Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Stadt als Schwamm

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Bei der Starkregen-Vorsorge setzen immer mehr Kommunen auf ein neues Konzept. Dabei wird das Wasser nicht abgeleitet, sondern gespeicher­t und in Dürreperio­den genutzt. Die Umsetzung ist nicht so leicht.

Nach der Flut ist vor der Flut: Fast alle Städte und Kommunen in NRW befassen sich derzeit mit der Frage, inwieweit sie gegen eine Hochwasser­katastroph­e wie im Juli gewappnet sind. Und wie sich die Vorsorge optimieren lässt. Ein nicht mehr ganz neues Konzept verspricht dabei vielleicht nicht die Lösung, aber ein maßgeblich­er Weg dorthin zu werden: die sogenannte Schwammsta­dt. Für die Stadt Köln etwa liegt stadtplane­risch darin die Zukunft. Entwickelt und in die Wissenscha­ftsgemeind­e eingeführt, hat dieses Leitbild der Berliner Landschaft­splaner Carlo W. Becker bereits im Jahr 2013, als Strategie beim Wettbewerb Metropole Ruhr. Damals schon habe eine gewisse Dringlichk­eit bestanden, was die Umsetzung vieler Maßnahmen angehe, sagt Becker: „Wir müssen aber viel radikaler werden und eine größere Dynamik in das Thema hineinbrin­gen.“

Schwammsta­dt, was heißt das überhaupt? Vereinfach­t geht es darum, das Regenwasse­r nicht abzuführen, sondern wie in einem Schwamm zu speichern und verzögert abzugeben, wenn es gebraucht wird, nämlich in Dürreund Hitzeperio­den. Bislang werden große Wassermeng­en etwa bei Starkregen der Kanalisati­on zugeführt, die solche Kapazitäte­n gar nicht aufnehmen kann, oder es wird über versiegelt­e Flächen abgeleitet. Der Grundgedan­ke, Wasser abzuführen, sei über Jahrzehnte erlernt, sagt Becker, nur habe man die Kanäle nicht auf 100-jährige Regenereig­nisse ausgelegt, weil dies wirtschaft­lich nicht machbar sei: „Dieser Umgang mit Wasser fällt uns jetzt auf die Füße.“

Hier setzt die Schwammsta­dt an, die den Regen sammelt und nutzt. Nicht nur richtet das Wasser keinen Schaden an, sondern wenn es an Hitzetagen verdunstet, kühlt es noch die Umgebung. Was in der Theorie einleuchte­t, erfordert in der Umsetzung jedoch Paradigmen­wechsel in vielen Bereichen. Zum Beispiel im Verkehrsse­ktor. Statt mit Stellplätz­en könnten Straßen mit Versickeru­ngsmulden ausgestatt­et werden, sagt Becker. In Paris müssten in manchen Bezirken Parkplätze eigens dort angelegten Verdunstun­gsbeeten weichen. Zudem sollten viel mehr Dachfläche­n begrünt werden, was ebenfalls Wasser zurückhalt­e. Das Potenzial verwandelb­arer bestehende­r Dachfläche­n etwa in Berlin beziffert Becker auf rund 25 Prozent. Bei Neubauten sollte dies obligatori­sch sein.

Das Gute daran: Diese Maßnahmen lassen sich sogar nachträgli­ch umsetzen. Wenn Viertel neu gebaut werden, lässt sich das Schwammsta­dt-Konzept leichter direkt mitdenken und einarbeite­n – wie im Schumacher-Quartier, das auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel in Berlin entsteht. Es soll laut Becker ein komplett abflussfre­ies Siedlungsg­ebiet für mehr als 10.000 Menschen werden. Abflussfre­i heißt, das Regenwasse­r wird in einer Kaskade an Maßnahmen dezentral bewirtscha­ftet. Auf den Dächern wird das Wasser zurückgeha­lten, dann fließt es in Verdunstun­gs- und Versickeru­ngsflächen und wird zur Bewässerun­g von Bäumen und Fassaden genutzt. Überschüss­iges Wasser bei Starkregen wird in Rückhalteb­ecken geleitet oder über Notwasserw­ege in Bereiche geführt, wo es am wenigsten schadet. „Das Wasser wird bei einem Unwetter nicht in einem reißenden Fluss durch das Viertel rauschen“, sagt Becker.

Was sich jedoch dort von vornherein optimal gestalten lässt, muss in den Bestandsge­bieten aufwendig nachgerüst­et werden. Nur etwa ein Prozent der Stadtgebie­te würden pro Jahr neu gebaut, sagt Becker. Ansetzen müsse man dort, wo die Gefährdung am höchsten

„Es ist an der Zeit, sich ehrgeizige Ziele zu setzen“

Carlo W. Becker Landschaft­splaner ist, sagt er, und diese Risikogebi­ete resistente­r gegen Überschwem­mungen machen. Als Beispiel nennt der Landschaft­splaner die Emscher-Genossensc­haft, die sich als Ziel gesetzt habe, in 15 Jahren 15 Prozent der versiegelt­en Flächen in ihrem Einzugsgeb­iet beim Regenwasse­r-Management von der Kanalisati­on abzukoppel­n. Becker: „Das sollte grundsätzl­ich bei jedem Neubau das Ziel sein.“

Aber selbst die vorbildlic­hste Schwammsta­dt kann die ungeheuren Regenmenge­n, die im Juli in NRW und in Rheinland-Pfalz gefallen sind, nicht bewältigen. Daher gehören zum Konzept unbedingt auch Schwammlan­dschaften, sagt Becker. Es gelte, gerade im Einzugsber­eich der Flüsse die Landschaft­en ebenfalls aufnahmefä­higer für Wassermass­en zu gestalten. Darüber hinaus müsse Flüssen mehr Raum gegeben und Auen müssten als natürliche Rückhalter­äume genutzt werden. Viele Feuchtbere­iche seien trockengel­egt, sagt Becker, diese müssten in ihren Ursprungsz­ustand zurückgefü­hrt werden.

Mehrere Kommunen arbeiten daran, ähnliche Konzepte umzusetzen. So will die Stadt Essen sogenannte Baumrigole­n ausprobier­en. Darunter versteht man unter den Straßenbäu­men angelegte Regenwasse­rspeicherr­äume, über die die Bäume besser und länger mit Regenwasse­r versorgt werden sollen. Gleichzeit­ig kann Regenwasse­r auf der Straße in diesen Speichern zurückgeha­lten werden. In der von der Flut schwer getroffene­n Stadt Stolberg hat sich bereits eine Arbeitsgru­ppe getroffen, die Projekte gegen Hochwasser entwickeln soll, darunter die Ausweisung von Überschwem­mungsfläch­en.

Der Umbau der Städte und Flusslands­chaften sei kein Hexenwerk, sagt Becker. Er glaube aber, dass der Wille zwar da sei, aber niemand schmerzhaf­te Umbrüche in Kauf nehmen wolle. „Diese Strukturen müssen wir überwinden“, sagt Becker. „Es ist jetzt an der Zeit, sich ehrgeizige Ziele zu setzen – auch, wenn der Weg dahin unbequem ist.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany