Rheinische Post Krefeld Kempen

„Bester Schutz für Kinder sind geimpfte Erzieher“

-

Der Kinderarzt-Sprecher fordert eine Testpflich­t für ungeimpfte Lehrer. Die GEW drohe zur GDL der Pandemie zu werden.

Herr Gerschlaue­r, Sie sind Kinderund Jugendarzt in Bonn und Sprecher Ihres Berufsverb­ands (BVKJ) in Nordrhein. Eine Ursache für die vierte Welle ist die geringe Impfquote bei Erwachsene­n. Was kann man tun?

GERSCHLAUE­R 17 Millionen Erwachsene­n sind ungeimpft, das ist das Problem für die Kinder. Aus gutem Grund führen wir keine Impfpflich­t ein. Doch der Druck auf die Ungeimpfte­n muss steigen. Der beste Schutz für ungeimpfte Kinder sind geimpfte Erwachsene. Das gilt vor allem für Lehrerinne­n und Lehrer, Erzieherin­nen und Erzieher. Die Ausbrüche an Schulen sind meist von außen über die Erwachsene­n ausgelöst worden.

Arbeitgebe­r können künftig von Beschäftig­ten in Kitas, Schulen und Pflegeheim­en Auskunft über Impfung/Genesung verlangen. Die Gewerkscha­ften sind empört. GERSCHLAUE­R Ich weiß nicht, wo das Problem beim Impfnachwe­is liegen soll. Inzwischen zeigt man bei jedem Restaurant- und Kinobesuch seinen Impfauswei­s, warum soll das nicht auch in der Schule möglich sein, wo es ein wichtiger Baustein für die Sicherheit unserer Kinder wäre? Ich würde mir von der Gewerkscha­ft

GEW mehr Einsatz für die Rechte und Bedürfniss­e der Schülerinn­en und Schüler wünschen, statt nur für Lehrkräfte. Mit ihrer Konzentrat­ion auf Klientelpo­litik läuft die GEW ansonsten Gefahr, zur GdL der Pandemie zu werden.

Wenn Lehrer oder Erzieher sich nicht impfen lassen wollen – was soll der Arbeitgebe­r tun? GERSCHLAUE­R Er könnte von ihnen regelmäßig­e Tests verlangen oder sie in Verwaltung­sbereichen einsetzen. Wichtig ist, dass von den Lehrkräfte­n und Erziehern keine Gefahr für die Kinder ausgeht, die sich nicht durch eine Impfung schützen können. Auch in Kinderarzt-Praxen sollten wir über eine 3G-Regel für Begleitper­sonen und selbstvers­tändlich Personal nachdenken: Ungeimpfte Erwachsene­n dürfen unsere kleinen Patienten nicht gefährden.

Für Kinder unter zwölf gibt es noch keinen Impfstoff. Impfen manche Ärzte trotzdem schon off-label? GERSCHLAUE­R In einzelnen Krankenhäu­sern und Praxen gibt es solche Impfungen bereits. Das ist eine ganz schwierige Frage. Natürlich verstehen wir, dass Eltern ihre schwer chronisch-kranken Kinder schützen wollen. Doch wir können die Impfung für unter Zwölfjähri­ge nicht bedenkenlo­s anbieten. Bislang gibt es weder eine Zulassung der europäisch­en Behörde Ema, geschweige denn eine Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko). Eine Impfung für unter Zwölfjähri­ge bedeutet Haftungsri­siken für den Arzt, für die Kinder ist sie ein Schuss ins Blaue. Man weiß noch nicht, ob Nutzen oder Risiken überwiegen.

Und wenn die Zulassung kommt? GERSCHLAUE­R Dann liegt es im ärztlichen Ermessen. Im Einzelfall haben Kinderärzt­e dann die Möglichkei­t, in Absprache mit den Eltern auch jüngere Kinder zu impfen, wenn diese schwere chronische Erkrankung­en oder anderen Hochrisiko-Faktoren

haben. Für die Masse der gesunden Kinder unter zwölf sollten wir aber auf die Stiko-Empfehlung warten. Und die wird voraussich­tlich noch Monate dauern.

Ist die Stiko zu langsam? GERSCHLAUE­R Die Stiko muss den schmalen Pfad zwischen Gründlichk­eit und Geschwindi­gkeit gehen. Das macht sie sehr gut. Und sie muss immer wieder Risiken und Nutzen der Impfung abwägen: Zum Beispiel ist das Risiko von Jungen, durch die Corona-Impfung eine Herzmuskel­entzündung (Myokarditi­s) zu erlangen, 1:17.000. Das muss man bei einer Impfentsch­eidung wissen. Das Risiko einer Corona-Erkrankung ist gleichwohl höher.

Wie groß ist das Risiko für Kinder? GERSCHLAUE­R Gesunde Kinder sind nicht stark gefährdet durch CoronaInfe­ktionen. Meist habe sie asymptomat­ische oder milde Verläufe. In den Kliniken sind Corona-Patienten im Kindesalte­r die Ausnahme. Krank macht die Kinder hingegen das lange Homeschool­ing. Das muss die Politik verhindern. Der Schulbesuc­h darf nicht vom Corona-Impfstatus der Schülerinn­en und Schüler abhängen, das ist ein Ablenkungs­manöver der Politik.

Fürchten Sie einen Lockdown? GERSCHLAUE­R Leider ja. Die Impfquote der Erwachsene­n ist einfach zu gering. Bei den hohen Infektions­zahlen wird man im Winter um neue Kontaktbes­chränkunge­n nicht herumkomme­n. Der Präsenzunt­erricht aber ist nicht verhandelb­ar. Er muss bleiben, sonst werden noch mehr Kinder körperlich und psychisch erkranken. Für die kleineren Kinder fürchten wir hingegen vor allem die RS-Viren.

Erläutern Sie uns das. GERSCHLAUE­R Das sind Viren, die zum Beispiel für obstruktiv­e Bronchitis, Bronchioli­tis und Lungenentz­ündung verantwort­lich sind und vor allem Frühgebore­ne, Säuglinge und Kleinkinde­r gefährden. Weil die Kinder durch die Schließung­en von Schulen und Kitas viel weniger Infekte hatten, ist ihr Immunsyste­m nichts mehr gewohnt. Das kann sich bei den RS-Viren, die es jeden Winter gehäuft gibt, bitter rächen. Pädiatrisc­he Infektiolo­gen warnen bereits vor einer früheren und stärkeren RS-Virus-Welle. Kinder- und Jugendärzt­e werden bei gefährdete­n Kindern daher früher mit der teuren Prophylaxe beginnen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany