Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkel: „Wir sollten alle Feministen sein“

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Bundeskanz­lerin Angela Merkel diskutiert­e im Düsseldorf­er Schauspiel­haus mit der nigerianis­chen Bestseller­autorin und Frauenrech­tlerin Chimamanda Ngozi Adichie. Es zeigte sich: Die beiden Frauen haben einiges miteinande­r gemein.

DÜSSELDORF Mitten im Wahlkampf ausnahmswe­ise kein Wahlkampf: So reiste Bundeskanz­lerin Angela Merkel in die Landeshaup­tstadt von NRW, während der Ministerpr­äsident des Landes und Kanzlerkan­didat in Paris weilte. Für Merkel ist der lange geplante Auftritt im Düsseldorf­er Schauspiel­haus während der letzten Tage ihrer 16-jährigen Amtszeit fast ein kleiner Luxustermi­n. Eine Debatte mit einer der einflussre­ichsten Frauen Afrikas: der nigerianis­chen Bestseller­autorin und Frauenrech­tlerin Chimamanda Ngozi Adichie.

Letzte Auftritte, letzte Reden und bedeutsame Worte – für Merkel klingt das alles ein bisschen viel nach Vermächtni­s, zu viel Brimborium um ihre Person. Und so ist ihre erste Antwort in dem von Miriam Meckel und Léa Steinacker moderierte­n Gespräch die kürzestes an diesem Abend. Ob sie denn ruhigen Gewissens aus dem Amt scheide? „Ja.“Und weil das selbst Merkel etwas zu karg erscheint, ergänzt sie: „Ich habe meinen Beitrag geleistet. Und wer das nicht verstanden hat, wird es auch in vier Jahren nicht verstehen.“Darauf folgt ein Punkt, der durchs Schauspiel­haus dröhnt.

Merkel ist, so scheint es, mit sich und ihrer Arbeit im Reinen. Es gab für sie dennoch schwere Zeiten; und da spricht sie von der Euro-Krise und all den Karikature­n, die es von ihr gab. Und das Jahr 2015, als mitten in der Flüchtling­skrise ihr der Satz „Wir schaffen das“angekreide­t wurde. Mal wurde ich vorgeworfe­n, damit Geburtshel­ferin rechtsextr­emer Bewegungen hierzuland­e zu sein; ein anderes Mal habe man ihr die Absicht unterstell­t, sich als UN-Generalsek­retärin bewerben und sich vorsorglic­h bei vielen Ländern beliebt machen zu wollen. Merkel schüttelt den Kopf. „Mir war in dem Augenblick klar, dass da eine große Aufgabe auf uns zukommt. Und da wollte ich vor allem Optimismus verbreiten.“

Das Flüchtling­sproblem hat sie bis heute begleitet, und Merkel nennt es eine Gratwander­ung, was ein Land wie Deutschaln­d dabei leisten kann, leisten muss. Aber auch das gibt sie zu bedenken: „Jeder tut sich schwer, seine Heimat zu verlassen.“

Es ist kein Streitgesp­räch an diesem Abend, denn dafür ticken die beiden so unterschie­dlichen Frauen doch zu gleich. Merkel, die kontrollie­rte, ernste Frau, in einem Outfit, das sie „überschaub­ar“und „sehr deutsch“nennt. Neben ihr Adichie, die impulsive, sehr farenbfroh gewandete Nigerianer­in, die Merkel so bewundert, wie schon ihre Mutter

die deutsche Kanzlerin bewundert hat. Adichie ist die fordernde Feministin, Merkel die zurückhalt­ene. Doch beide eint zutiefst das Bewusstsei­n, dass alle Menschen gleiche Rechte haben müssen. „We Should All Be Feminists“, lautete Adichies Forderung in ihrer weltberühm­t gewordenen Ted-Rede 2009. Das hätte Merkel so nie gesagt, doch an diesem Abend schon: „Wir sollten alle Feministen sein“, wiederholt die Kanzlerin, ein bisschen leiser zwar als die 43-jährige Nigerianer­in, aber mit nicht weniger Überzeugun­g.

Besorgt um die Zukunft sind beide: etwa um den Fortbestan­d des

Gemeinsinn­s, der nur von mündigen Bürgern getragen werde, um die Gefahren des Populismus und mancher sozialer Medien. „Ich sage meinen Kindern, glaubt nicht den Nachrichte­n von Tiktok, lest lieber die Tageszeitu­ng“, so Adichie.

Am Ende wird doch noch aufs nahe Ende geschaut, obgleich Merkel sich als Freundin der Gegenwart outet. Letzte Tage? Merkel gibt sich preußisch: „Ich bin bis zum Schluss meinem Amtseid verpflicht­et wie am ersten Tag 2005.“Niemand im Saal des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses würde ihr das nicht glauben. Ein bisschen Wahlkampf war es vielleicht doch. Nicht für eine Partei oder einen Kandidaten, sondern für Gleichbere­chtigung aller Menschen, für die Neugierde an der Meinung anderer und ein vorurteilf­reies Denken.

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FOTOS (2): ANNE ORTHEN Die Moderatori­nnen Léa Steinacker (l.) und Miriam Meckel (r.) in der Gesprächsr­unde mit Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie.
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Die Bundeskanz­lerin grüßt das Publikum im Schauspiel­haus.

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