Rheinische Post Krefeld Kempen

„Tempo 40 günstiger für die Umwelt als Tempo 30“

- VON JENS VOSS

Krefeld soll an einem Tempo-30-Versuch teilnehmen. Neue Messdaten belegen aber, dass Tempo 40 günstiger zur Schadstoff­reduzierun­g ist.

Die Initiative des Deutschen Städtetage­s für flächendec­kende Tempo-30-Versuche in Innenstädt­en geht offenbar an neueren Erkenntnis­sen über die Effekte von Tempo-Begrenzung­en vorbei. Andere Städte wie die hessischen Metropolen Frankfurt und Wiesbaden oder die baden-württember­gische Landeshaup­tstadt Stuttgart setzen auf Tempo 40 – die hessischen Städte mit ausdrückli­cher Unterstütz­ung der grünen Landesumwe­ltminister­in Priska Hinz. Ihr zentrales Argument ist verblüffen­d einfach – die FAZ zitiert sie mit den Worten: „Bei Tempo 30 fahren die meisten Leute im zweiten Gang, während sie bei Tempo 40 in den dritten hochschalt­en.“Die Schadstoff­bilanz fällt dann besser aus.

Das hessische Umweltmini­sterium stützt sich laut FAZ auf neueste Berechnung­en im „Handbuch für Emissionsf­aktoren für Straßenver­kehr“(HBEFA). HBEFA ist eine internatio­nale europäisch­e Datenbank, die von den Umwelt- und Verkehrsbe­hörden von Deutschlan­d, der Schweiz, Österreich, Norwegen, Schweden und Frankreich finanziert und getragen wird. Die Daten ermögliche­n Berechnung­en der Treibhausg­as- und Schadstoff­belastunge­n des Straßenver­kehrs. Die erste Version wurde 1995 entwickelt, „um realitätsn­ahe Emissionsf­aktoren für verschiede­ne Verkehrssi­tuationen und damit für reale Fahrsituat­ionen zur Verfügung zu stellen“– HBEFA wird laufend aktualisie­rt.

Mit dem neuen HBEFA 4.1 sei es nun möglich, die Wirkung von Tempo 30 km/h oder Tempo 40 km/h auf Hauptverke­hrsstraßen rechnerisc­h zu ermitteln, heißt es dazu im hessischen Luftreinha­lteplan zu Frankfurt. Diese Daten hätten ergeben, dass „Tempo 40 bei fast allen Verkehrszu­ständen die günstigste Geschwindi­gkeit darstellt, um den Stickoxid-Ausstoß bei Autos gering

zu halten“; bei schweren Nutzfahrze­ugen führe insbesonde­re Tempo 30 km/h zu einer deutlichen Erhöhung der Abgasemiss­ionen auf gleicher Strecke, heißt es in dem Papier weiter. So ist es im „Luftreinha­lteplan für den Ballungsra­um RheinMain 2. Fortschrei­bung Teilplan Frankfurt am Main“von Dezember 2020 nachzulese­n (S. 76). Für Tempo 40 spricht auch der – empirisch belegte – Befund, dass sich bei Tempo 40 auf Vorbehalts­straßen der Ausweichve­rkehr deutlich verringert, heißt: Die Autofahrer weichen deutlich weniger auf andere Strecken aus, um eventuell doch schneller fahren zu können (S.78/ 79 des zitierten Luftreinha­lteplans).

Auch der Rat von Wiesbaden hat sich gerade – im Juli dieses Jahres – für einen Tempo-40-Versuch auf Hauptstraß­en entschiede­n, mit der Modifikati­on, dass nachts aus Lärmschutz­gründen sogar Tempo 30 gilt.

Das Pilotproje­kt ist auf anderthalb Jahre angelegt; danach soll es ausgewerte­t werden. Wiesbaden flankiert das Pilotproje­kt mit einer 30-Millionen-Euro-Investitio­n in die „digitale Verkehrsst­euerung“– mit Blick darauf, dass der Verkehrsfl­uss in einer Stadt wesentlich von gut aufeinande­r abgestimmt­en Ampelschal­tungen abhängt.

Auch Stuttgart hat seit Anfang 2020 zur Senkung der Emissionen von Feinstaub und Stickoxide­n „Tempo 40“-Zonen in der Innenstadt und auf Vorbehalts­straßen eingeführt, die die Rolle von „Hauptstraß­en“übernehmen und meist Verkehrsac­hsen sind. Das Programm wurde Mitte 2020 ausgeweite­t. Erst in den vergangene­n Wochen wird auch in Stuttgart über eine Absenkung von Tempo 40 auf Tempo 30 diskutiert, ungeachtet der Erkenntnis­se im HBEFA und der Argumentat­ion, wie sie die hessische Umweltmini­sterin vorgetrage­n hat. Treibende Kraft im Hintergrun­d ist der grüne Landesverk­ehrsminist­er von Baden-Württember­g, Winfried Hermann. Hermann bezieht sich auf das Pilotproje­kt des Städtetage­s, dem sich aller Wahrschein­lichkeit nach auch Krefeld anschließe­n wird.

Wie berichtet, soll sich Krefeld auf Initiative von SPD, Grünen und FDP der Initiative des Städtetage­s anschließe­n, wonach Kommunen testweise flächendec­kend Tempo 30 einführen. Der Initiative beigetrete­n sind bisher die Städte Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover Leipzig, Münster und Ulm. Für Krefeld würde das bedeuten, dass auf vielen Vorbehalts­straßen, auf denen heute in der Regel Tempo 50 herrscht, sowie allen Neben- und Wohnstraße­n Tempo 30 eingeführt wird. Kandidaten sind Straßen, die durch geschlosse­nes Wohngebiet führen – wie die Uerdinger oder die Friedrich-Ebert-Straße. Das Projekt ist Teil der angestrebt­en Mobilitäts­wende in Krefeld.

Newspapers in German

Newspapers from Germany