kann verstehen, dass da bei vielen eine große Wut entsteht, zum Beispiel bei Eltern. Dieses Hin und Her an den
Klaus-Peter Hufer Politikwissenschaftler
Schulen. Da geht eine ganze Generation verloren. Ich habe Bachelor-Studenten im zweiten Semester, die haben die Uni noch nie von innen gesehen.
Was wollen Sie tun, was über das Unterschriftensammeln hinausgeht?
HUFER Eine Gegendemo gegen die Corona-Leugner würden wir nicht organisieren. Damit würden wir ihnen zu viel Aufmerksamkeit schenken. Wir wollen aufklären, unter anderem über unsere Internetseite und in virtuellen Diskussionsforen. Und wir wollen deutlich machen, dass Corona eine reale Gefahr ist: Von 1000 Menschen in Deutschland stirbt derzeit einer an Corona. Es ist infam, das in Frage zu stellen.