Rheinische Post Krefeld Kempen
Pyjamaparty in der Pförtnerloge
Die Künstlerin Sylvie Hauptvogel beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Schlaf. Blümchennachthemd und Streifenpyjama sagen etwas über gesellschaftliche Fragen um Erholung, Selbstoptimierung und Schlaflosigkeit.
Der Schlaf ist die intimste Phase des Menschen. Dann gibt er sämtliche Kontrolle ab. Das Unterbewusstsein steuert Träume, biologische und chemische Prozesse bestimmen die Abläufe im Körper. Wie sich jemand für diese Zeit bettet, ist höchst individuell. Doch die Formel „Sage mir, was du trägst, und ich sage dir, wie du schläfst und wer du bist“ist zu kurz gegriffen. Nachtwäsche kann Anlass zu gesellschaftlichen und gar philosophischen Gedanken geben. Das zeigt Sylvie Hauptvogel in der Pförtnerloge der Fabrik Heeder. Unter dem Titel „schlaf wach“hat sie eine textile Rauminstallation mit gebrauchter Nachtwäsche geschaffen.
Der blaugestreifte Kragen an der Wand war einmal ein klassischer Pyjama. Der Stoff mit den roten Herzchen gehörte einst zum Schlafanzug eines Kindes. Das Blümchenmuster, das bei älteren Damen beliebt ist, aber auch die Spitze und Stickerei feinerer Nachtkleider ist dabei. „Jeder wird etwas erkennen, denn es ist ein Thema, das alle betrifft“, sagt die Künstlerin.
Sylvie Hauptvogel, 1970 in Göttingen geboren, hat zunächst Pharmazie studiert. Ihr Interesse für Vorgänge im menschlichen Körper ist wissenschaftlich untermauert. „Ich beschäftige mich schon lange mit der Erholung des Körpers, mit den Themen Kur und Schlaf“, sagt sie. „Für unsere Existenz ist ein guter Schlaf unabdingbar. Nicht von ungefähr wird Schlafentzug als Foltermittel eingesetzt. Aber oft funktioniert das mit dem richtigen Schlaf nicht. Manche sind zu wach zum Schlafen, zu müde zum Wachsein.“
In Corona-Zeiten bringen auch Homeoffice, andere oder fehlende Tagesstrukturen und zunehmend auch Ängste den Wach-SchlafRhythmus durcheinander.
Das Konzept für die Ausstellung sei allerdings vor der Pandemie entstanden, sagt die Künstlerin, die seit 1995 in Wuppertal lebt und arbeitet und dort Lehrbeauftragte am Lehrstuhl Darstellen und Gestalten für Architektur an der Bergischen Universität war. Denn Schlafen können oder nicht, das sei immer ein Thema. Sie hat über Freunde einen Aufruf gestartet und Nachtkleidung gesammelt. „Es ist schön wie unterschiedlich die Textilien sind. Jede hat eine eigene Geschichte. Ich frage mich, was die Menschen darin erlebt haben: Liebe, Krankheit, Alpträume, Gemütlichkeit.“
Die Nachthemden und Schlafanzüge hat Sylvie Hauptvogel auseinandergetrennt und neu präsentiert: Oberteile, die wie Trophäen an der Wand hängen, wirken bedeutsam oder verspielt - manche haben Ähnlichkeit mit der Haube von Witwe Bolte, andere wirken wie Kindermützchen oder Seelenwärmer. „Kragen sind Symbole für Schutz und Wärme“, sagt Sylvie Hauptvogel. In der Modegeschichte stehen sie auch für Status und Macht. „Aber bei der Nachtwäsche geht es uns ja immer nur ums Wohlgefühl.“
Nachts gibt der Mensch wenig auf Image, dann mag er es behaglich. „Man offenbart sich. Das ist ganz intim“, so die Künstlerin.
In lustiger Gesellschaft stehen 25 „längliche Objekte“: Ärmel und Hosenbeine, die Hauptvogel mit Kragen-Unterlegestoff auf Stand gebracht hat. Sie sind nicht komplett
unterfüttert, sondern haben Quasi-Gelenke, so dass sie einknicken oder kippen können. „Die Objekte sind so fragil wie unser Schlaf und wie das Leben.“
„Doppelarmknüpfmodule“nennt die Künstlerin Ärmel, die sie mit Wäschehäkchen verbunden hat. Sie hängen frei im Raum wie Tiere zum Abhäuten. Kuschlige Baumwolle - nur ein Fell, das Alltag abperlen lässt? „Schweißhemd-Module“sind Damennachthemden mit aufgeknöpftem Brustteil, die zerwühlt an der Wand hängen - so als sei die Schläferin gerade erst entstiegen. „In der Nacht schwitzt man oft, etwa nach einem Alptraum“, sagt die Künstlerin dazu. „Frauen schwitzen häufiger.“
Viele Muster wird man wiedererkennen, „vielleicht stellt man sich vor, dass die Träger von manchen Textilien sicher mehr Spaß gehabt haben als andere“, sagt Hauptvogel. Aber ihr Anliegen ist es, einfach mal über Schlaf nachzudenken. Und über das Wachsein. Das ist die Essenz des Lebens.