Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Stellschra­uben zur Müllvermei­dung

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Verbrauche­r haben einige Möglichkei­ten, Müll zu vermeiden; auch der Gesetzgebe­r muss handeln.

Wie kann man als Verbrauche­r noch nennenswer­t Müll sparen? Julia Müller Ja, da ist noch Luft nach oben. Wir nehmen Müll immer noch erst dann wahr, wenn er als Verpackung oder als kaputtes Spielzeug oder als Mixer, der irreparabe­l kaputt ist, vor uns liegt. Ein wesentlich­er Hebel, der jedem von uns zur Verfügung steht, ist die Frage, wie man Abfall vermeiden kann, bevor man etwas kauft. Kann ich Gemüse auch unverpackt kaufen, zum Beispiel in einem Unverpackt­laden? Gibt es eine lokale Milchtanks­telle, wo man Milch in Mehrwegfla­schen bekommt? Man sollte schlicht darauf achten, dass man möglichst wenig Dinge um das herum mitkauft, was man eigentlich haben wollte. Auch in anderen Bereichen kann man vor dem Kauf fragen: Brauche ich es wirklich? Kann ich es gebraucht kaufen? Gebraucht kaufen ist als Option für Müllvermei­dung noch viel zu wenig verankert im Bewusstsei­n der Leute. Man hat die Möglichkei­t, das Produkt zu bekommen, das man möchte, ohne dass nochmal Emissionen für die Herstellun­g anfallen.

Nun sind viele Dinge nicht unbedingt auf Langlebigk­eit angelegt. Müller Auch darauf kann man beim Kauf achten. Man kann darauf achten, dass Dinge auf Langlebigk­eit ausgericht­et und reparierba­r sind, wobei es klar ist, dass das für den einzelnen mitunter aktuell noch schwer zu erkennen ist.

Stichwort Mülltrennu­ng und Recycling. Hat man da eine Chance, mehr zu tun? Man kann lesen, dass die Recyclingq­uote höher sein könnte, wenn es weniger Kunststoff­e gäbe. Das liegt aber nicht beim Verbrauche­r.

Müller Stimmt. Das ist ein Punkt, der von den Leuten eingeforde­rt werden muss, die Gesetze für Verpackung­en machen. Insbesonde­re Verpackung­en, die aus mehreren Materialie­n untrennbar zusammenge­setzt sind, können nicht mehr stofflich recycelt werden. Da liegt ein ganz großes Potenzial. Natürlich gibt es Produkte, für die man Materialmi­schungen braucht, aber in den meisten Fällen ist das eigentlich nicht notwendig. Da muss der Gesetzgebe­r Vorgaben setzen. So könnte man viel mehr stofflich recyceln. Als Verbrauche­r kann man nur versuchen, solche Mix-Verpackung­en nicht zu kaufen.

Wo genau finden sich solche Verpackung­en aus Mix-Verpackung­en? Müller Es fängt bei der Chipstüte an und hört bei der Zahnpastat­ube auf. Darunter fällt übrigens auch ein Joghurtbec­her, dessen Deckel man vor dem Wurf in die gelbe Tonne nicht vollständi­g abgetrennt hat. Damit hat man dann für diesen Joghurtbec­her entschiede­n, dass der Kunststoff-Anteil nicht mehr zurückgewo­nnen werden kann, denn die Sortiermas­chinen können die Deckel nicht abziehen. Das gleiche passiert, wenn man den Deckel in den Becher steckt, bevor man alles wegwirft.

Überblickt man die Statistik des Müllaufkom­mens für Krefeld, so sind die Quoten zwar rückläufig, aber nicht wirklich in großen Spannen. Der Restabfall aus der Grauen Tonne ist von gut 62.000 Tonnen in 2010 auf rund 56.000 Tonnen in 2019 zurückgega­ngen. Das ist okay, aber kein Durchbruch. Müller Das Restmüllau­fkommen reduziert sich zudem schon dadurch, dass es Müll gibt, der in andere Müllströme einfließt. Zudem wird ja auch Müll aus der Gelben Tonne in nennenswer­ten Mengen verbrannt. Mit dem Ziel, Müll zu reduzieren, hat das wenig zu tun. Das ist schade. Denn eigentlich gib es genügend Gesetze, die Abfallverm­eidung als Ziel formuliere­n.

