Rheinische Post Krefeld Kempen
„Die Linken sind nicht lernbereit“
Der SPD-Fraktionschef über eine löchrige Rote-Socken-Kampagne der Union, die Regierungsfähigkeit der Linken und eigene Pläne.
Herr Mützenich, freuen Sie sich schon auf den ersten Koalitionsausschuss mit Janine Wissler und Dietmar Bartsch?
MÜTZENICH Ich würde mich freuen, wieder dem Bundestag und einer hoffentlich großen SPD-Fraktion anzugehören. Wer sich dann über Koalitionsfragen Gedanken machen kann, darüber entscheiden die Wählerinnen und Wähler.
Rot-Rot-Grün ist für viele in der
SPD eine attraktive Option. MÜTZENICH Attraktiv ist für mich keine politische Kategorie. Ich werbe bei den Menschen für unsere Arbeit und Überzeugungen. Andere Parteien haben in der Vergangenheit Verantwortung gescheut und reden heute schon wieder über Ministerämter. Das ist mir fremd.
Welche Bedingungen muss die Linkspartei für eine Regierungsfähigkeit erfüllen?
MÜTZENICH Die beste Voraussetzung wäre, dass die SPD so stark wird, dass wir nur mit einer Partei zu koalieren brauchen. Jeder weiß, dass ein zukünftiger Kanzler Olaf Scholz eine stabile Regierung anführen will und nicht auf unsichere Kantonisten setzen wird. Wenn es nach der Wahl möglich ist, wollen wir als Erstes versuchen, mit den Grünen belastbare Verabredungen zu treffen.
Die Linken-Spitze lehnt einen NatoSchwur ab, spricht von „Bekenntnisquatsch“. Was braucht die SPD noch für einen Ausschluss?
MÜTZENICH Die Linken sind offensichtlich nicht lernbereit. Das haben wir bei ihrer mehrheitlichen Enthaltung zum nachträglich erteilten Bundestagsmandat für den Bundeswehr-Rettungseinsatz in Kabul gesehen. Dabei hatten Linke zuvor ja dafür plädiert, bestimmte Personen aus Afghanistan herauszubringen. Man kann nicht auf der einen Seite die Liste der Hilfesuchenden füllen, und auf der anderen Seite den Bundeswehreinsatz torpedieren. Das passt nicht zusammen. Ich hätte erwartet, die Linke wäre zumindest bereit, sich originären Blauhelm-Einsätzen der Vereinten Nationen zu nähern. Die Führung von Partei und Fraktion sah sich dazu nicht in der Lage. Damit hat sich die Linke weitgehend aus der bundespolitischen Debatte verabschiedet.
Mit einer klaren Absage könnte die SPD der Rote-Socken-Kampagne der Union den Boden entziehen.
MÜTZENICH Diese Rote-Socken-Kampagne von CDU und CSU ist sowasvon durchlöchert und hat bei so vielen Waschgängen doch längst alle Farbe verloren. Es ist traurig, dass gerade die Bundeskanzlerin diesen Stil übernommen und ihre letzte Rede im Parlament zu einem Wahlkampfauftritt auf Bierzeltniveau gemacht hat. Etwas mehr Würde wäre einer Abschiedsrede im Deutschen Bundestag nach 16 Jahren Kanzleramt angemessen gewesen. So ordnet sie sich einer CDU unter, die offensichtlich nur noch platte Angriffe zu bieten hat.
Kuschelig dürfte es zwischen SPD und Grünen nicht werden, bei Klimaschutz und Industriepolitik gibt es erhebliche Unterschiede. MÜTZENICH Rot-grüne Schnittmengen sind weiterhin da. Die Umsetzung etwa eines europäischen
Lieferkettengesetzes, das die SPD in Deutschland ermöglicht hat, könnte man sicher gut zusammen mit den Grünen anreichern und verbessern. Umgekehrt müssen die Grünen natürlich sehen, dass ihre sehr stark an bestimmten Milieus orientierte Politik von uns mit einer gesamtgesellschaftlichen Vision beantwortet wird. Wir haben das ganze Land im Blick. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass SPD und Bündnis90/ Die Grünen sich am Ende auf ein gutes Zukunftsprogramm verständigen könnten.
