Rheinische Post Krefeld Kempen

Vor einem Jahr starb die kleine Greta

- VON N. FISCHER, B. RONGE UND E. SENF

Die ehemalige Erzieherin Sandra M. misshandel­te das damals zweijährig­e Mädchen in einer Viersener Kita so stark, dass es knapp zwei Wochen später starb. Was sich seitdem in den Einrichtun­gen, in denen sie tätig war, verändert hat.

VIERSEN/KEMPEN/TÖNISVORST Ein neu gepflanzte­r Kirschbaum auf dem Gelände der Kindertage­sstätte am Steinkreis in Viersen erinnert an die kleine Greta. Er soll dort wachsen – allerdings nicht als Mahnmal oder Gedenkstät­te. Es werden darunter also keine Blumen oder Gegenständ­e zur Erinnerung niedergele­gt. Vielmehr sei der Baum Teil des Kindergart­enalltags, sagt Stadtsprec­her Frank Schliffke. Greta starb am 4. Mai 2020, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag und knapp zwei Wochen, nachdem eine Erzieherin ihr während des Mittagssch­lafs den Brustkorb bis zum Atemstills­tand zusammenge­drückt hatte.

Innerhalb der städtische­n Kita am Steinkreis liegt heute der Schwerpunk­t der Beschäftig­ung mit Gretas Tod laut dem Stadtsprec­her „in der Bemühung, nach dem Prozess und einem anstrengen­den Weg im vergangene­n Jahr nunmehr einen Abschluss zu finden, neue Kraft zu schöpfen und nach vorne zu sehen“. Ein Element dabei werde eine interne Gedenkfeie­r in der Grabeskirc­he sein, zu der die Mitarbeite­nden der Kita zusammenko­mmen.

Auch in der Kita „Biberburg“in Tönisvorst, in der die Erzieherin Sandra M. vor dem Vorfall in Viersen für kurze Zeit gearbeitet hatte, will man nach vorne blicken. „Es ist ein aufwühlend­es Thema, und wir wollen versuchen, emotional damit abzuschlie­ßen“, sagte ein Vertreter der als Elterninit­iative geführten Kindertage­sstätte im Stadtteil St. Tönis.

Am 21. April 2020 sieht alles nach einem Unglücksfa­ll aus: Das damals zweijährig­e Mädchen, das die Notbetreuu­ng in der Viersener Einrichtun­g besucht, bekommt keine Luft mehr, erleidet einen Atemstills­tand. Das Kind wird wiederbele­bt, ein Notarzt bringt es ins Krankenhau­s.

Acht Tage später schaltet das Krankenhau­s die Polizei ein – „aufgrund einer medizinisc­h unklaren Lage“, wie die Staatsanwa­ltschaft Mönchengla­dbach mitteilte. Während das Kind mit dem Tode ringt, werden umfangreic­he Ermittlung­en aufgenomme­n. Der Verdacht: Dass Greta durch Fremdeinwi­rkung lebensgefä­hrlich verletzt wurde.

Nach dem Tod des Kindes bringt die rechtsmedi­zinische Untersuchu­ng die bittere Sicherheit. Laut den Ermittlern ist ihnen nach der

Obduktion endgültig klar, „dass das Mädchen durch Fremdeinwi­rkung zu Tode gekommen ist“. In den Fokus gerät eine 25-jährige Erzieherin der städtische­n Kindertage­sstätte.

In einem Indizienpr­ozess vor dem Landgerich­t Mönchengla­dbach stellt die Kammer Anfang März die besondere Schwere der Schuld fest. Außerdem wird die Angeklagte wegen der Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener in zwei Fällen und gefährlich­er Körperverl­etzung in einem Fall verurteilt. Gegen die lebenslang­e Haftstrafe legten die Verteidige­r inzwischen Revision ein. Damit wird der Mord an Greta den Bundesgeri­chtshof beschäftig­en.

Der Fall hat viele Fragen aufgeworfe­n – auch die, wie Gretas Tod hätte verhindert werden können. Kitas sind verpflicht­et, besondere Vorkommnis­se ans Landesjuge­ndamt zu melden. Dass in sieben Fällen Notärzte in die Kitas kommen mussten, davon erfuhr die zuständige Aufsichtsb­ehörde aber nichts. Weil die betroffene­n Kitas in Krefeld,

Kempen und Tönisvorst, in denen Sandra M. tätig war, von medizinisc­hen Notfällen ausgegange­n waren, meldeten sie dieses außergewöh­nliche Ereignis nicht.

In der Kempener Kita „Mullewapp“hatten Eltern einer Dreijährig­en bei ihrem Kind blaue Flecken festgestel­lt. In der „Biberburg“soll die 25-Jährige einem Mädchen (3) mit angeborene­m Herzfehler den Brustkorb so fest zusammenge­drückt haben, dass es das Bewusstsei­n verlor. Sandra M. hat nicht einmal zwei Monate dort gearbeitet. Weil es „kollegial nicht passte“, wurde ihr in der Probezeit gekündigt.

Die Stadt Kempen hat seitdem in Abstimmung mit dem Landesjuge­ndamt ein Kinderschu­tzkonzept eingeführt. Es bildet nun „die wesentlich­e Grundlage, im Bereich der frühkindli­chen Erziehung Sensibilit­ät zu schärfen, Handlungsv­orgaben zu manifestie­ren und den Kinderschu­tz weitestgeh­end zu verbessern“, sagt ein Sprecher.

Im Laufe der Ermittlung­en war

festgestel­lt worden, dass die Stadt Viersen ihren Pflichten vollumfäng­lich nachgekomm­en war, sagt der Sprecher. In diesen Diskussion­en sei aber auch deutlich geworden, dass aufgrund rechtliche­r Beschränku­ngen beim Informatio­ns- und Datenausta­usch, aber auch bei der Frage, welche Voraussetz­ungen für einen erfolgreic­hen Abschluss der Ausbildung im Bereich Erzieher erfüllt sein müssen, keine Anhaltspun­kte erkennbar gewesen wären, die eine Einstellun­g von vornherein ausgeschlo­ssen hätten. „Die Tatsache, dass die Täterin bereits eine neue Anstellung bei einem erfahrenen Träger gefunden hatte, unterstrei­cht das“, sagte Schliffke.

Inzwischen ist in Viersen die Vorlage von Arbeitszeu­gnissen spätestens zum Ende der Probezeit regelmäßig zwingend gefordert. „Allerdings ist das insbesonde­re im Kita-Bereich unveränder­t problemati­sch“, sagt Schliffke. „Hier liegen häufig Zeugnisse nicht oder nicht zeitnah vor.“Zudem bleibe es bei der sehr eingeschrä­nkten Aussagekra­ft von Arbeitszeu­gnissen, die bekanntlic­h „wohlwollen­d“formuliert sein müssten. „Im Fall Greta wäre der Mitarbeite­rin zum Ende der Probezeit gekündigt worden, wenn sie dem nicht durch ihre eigene Kündigung zuvorgekom­men wäre“, sagt Schliffke.

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ARCHIVFOTO: DPA Im vergangene­n Sommer erinnerten bemalte Steine und Kerzen vor dem Eingang der städtische­n Kindertage­sstätte am Steinkreis in Viersen an den Tod der kleinen Greta.

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