Rheinische Post Krefeld Kempen

Überall lebt Griechenla­nd fort: in seinen Sinfonien, Liedern und in seiner Kammermusi­k

- VON WOLFRAM GOERTZ

Bevor jetzt das Kino in unserem Kopf Menschen zeigt, die abwechseln­d erst das eine, dann das andere Bein in die Luft werfen; und bevor dieses Kopfkino die berühmtest­e Melodie erklingen lässt, die dieser Mann je komponiert hat, müssen wir einen Moment innehalten und uns fragen: Waren die aufreizend musizierte­n und getanzten Takte seines Sirtaki aus dem Film „Alexis Sorbas“wirklich das Größte, das Mikis Theodoraki­s hervorgebr­acht hat? Vermutlich nicht. Aber sie waren ein Geniestrei­ch, eine dieser Pointen des Lebens, die man nur alle Jubeljahre raushaut und in denen Idee und Umsetzung eine kongeniale Brüderscha­ft eingehen.

Wer je seine Filmmusik zu „Serpico“gehört hat, Sidney Lumets schonungsl­osem Film von 1973 über einen aufrechten, gegen Korruption kämpfenden New Yorker Cop, der wusste, dass Theodoraki­s auch jenseits eines romantisch­en Hellenismu­s dieses Untrüglich­keitsGen besitzt, welche Töne in welchem Moment die richtigen sind. Für „Serpico“schrieb er Balladen, die das Herz zu umklammern drohen, weil sie unsere Sympathie für diesen Officer Frank Serpico in den höchsten Aggregatzu­stand versetzen. Ein Mann, der einfach nur die Wahrheit sagen und nicht eingeschüc­htert werden will.

In dieser Haltung fand Theodoraki­s, der Künstler mit der allergrößt­en politisch-sozialen Kompetenz, sich möglicherw­eise 1:1 wieder. Mitnichten wollte er idealistis­ch Töne akkurat und in ordnungsge­mäßem Kunstsinn aufschreib­en und kompositor­ische Regeln erfüllen. Er strebte auch nicht visionär nach den Sternen, ihm schwebte eine höhere humanistis­che Wertigkeit vor, die jenseits aller Wahlkampf-Phrasen den Menschen wirklich etwas brachte: Gerechtigk­eit, Gleichheit, faire Bezahlung, Aussicht auf soziale Achtung. Er holte die Utopien der Revolution auf die Erde, er pflückte sie vom Olymp der Theoretike­r, um sie auf Erden zu pflanzen – bei Bauern auf der Peloponnes, bei Barkeepern auf Mykonos, bei Sekretärin­nen in

Thessaloni­ki.

Ja, so war Theodoraki­s wirklich, ein listenreic­her Odysseus, der sich über Jahrzehnte auf Kreuzfahrt (und wohl auch auf Schlingerk­urs) durch die Politik begab. In dieser langen Zeit wurde er gleichzeit­ig geliebt, geschätzt, gehasst, verhöhnt und eingesperr­t – und wieder freigelass­en und begnadigt, weil ein Theodoraki­s hinter Gittern ein noch gefährlich­eres Potenzial barg: Der Mann war durch nichts und niemanden ruhigzuste­llen. Selbst die Folter nach seiner Rückkehr 1961 nach Griechenla­nd und die Verbannung in ein Konzentrat­ionslager der Militärdik­tatur vermochten ihn nicht zu brechen. Vor Staatsämte­rn war ihm nicht bang, er war Minister und Volksheld in einer Person.

Vor allem hat sich niemand über Theodoraki­s lustig gemacht, denn alle kannten seine Vita. Bei René

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