Rheinische Post Krefeld Kempen
Verdächtige Kleinigkeiten
Ein Gläschen Wein: Der Rheinländer versteckt Genüsse sprachlich geschickt.
Der Rheinländer kann gar nicht anders. Er muss immer ein wenig übertreiben. Selbst die beliebte Form der Verniedlichung drückt letztlich nur aus, dass im Kleinen was Großes stecken kann. Wer jemals ein Stückchen Kuchen vorgesetzt bekommen hat, kennt die Dimension. Das Stückchen füllt nicht selten den kompletten Kuchenteller aus.
Die Einladung „Sollen wir nicht mal ein Gläschen zusammen trinken?“kommt nicht selten der Ankündigung eines ausgeprägten Gelages gleich. Dazu gibt es Häppchen. Früher waren die Schnittchen oft drapiert mit Käse- oder Traubenpickern oder kombiniert mit Russenei oder Mettigel. Konrad Beikircher, der als Tiroler den Rheinländern aufs Maul schaut, hat auch schon festgestellt, dass die sogenannten Teilchen in der rheinischen Mengenlehre ein eigener Maßstab sind. Der Aachener Jürgen Hausmann, Kabarettist nicht nur im Karneval, weiß, dass Teilchen immer dann serviert werden, wenn Kuchen zu teuer scheint und Plätzchen zu beitzig (geizig) aussehen könnten.
Wer jetzt als bayerisch geprägter Mensch meint, dass mit den (Reagenz-)Gläschen beim Trinken sei doch wirklich kein Maß-Stab, der irrt gewaltig. Denn es kommt dem Rheinländer nicht immer auf den Umfang des Trinkgefäßes, wohl aber auf die Größe des Durstes und die entsprechende Schlagzahl an.
Das gilt auch beim Feiern. Denn, wer ein Fest im kleinen Kreis ankündigt und dafür ein Sälchen anmietet, hat gern auch mal mehr als 200 Gäste im Blick. Damit findet selbst der Stärkste
(Dickste) sein Plätzchen und kriegt sein passendes Stühlchen. Zugegeben: Das Verniedlichen ist nur bedingt eine rheinische Spezialität. Die feinen Formen der Untertreibung gibt es auch in den Niederlanden. Stichwort: Kopje Koffie. Weltmeister im Untertreiben aber bleiben die Rheinländer: Achtung, aufpassen. Wer jemals gefragt wird, ob er mal ein Stündchen Zeit hat, muss damit rechnen, den ganzen Tag „mit Beschlag“belegt zu werden. Da hilft nur eins: Ein bisschen flunker… „Ich komm gern, et kann aber en bisschen später werden.“
Horst Thoren ist stellvertretender Chefredakteur unserer Redaktion. Er wechselt sich mit der Politikredakteurin Dorothee Krings wöchentlich ab.