Sie würden Verbote von Verbrennern und Kurzstreckenflügen mittragen? MÜTZENICH Wir werden über alle Themen sprechen. Ich bin gespannt, was die Grünen in mögliche Verhandlungen überhaupt einbringen werden. Frau Baerbock hat gelernt, dass bestimmte öffentliche Verknüpfungen mit Verboten oder Geboten sich für die Grünen nicht auszahlen. Die Menschen sollen nicht abgeschreckt, sondern mitgenommen werden. Wir brauchen klare Bedingungen zur Bewältigung
der menschengemachten Klimakrise – und wir wollen ein starkes Industrieland bleiben.
Sie schwärmen für Rot-Grün, was die Umfragen momentan gar nicht hergeben. Wie wollen Sie die FDP von einer Ampel überzeugen? MÜTZENICH Wenn es auf die FDP ankommt, darf sie sich dem Dienst an unserem Land nicht erneut verweigern. Die nötigen Schnittmengen werden wir wenn nötig identifizieren. Es geht dann nicht alleine um die Steuerpolitik, sondern auch um Zukunftsfragen wie Rente, Bildung und Digitalisierung. Da gibt es Möglichkeiten, zueinander zu finden.
Möchten Sie Fraktionschef bleiben oder drängt es Sie ins Kabinett? MÜTZENICH Ich möchte ein guter Wahlkreisabgeordneter bleiben und meine Erfahrungen und Überzeugungen in die Bundestagsfraktion einbringen. Partei und Fraktion steckten vor zwei Jahren nach dem Rückzug von Andrea Nahles in einer existenziellen Krise. Ich habe zusammen mit meinen 151 Kolleginnen und Kollegen einen Beitrag dazu geleistet, dass die SPD stabil bleibt. Seitdem hat die Fraktion Ruhe und Verlässlichkeit ausgestrahlt, die uns bei den Meinungsumfragen nun auch zugute kommt. Das zeigt, wie wichtig eine starke und vernünftige Regierungsfraktion auch in Zukunft sein wird. Dazu will ich beitragen.
Die SPD blockiert seit Jahren die Bewaffnung von Drohnen für die Bundeswehr, angeblich sei die Debatte noch nicht ausreichend geführt worden. Ist das vorgeschoben? MÜTZENICH Nein. Es gibt sehr gute Argumente auf beiden Seiten. Ich bin etwas enttäuscht von Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die eine Debatte darüber eingefordert, sie aber kaum wahrnehmbar geführt haben.
Die Verteidigungsministerin und der CDU-Chef fordern nach dem Afghanistan-Desaster vehement diese Fähigkeit für die Bundeswehr. MÜTZENICH Die Vorfälle aus Afghanistan liefern doch auch Gegenargumente. Zum Beispiel, als eine USDrohne angeblich einen Anschlag in Kabul verhindert haben soll, dabei aber auch eine afghanische Familie tötete, die in die USA ausreisen wollte. Und auch in Mali hätte eine bewaffnete Drohne den letzten Selbstmordanschlag auf unsere Truppen nicht verhindern können. Dennoch gibt es auch für die Beschaffung nachvollziehbare Argumente. Derzeit wird ein Bericht einer von uns beauftragten Kommission unter dem Vorsitz von Herta DäublerGmelin erarbeitet, deren Ergebnisse wir noch abwarten wollen.
Braucht es im neuen Koalitionsvertrag nach der Ära Trump noch ein Bekenntnis zum deutschen Zwei-Prozent-Ziel in der Nato? MÜTZENICH Dieser platte Fokus auf das Zwei-Prozent-Ziel hilft uns und unseren Verbündeten nicht weiter. Den Interessen Deutschlands und der Nato wäre mehr geholfen, wenn wir im nächsten Koalitionsvertrag konkret festhalten, wie wir die sicherheitspolitischen Herausforderungen angehen wollen.