Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein starkes Signal aus der Jazzwelt
Der Jazzklub Krefeld präsentierte zum zehnten International Jazz Day zwei Bands, die extrem viel zu sagen hatten. Im Livestream aus dem Rittersaal der Burg Linn zeigten Philm und die neu zusammengestellte Band Cactus Truck, wie lange sich der Wunsch nach gemeinsamem Musizieren aufgestaut hatte.
Die Jazz-Szene ist lebendig und divers - und immer ein zartes, vor allem ökonomisch bedrohtes Pflänzchen in der Kulturlandschaft. Um zu zeigen, wie sehr improvisierende Musikerinnen und Musiker auf diesem Planeten am gemeinsamen Strang ziehen, hat die Unesco den „International Jazz Day“ins Leben gerufen. Der Jazzklub Krefeld begeht diesen Tag alljährlich mit dem, was er am besten kann: Er präsentiert ein hochkarätiges (Doppel-)Konzert im Rittersaal der Burg Linn. Zwar blieben die eingeladenen Musiker bei der jüngsten Ausgabe aus bekannten Gründen einmal mehr unter sich - aber via Livestream sendete der Jazzklub Krefeld ein starkes Signal hinaus in die Welt: Auch in Zeiten von Auftrittsverboten ist der Hunger, sich auszudrücken, ungebrochen. Im Rittersaal der Burg Linn lebte viel gemeinsame musikalische Abenteuerlust, die kaum noch zu steigern war.
„Ich mache mir Sorgen, wie es um die Kulturlandschaft bestellt sein wird, wenn die Pandemie vorbei ist“, artikulierte Bürgermeister Frank Meyer in einer kleinen Ansprache die augenblickliche Stimmungslage. Dabei sei doch der gesellschaftliche Mehrwert von freier Kultur unverzichtbar: „Künstlerinnen und Künstler geben uns die einzigartige Möglichkeit, die Welt mit ihren Ohren zu hören und mit ihren
Augen zu sehen“. Und das Prinzip der Improvisation passe doch ohnehin perfekt auf die Herausforderungen in unsicherer Zeit.
Die Band „Philm“, die ihren ausgefallenen Auftritt aus dem vergangenen Jahr nachholte, lotet in diesem Sinne alle erdenklichen Möglichkeiten aus, trifft Entscheidungen aus dem Moment heraus, sucht das Neue, Unbekannte in der Musik. Alle vier beherrschen ihre Instrumente, dass es den Atem nimmt.
Aber das dient nicht der Eitelkeit, sondern ist ein kollektives Vokabular, mit dem das große Ganze über die Gesamtdauer des Konzertes immer mehr anwächst.
Saxofonist Philipp Gropper, Pianist Elias Stemeseder und Bassist Robert Landfermann erzeugen bei aller spielerischen Energie zugleich eine feinnervige, aufregende Klangpoesie. Oli Steidle ist viel mehr als nur ein Rhythmusgeber, wenn er wie ein Dirigent in einem symphonischen
Orchester ein Netzwerk aus filigranen Strukturen webt. Atonale Klänge transportieren plötzlich Botschaften, rhytmische Strukturen entfalten eine sprechende Struktur, je mehr jedes konventionelle Metrum vernachlässigt wird. Wer hier eintaucht, erlebt musikalische Grundlagenforschung.
Auch Veranstalter müssen derzeit improvisieren. Diesmal war es der Umstand, dass der Leader der zweiten Band „Spinifex“erkrankt war. Sackers konnte kurzfristig eine deutsch-niederländische „Adhoc-Band“für ein freies Improvisationskonzert zusammenstellen. Bei Konzerten, bei denen Musiker zum ersten Mal miteinander spielen, liegt immer eine besondere Energie in der Luft. Der Wunsch, endlich wieder zusammen Musik machen zu können, scheint hier lange aufgestaut - entsprechend steigert sich die Spiellust von „Cactus Truck“zu einer regelrechten Spielwut - mit noch mehr ungebremster Energie lässt sich kaum ein Raum anfüllen.