Rheinische Post Krefeld Kempen
Wieler und Spahn werben fürs Impfen
Die aktuelle Impfquote von knapp 62 Prozent reicht nicht aus, um die ansteckende Delta-Variante zu beherrschen. RKIPräsident Wieler warnt vor einem „fulminanten Verlauf“der vierten Welle.
BERLIN Mit einer Aktionswoche will die Bundesregierung die zu niedrigen Impfquoten weiter nach oben treiben. Bund, Länder und Kommunen wollen dazu in der kommenden Woche die Vor-Ort-Angebote der Impfungen gegen Covid-19 ausweiten. Beteiligen können sich auch Vereine und Initiativen, die mit Ärzten oder Impfzentren zusammenarbeiten. Die notwendigen Impfstoffe können über Apotheken bezogen werden, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch sagte: „Der Impfstoff ist da.“
Inzwischen sind knapp 62 Prozent der Bevölkerung in Deutschland doppelt geimpft. Dennoch reicht diese Quote nicht aus, um die Delta-Virusvariante einzudämmen. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, erinnerte eindringlich daran, dass die Pandemie nicht vorbei sei: „Wenn wir die aktuellen Impfquoten nicht drastisch steigern, dann kann die aktuelle vierte Welle im Herbst einen fulminanten Verlauf nehmen.“Die vierte Welle hätte sich laut Wieler nur verhindern lassen können, wenn mindestens 85 Prozent der Zwölfbis 59-Jährigen und 90 Prozent der über 60-Jähren geimpft wären.
Schon jetzt steige die Zahl der Covid-19-Patienten an, die im Krankenhaus behandelt werden. Die Intensivbettbelegung habe sich in den vergangenen zwei Wochen fast verdoppelt, mehr 1300 Menschen seien derzeit Corona-bedingt in Intensivbehandlung, so Wieler. Zunehmend seien die Jüngeren betroffen, im Krankenhaus befänden sich derzeit vor allem Menschen zwischen 35 und 59 Jahren. Der RKIPräsident warb für die Impfungen als das „mächtigste Werkzeug, das wir im Kampf gegen Covid-19 haben.“Je mehr Menschen sich impfen lassen würden, „desto weniger schlimm wird die vierte Welle“.
Angesichts steigender Infektionszahlen forderte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute
Teichert, einen intensiven Einsatz sogenannter Lollytests an Schulen und Kitas. Die Entwicklung der Infektionen in Schulen und Kitas müsse sehr genau beobachtet werden: „Dazu ist es sinnvoll, intensiv zu testen. Die sogenannten Lollytests haben sich dafür bewährt. Es ist sinnvoll, sie bundesweit flächendeckend einzusetzen.“
Die Gesundheitsämter seien jetzt in der Verantwortung, zu entscheiden, ob bei Corona-Fällen in Schulen nur einzelne positiv getestete Kinder in die Quarantäne müssen oder gegebenenfalls weitere Personen
aus der Klasse – bei größeren Ausbrüchen vielleicht sogar die Klasse. Dies könnten die Ämter fachlich auch leisten. „Das Problem ist aber, dass wegen der steigenden Inzidenz viele Ämter personell wieder an ihre Grenzen kommen“, mahnte Teichert. Sie schlug Alarm, dass die Ämter nicht mehr überall die Kontaktpersonen nachverfolgen könnten: „Bei einer hohen Zahl von positiv Getesteten ohne gleichzeitigen Lockdown haben die Menschen häufig so viele Kontakte, dass eine grundsätzliche und umfängliche Nachverfolgung nicht mehr zu leisten ist.“
Kassenärzte-Chef Andreas Gassen fordert begrenzte QuarantäneRegelungen an Schulen und bewerte das Vorgehen in Nordrhein-Westfalen positiv: „NRW hat hier den richtigen Weg eingeschlagen: Wir begrüßen die Entscheidung, dass künftig nur noch das mit dem Coronavirus infizierte Kind in Quarantäne muss.“Dieser Entschluss sollte von den anderen Ländern übernommen werden: „Kinder sind schon viel zu lange die besonders Leidtragenden der Pandemie.“Die Folgen von langen Isolationszeiten und von Wechselunterricht seien für Kinder „wohl viel schädlicher als mögliche Risiken durch Long-Covid-Symptome“.
Gesundheitsminister Spahn appellierte erneut an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. Das Impfen sei zwar eine freie Entscheidung, zugleich aber „eine Entscheidung, die andere betrifft“, so Spahn. „Jede einzelne Impfentscheidung entscheidet auch darüber, wie sicher wir gemeinsam durch Herbst und Winter kommen“, mahnte der Minister an. Mit Blick auf das derzeitige Infektionsgeschehen sprach Spahn von einer „Pandemie der Ungeimpften“. Die Inzidenzen unter den Ungeimpften seien bis zu 14-mal so hoch wie unter Geimpften. Unter den Covid-19-Patienten auf Intensivstationen seien bis zu 95 Prozent Ungeimpfte.
Zugleich nutzte der CDU-Politiker die Werbung für das Impfen auch für Wahlkampfbotschaften. Durch die Impfkampagne sei Deutschland seinem „guten Ruf als Logistikweltmeister gerecht“geworden. Man habe bislang 100 Millionen Impfungen in acht Monaten verabreicht, die logistische Umsetzung sei „problemlos“verlaufen, so Spahn. Die bis zu 1,4 Millionen Impfungen innerhalb eines Tages, die Deutschland erreicht habe, habe „fast kein anderes Land auf der Welt und kein anderes Land in Europa geschafft“, so Spahn.