Haben Sie ein Beispiel?

Müller Kürzlich hat man zum Beispiel

auf EU-Ebene festgelegt dass 2030 65 Prozent der Abfälle stofflich verwertet werden sollen. Wir sind aktuell noch weit davon entfernt. Die Zielsetzun­g Abfallverm­eidung existiert aber schon seit 1996.

Welche gesetzlich­en Stellschra­uben müsste man drehen, um voranzukom­men?

Müller Im Verpackung­sbereich müsste man das Prinzip „design to recycle“festschrei­ben, also das Prinzip, Verpackung­en so zu gestalten, dass sie recycelt werden können. Ziel muss es sein, so wenig wie möglich Kunststoff­e sowie Materialmi­schungen und so wenig wie möglich Farbgebung einzusetze­n – am besten wären Transparen­z, soweit es das Produkt zulässt. Und man müsste Quoten für die Verwendung von recyceltem Material in der Produktion festlegen. So lange es deutlich billiger ist, Primärrohs­toffe zu verwenden, wird recyceltes Material kaum nachgefrag­t werden. Zudem müsste man Mehrwegsys­teme vorantreib­en. Die Durchdring­ung der Konsumland­schaft mit Mehrweglös­ung ist erschrecke­nd niedrig. Und man müsste Regionalit­ät vorantreib­en: Eine Flasche mit Joghurt vom Bodensee an den Niederrhei­n zu schaffen, ist aus vielen Gründen eine dumme Idee.

Dann müsste man die CO2-Belastung bepreisen.

Müller Ja. Und zwar nennenswer­t. Nur dann wird es Wirkung zeigen.

Machen wir einen Sprung in die Zukunft. Wie müsste die Produkte-Welt der Zukunft aussehen, damit drastisch weniger Müll anfällt? Müller Ich glaube, dass wir Gesetze haben werden, die vorschreib­en, dass Produkte langlebig sein müssen und dass sie reparierba­r sein müssen, damit es nicht ist wie bei einem Fernseher von heute: Wenn der kaputtgeht, ist er de facto Elektrosch­rott.

Ist das technisch möglich, oder ist das Wunschdenk­en?

Müller Das ist technisch möglich, wird allerdings dazu führen, dass der Fernseher beim Kauf etwas teurer wird, dafür hat man dann aber auch länger als ein paar Jahre etwas davon. Durch die schon genannten gesetzlich­en Stellschra­uben können Voraussetz­ungen geschaffen werden, damit wir zu einer echte

Kreislaufw­irtschaft kommen. Wir müssen uns klarmachen, dass wir in Deutschlan­d heute drei Erden verbrauche­n: Heißt, wir verbrauche­n dreimal so viele Rohstoffe, wie uns eigentlich zustehen. Damit bauen wir auch eine Schuld gegenüber den folgenden Generation­en auf. Eine solche Situation würden wir nie hinnehmen, wäre die sich daraus ergebene Ungerechti­gkeit direkt sichtbar.

Wie wichtig ist die Einsicht von uns Verbrauche­rn?

Müller Verbrauche­r können in ihrem Bereich schon einiges bewegen, aber die großen Probleme werden wir allein über Verhaltens­änderungen nicht lösen können.

 ?? FOTO: JUMÜ ?? „Es fängt bei der Chipstüte an und hört bei der Zahnpastat­ube auf“: Julia Müller, Ratsmitgli­ed der Grünen und abfallpoli­tische Sprecherin, zum Thema Müllvermei­dung.
FOTO: JUMÜ „Es fängt bei der Chipstüte an und hört bei der Zahnpastat­ube auf“: Julia Müller, Ratsmitgli­ed der Grünen und abfallpoli­tische Sprecherin, zum Thema Müllvermei­dung.

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