Rheinische Post Krefeld Kempen
Eine Frage der Balance
Ceviche steht in immer mehr Lokalen auf der Speisekarte. Dabei lässt sich der in Limettensaft gegarte Fisch auch zu Hause zubereiten – wenn ein paar Feinheiten beachtet werden.
Es ist alles eine Frage der Balance. Die perfekte Kombination aus Limettensaft, Salz und Schärfe ergibt nicht nur ein Gericht, sondern, wie es der Koch Juan Danilo poetisch umschreibt, 1000 Gerichte in einem: Ceviche. Vor einigen Jahren bereits hat die peruanische Art, frischen Fisch zuzubereiten, ihren Siegeszug auch in deutschen Restaurants angetreten. Kaum ein hippes Szene-Lokal, das nicht auch Variationen des schwer auszusprechenden Gerichts (gesprochen: Se-wi-tsche, abgeleitet vom Quechua-Begriff für „frischen Fisch“) auf der Karte führt. Wenngleich der Kreis derjenigen, die wissen, was sie mit Ceviche kulinarisch erwartet, immer größer wird, umgibt diese Genießer trotzdem immer noch eine gewisse Kennerschaft, mit der sie in der weitaus größeren Sushi-Gemeinde punkten können. Ist doch Ceviche heute so etwas wie Sushi für Connaisseure.
Wobei beide Kreationen zwar den rohen Fisch als Basis teilen, in der Zubereitung aber andere Wege einschlagen. Zurückzuführen ist die Methode, Fisch mit Salz und Fruchtsäure zu konservieren, wohl auf die Inkas. Sie nutzten dazu Tumbo, eine Passionsfrucht, und präparierten den Fisch zusätzlich mit Salz, um ihn von der Küste bis in die Anden transportieren zu können. Zudem griffen sie auf Pfefferschoten zurück, um dem Fisch Würze zu verleihen. Mit den spanischen Eroberern kamen Zitrusfrüchte ins Land, und zwar die grünen, besonders sauren, und wurden dort auch angebaut. Fischer begannen, ihren Fang mit Limettensaft einzulegen, um ihn derart haltbarer zu machen, sozusagen zu garen, und ihn, während sie am Hafen auf Abnehmer ihrer Ware warteten, zu verzehren. Dies war meist von 6 bis 11 Uhr morgens der Fall, und viele Cevicherias in Lima öffnen bis heute ausschließlich über Mittag, weil es nur vormittags frischen Fisch zu kaufen gibt.
Das Grundrezept für ein Ceviche mag einfach klingen, die Bandbreite an Variationen ist aber schier unerschöpflich. Was an der Liste der Zutaten liegt, die von Ingwer, Soja, Knoblauch über Sellerie und Zwiebeln bis zu Mirin, Koriander, Amaranth rund unzähligen anderen Gewürzen reicht, je nach Region, Koch oder Lust und Laune. Dazu kommt der unterschiedliche Umgang mit Limette und Salz, sowohl was das Mengenverhältnis als auch die Zeit angeht, in der der rohe Fisch in dem Sud liegt. Das Salz beizt den Fisch, die Limette denaturiert das in ihm enthaltene Eiweiß und sorgt dafür, dass sich die Konsistenz verändert. Wenn die richtige Balance aus Salz und Limette gewahrt wird, gart der Fisch quasi durch; natürlich muss auch der Zeitfaktor berücksichtigt werden sowie die Beschaffenheit des Fleisches.
In „Ceviche – Das Kochbuch“(Insel Verlag, 168 S., 29,90 Euro) gibt der peruanisch-deutsche Koch Danilo auch Tipps, wie das Gericht am besten gelingt. „Je kleiner die Fischstücke geschnitten werden, desto kürzer die Garzeit“, schreibt Danilo. „Das ideale feine Gleichgewicht erlangt man, indem man den Fisch während der kurzen Garzeit testet.“Zudem sollte man die Limette niemals bis zum letzten Tropfen ausdrücken, weil die Frucht in den Rändern besonders bitter ist. Zwiebel und Ingwer
sollten immer frisch geschnitten werden, weil der Oxidationsgrad der Zutaten dem Gericht sonst Frische und Geschmack nehme. Entscheidend für die Zubereitung ist auch die sogenannte Tigermilch, der weiße Saft, der entsteht, wenn Limettensaft, Salz und Ajíschoten mit dem Fisch in Berührung kommen. Früher wurde daraus ein Getränk zubereitet, heute wird laut Danilo die Tigermilch vorbereitet, um den Fisch darin zu marinieren.
