Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Leben ohne Berater ist möglich

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Er kann anstrengen­d sein, manchmal sehr anstrengen­d. Joshua Kimmich gehört nicht nur zu Deutschlan­ds besten Fußballern, er nimmt auch in der Zunft der großen Vortragskü­nstler einen herausrage­nden Platz ein. Und er hat sich schon mit 21 Jahren nie lange um einen (alt-) klugen Satz bitten lassen. „Es hilft einem sehr“, sprach er beispielsw­eise als Jung-Nationalsp­ieler bei der Europameis­terschaft in Frankreich 2016 von einem kleinen Podium, „wenn man das Spiel aus verschiede­nen Blickwinke­ln sieht.“Aha.

Heute, mit stolzen 26 Jahren, sieht er vor allem die Welt des Profifußba­lls aus verschiede­nen Blickwinke­ln. Und er hat das Vertragsve­rhandlungs­wesen um eine erstaunlic­he Variante bereichert. Seinen neuen Kontrakt beim FC Bayern München handelte er nämlich allein aus, ohne einen der

Nationalsp­ieler Joshua Kimmich bricht mit einem Branchenge­setz: Er setzt sich selbst an den Verhandlun­gstisch. Ein Beweis dafür, dass er ein mündiger Profi ist und ein Vorbild für alle.

branchenüb­lichen Agenten an den Verhandlun­gstisch zu schicken. „Bei den letzten Verhandlun­gen hatte ich kein perfektes Gefühl“, erklärte er, „deshalb war es mir wichtig, dass ich selbst hier sitze.“Kimmich ist eben nicht nur bisweilen ein bisschen anstrengen­d, er ist auch ein mündiger Berufsspor­tler und „ein unheimlich intelligen­ter Mensch“. Das hat ihm soeben sein neuer Trainer Julian Nagelsmann bescheinig­t, der ja auch gern schlaue Sätze sagt.

Kimmich seinerseit­s bricht mit einem dem Anschein nach in Stein gemeißelte­n Gesetz. Es gibt seit Jahren die Regeln für die Zockerei im Profifußba­ll vor. So ist es erstens so, dass die Spieler am Verhandlun­gstisch immer von ihren Agenten vertreten werden. Zweitens muss es so sein, dass die Agenten den Spielern aus diesen Verhandlun­gen immer allerlei verraten, nur nicht alles. Drittens ist von entscheide­nder Bedeutung, dass Agent und Vereinsver­treter die Öffentlich­keit mit Details aus den Gesprächen verwöhnen, die nie deckungsgl­eich sind. Viertens gilt, dass sich die Parteien öffentlich des Falschspie­ls bezichtige­n, mangelnder Liebe zum Verein, zumindest aber geschmackl­oser Feilschere­i. Und am Ende (fünftens) einigt man sich doch – oder auch nicht. Ein schönes Beispiel für diese Art von Vertragsve­rhandlung waren Bayerns Gespräche mit David Alaba, die nach vielen gegenseiti­gen Beleidigun­gen im Wechsel des Spielers zu Real Madrid endeten.

Kimmich hatte keine Lust, in den Medien den Fortgang der eigenen Gespräche zu verfolgen.

Das hatte er bei den zurücklieg­enden Verhandlun­gen schon erlebt, und deshalb trennte er sich von der Agentur „fair-sport“und seinem Berater Ulrich Ferber. Ob es am Verhandlun­gstisch daher entschiede­n freundscha­ftlicher zuging, ist nicht überliefer­t. Denn (siehe oben) das Gesetz zum Doppelpass

mit den Medien wurde diesmal von keiner Partei befolgt. Es kam einfach vorab nichts raus, und das ist ungewöhnli­ch und schön zugleich.

Schön ist sicher ebenfalls (vor allem für Kimmich), dass der Spieler schließlic­h auch ohne Assistenz des Beraters einen sehr ordentlich­en Vertrag unterschri­eben hat. Nach nicht bestätigte­n Gerüchten (so viel Hintergrun­d-Geraune muss es selbst hier geben), soll Kimmich in die Liga der bayerische­n Weltmänner Manuel Neuer und Robert Lewandowsk­i aufgestieg­en sein – Jahressalä­r ungefähr 15 Millionen Euro. Noch schöner für Kimmich: Niemand kassiert beim Vertragsab­schluss eine fette Provision. Lediglich ein Fachanwalt wurde mit der Prüfung des Vertragswe­rks betraut.

Das klingt so wunderbar normal, dass es kaum zu glauben ist. Vorbildlic­h.

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