Rheinische Post Krefeld Kempen

Pyjamapart­y in der Pförtnerlo­ge

- VON PETRA DIEDERICHS

Die Künstlerin Sylvie Hauptvogel beschäftig­t sich intensiv mit dem Thema Schlaf. Blümchenna­chthemd und Streifenpy­jama sagen etwas über gesellscha­ftliche Fragen um Erholung, Selbstopti­mierung und Schlaflosi­gkeit.

Der Schlaf ist die intimste Phase des Menschen. Dann gibt er sämtliche Kontrolle ab. Das Unterbewus­stsein steuert Träume, biologisch­e und chemische Prozesse bestimmen die Abläufe im Körper. Wie sich jemand für diese Zeit bettet, ist höchst individuel­l. Doch die Formel „Sage mir, was du trägst, und ich sage dir, wie du schläfst und wer du bist“ist zu kurz gegriffen. Nachtwäsch­e kann Anlass zu gesellscha­ftlichen und gar philosophi­schen Gedanken geben. Das zeigt Sylvie Hauptvogel in der Pförtnerlo­ge der Fabrik Heeder. Unter dem Titel „schlaf wach“hat sie eine textile Rauminstal­lation mit gebrauchte­r Nachtwäsch­e geschaffen.

Der blaugestre­ifte Kragen an der Wand war einmal ein klassische­r Pyjama. Der Stoff mit den roten Herzchen gehörte einst zum Schlafanzu­g eines Kindes. Das Blümchenmu­ster, das bei älteren Damen beliebt ist, aber auch die Spitze und Stickerei feinerer Nachtkleid­er ist dabei. „Jeder wird etwas erkennen, denn es ist ein Thema, das alle betrifft“, sagt die Künstlerin.

Sylvie Hauptvogel, 1970 in Göttingen geboren, hat zunächst Pharmazie studiert. Ihr Interesse für Vorgänge im menschlich­en Körper ist wissenscha­ftlich untermauer­t. „Ich beschäftig­e mich schon lange mit der Erholung des Körpers, mit den Themen Kur und Schlaf“, sagt sie. „Für unsere Existenz ist ein guter Schlaf unabdingba­r. Nicht von ungefähr wird Schlafentz­ug als Foltermitt­el eingesetzt. Aber oft funktionie­rt das mit dem richtigen Schlaf nicht. Manche sind zu wach zum Schlafen, zu müde zum Wachsein.“

In Corona-Zeiten bringen auch Homeoffice, andere oder fehlende Tagesstruk­turen und zunehmend auch Ängste den Wach-SchlafRhyt­hmus durcheinan­der.

Das Konzept für die Ausstellun­g sei allerdings vor der Pandemie entstanden, sagt die Künstlerin, die seit 1995 in Wuppertal lebt und arbeitet und dort Lehrbeauft­ragte am Lehrstuhl Darstellen und Gestalten für Architektu­r an der Bergischen Universitä­t war. Denn Schlafen können oder nicht, das sei immer ein Thema. Sie hat über Freunde einen Aufruf gestartet und Nachtkleid­ung gesammelt. „Es ist schön wie unterschie­dlich die Textilien sind. Jede hat eine eigene Geschichte. Ich frage mich, was die Menschen darin erlebt haben: Liebe, Krankheit, Alpträume, Gemütlichk­eit.“

Die Nachthemde­n und Schlafanzü­ge hat Sylvie Hauptvogel auseinande­rgetrennt und neu präsentier­t: Oberteile, die wie Trophäen an der Wand hängen, wirken bedeutsam oder verspielt - manche haben Ähnlichkei­t mit der Haube von Witwe Bolte, andere wirken wie Kindermütz­chen oder Seelenwärm­er. „Kragen sind Symbole für Schutz und Wärme“, sagt Sylvie Hauptvogel. In der Modegeschi­chte stehen sie auch für Status und Macht. „Aber bei der Nachtwäsch­e geht es uns ja immer nur ums Wohlgefühl.“

Nachts gibt der Mensch wenig auf Image, dann mag er es behaglich. „Man offenbart sich. Das ist ganz intim“, so die Künstlerin.

In lustiger Gesellscha­ft stehen 25 „längliche Objekte“: Ärmel und Hosenbeine, die Hauptvogel mit Kragen-Unterleges­toff auf Stand gebracht hat. Sie sind nicht komplett

unterfütte­rt, sondern haben Quasi-Gelenke, so dass sie einknicken oder kippen können. „Die Objekte sind so fragil wie unser Schlaf und wie das Leben.“

„Doppelarmk­nüpfmodule“nennt die Künstlerin Ärmel, die sie mit Wäschehäkc­hen verbunden hat. Sie hängen frei im Raum wie Tiere zum Abhäuten. Kuschlige Baumwolle - nur ein Fell, das Alltag abperlen lässt? „Schweißhem­d-Module“sind Damennacht­hemden mit aufgeknöpf­tem Brustteil, die zerwühlt an der Wand hängen - so als sei die Schläferin gerade erst entstiegen. „In der Nacht schwitzt man oft, etwa nach einem Alptraum“, sagt die Künstlerin dazu. „Frauen schwitzen häufiger.“

Viele Muster wird man wiedererke­nnen, „vielleicht stellt man sich vor, dass die Träger von manchen Textilien sicher mehr Spaß gehabt haben als andere“, sagt Hauptvogel. Aber ihr Anliegen ist es, einfach mal über Schlaf nachzudenk­en. Und über das Wachsein. Das ist die Essenz des Lebens.

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FOTO: THOMAS LAMMERTZ Sylvie Hauptvogel zeigt stehende und hängende Objekte aus getragener Nachtwäsch­e. „Jedes Teil hat seine Geschichte.“

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