Viele Fischarten galten bei den Peruanern früher als minderwertig, wie roter Thunfisch, Lachs, Schwertfisch oder Oktopus. Das änderte sich Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Einsatz von japanischen Gastarbeitern an der peruanischen Küste. Bis dahin nutzten die Einheimischen vor allem weißen Fisch, um ihn stunden- oder tagelang in Limettensaft einzulegen und
Ceviche Clásico
Zutaten (für vier Personen): 400 g Filet vom Adlerfisch, 1 gestrichener TL Salz, Saft von zehn Limetten (etwa 400 ml), 1 TL fein gewürfelter Ingwer, 1/2 gelbe Ají (Samen und Wände entfernen) oder 1/4 Habanero-Chili, 1 EL Korianderblätter, 1/2 kleine rote Zwiebel (ohne Strunk), 1 gekochte, in Scheiben geschnittene Süßkartoffel, 80 g gekochte Maiskörner, 3 EL klassische Tigermilch pro Fischportion
Zubereitung Den Fisch in 2 x 2 Zentimeter große Würfel schneiden, in eine Schüssel geben und salzen. Die Schüssel sollte aus Glas sein, damit kein Metallgeschmack an den Fisch gelangt. Nach etwa einer Minute den Fisch mit Limettensaft übergießen und mit einem Löffel gut durchmischen. Nicht länger als fünf Minuten im Kühlschrank marinieren lassen. Ingwer und gelbe
Ají sehr fein würfeln, die rote Zwiebel ihn so zu garen. Für die Japaner war das ein frevelhafter Umgang mit einem so wertvollen Produkt, das sie traditionell anders verarbeiteten. „Sie gaben den entscheidenden Impuls für die extrem kurze Garzeit, die heute bevorzugte Ceviche-Technik“, schreibt Danilo. „Darüber hinaus sind es die japanischen Messer und die überlegenen Schneidetechniken der damit vertrauten Köche, die dem Ceviche zu neuartigen und raffinierten Variationen verholfen haben.“Unter den besten Restaurants der Welt rangieren denn auch seit Jahren immer wieder Lokale aus Lima, zum Beispiel das „Maido“, das äußerst raffiniert peruanische und japanische Küche verbindet. Ceviche vereint sozusagen das Beste aus zwei kulinarischen Welten, fällt also unter das, was Gastrokritiker heute gerne als Fusion Food bezeichnen.
in Julienne schneiden und alles hinzufügen; den frisch geschnittenen Koriander beimengen. Mit den Süßkartoffelscheiben und dem Mais garnieren. Abschließend Tigermilch über das Ceviche geben und sofort servieren.
Klassische Tigermilch
Zutaten (für vier Portionen Ceviche): 90 g Fischreste oder -abschnitte, 1 TL gewürfelter Ingwer inklusive Schale, 1 TL gewürfelter Knoblauch, 1/2 gelbe Ají (Samen und Wände entfernen) oder 1/2 Habanero-Chili, 1 EL Koriander, 2 EL gewürfelte Staudensellerie (ohne Fäden), 4 EL Fischfond, 3 EL Wasser, 1/4 gewürfelte rote Zwiebel (ohne Strunk), Saft von zehn Limetten (etwa 330 ml), Salz nach Geschmack
Zubereitung Alle Zutaten in einen Blender geben oder mit einem Mixer zu einer homogenen Flüssigkeit pürieren. Die Zutaten sollten kalt sein. Wenn nötig, durch ein Sieb passieren und kalt aufbewahren.
Zumal in Zeiten gestiegener Verantwortung für die Ressourcen des Planeten auch das Ceviche insofern eine Veränderung erfährt, als dass es immer häufiger auch ohne Fisch zubereitet wird. „Der Fantasie sind bei der Zusammenstellung eines Ceviche keinerlei Grenzen gesetzt“, schreibt Danilo und schwärmt von einem Ceviche aus Pfirsichen und Birnen, das im Hafen von Callao in Lima kredenzt wird. Mittlerweile würden viele Cevicherias auf Gemüse als Grundlage zurückgreifen; Danilo selbst kreiert eine Variante aus Champignonköpfen, Zwiebeln, Sellerie und Koriander.
Wichtig für ein gelungenes Ceviche ist neben der schon erwähnten Balance auch die aromatische Schärfe, die mit peruanischem Pfeffer erreicht wird. In Peru gibt es etwa 300 verschiedene Pfefferschoten, Ají genannt, die alle unterschiedliche Schärfegrade aufweisen, aber im Vergleich zu den oft extremen Chilis aus Mexiko eher mild ausfallen. „Ajíschoten sind die Grundlage für die Geschmacksvielfalt der peruanischen Küche, und wer sie kennenlernt, will sie nicht mehr missen“, sagt Danilo. Als unentbehrlich für die Zubereitung von Ceviche bezeichnet der deutsch-peruanische Koch die gelbe Ají. Ihr Geschmack sei fruchtig, das Aroma süßlich mit einer deutlichen Paprikanote. Entferne man weiße Samen und Wände, schmecke sie süßlich. Sie sei die eigentliche DNA der peruanischen Küche. Außerdem wichtig: Limo, Rocoto und Panca. Alle Sorten seien im Spezialhandel oder online erhältlich.
Bleibt am Ende nur, sich selbst an ein Ceviche zu wagen und sich nicht von der jahrhundertealten Tradition abschrecken zu lassen. Auf dass es zu den von Danilo beschriebenen Geschmacksexplosionen komme. „Trotz seiner einfachen Zubereitung ist Ceviche ein aufregendes und komplexes Geschmackserlebnis: Je weniger Zutaten es hat, desto intensiver kann sich der Geschmack der einzelnen Zutat entfalten. Ein einziger Biss kann ein ganzes Universum entstehen lassen und uns in die eigene Kindheit oder an ungeahnte Orte versetzen.“
Leckere Rezepte zum Nachkochen
Ceviche ist heute so etwas wie Sushi für Connaisseure