Rheinische Post Krefeld Kempen
Kritik am neuen Corona-Indikator
Angeblich weist das RKI die Zahl der Klinikeinweisungen zu gering aus.
BERLIN Die Impfkampagne stockt, und nach den Modellen des Robert-Koch-Instituts (RKI) dürfte die Verbreitung des Coronavirus im Herbst wieder deutlich zunehmen. „Die Vorstellung des Erreichens einer ‚Herdenimmunität' mit dem Ziel einer Elimination des Virus ist nicht realistisch“, schreibt das Institut in seinem jüngsten Kontrollbericht zur Krankheit Covid-19. Es gehe also darum, die Zahl der Infektionen niedrig zu halten.
Doch genau darum ist nun ein Streit entbrannt. Denn noch immer gibt es keine Einigung darüber, welcher Indikator oder welcher Satz an Messwerten über neue Restriktionen entscheiden soll. Klar ist nur: Die Zahl der wöchentlichen Neufälle pro 100.000 Einwohnern, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz hat als alleiniger Indikator ausgedient. Statt dessen werden nun die Zahl der wöchentlichen Krankenhauseinweisungen pro 100.000 Einwohner (Hospitalisierungsrate) und der Anteil der Covid-Kranken an den Klinikpatienten beobachtet. So sieht es das neue Infektionsschutzgesetz
vor, das am vergangenen Mittwoch in Kraft getreten ist. Aber Grenzwerte gibt es dafür nur vereinzelt in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen gar nicht.
Zwischen Rhein und Weser gelten die Werte für alle drei Indikatoren als so niedrig, dass die Landesregierung
auf schärfere Maßnahmen als die allgemeinen Regeln wie Maskenpflicht, Schutzkonzept oder Abstand halten verzichtet. So liegt etwa die Hospitalisierungsrate in NRW bei 2,06 und ist damit weit von den Höchstwerten des Januar entfernt, wo die Maßzahl bei 15 und mehr lag. Bundesweit steht diese Rate sogar bei nur 1,88.
Gegen solche Überlegungen ziehen nun einzelne Wissenschaftler und Gesundheitsämter zu Felde. So hält laut „Spiegel Online“der Leiter des Gesundheitsamts Wilhelmshaven, Christof Rübsamen, die Zahlen, die das RKI für die Berechnung der Hospitalisierungsrate heranzieht, für veraltet. Denn die Berliner Behörde geht von den gemeldeten Infektionsfällen (also nach Labortest) aus und überprüft, ob diese zu Klinikeinweisungen geführt haben. Aber zwischen ersten Symptomen, die zu einem Test führen, und der Klinikaufnahme liegen oft acht Tage und mehr. Die „wahre“Hospitalisierungsrate dürfte deshalb höher ausfallen, wenn man die Daten statt über die Labortests direkt von den Kliniken erhielte. Laut „Spiegel Online“könnte die Messzahl doppelt so hoch ausfallen und damit ein besseres Bild über die Gefahren für das Gesundheitssystem liefern.
Das RKI gibt diese Verzögerung durchaus zu, möchte aber nicht von den amtlichen Zahlen abweichen, weil es sonst keine einheitliche Basis für alle anderen Messzahlen wie Inzidenz oder Covid-Anteil mehr gibt. „Das schafft mehr Verwirrung als Hilfe“, heißt es intern. Die Konsequenz daraus: Die Politik muss eben früher aktiv werden, wenn die Klinikzahlen steigen. Denn der Trend sei auch bei geringeren Zahlen eindeutig.
Die registrierten Corona-Krankenhausfälle landen erst verspätet bei der Infektionsbehörde