Rheinische Post Krefeld Kempen
Was wäre wenn?
Angesichts der Schwäche der alten Volksparteien sind nach der Bundestagswahl wohl viele Koalitionen möglich. Je nach Ausgang gäbe es große Unterschiede für Unternehmen, Klima und Verbraucher.
Die übersichtlichen Zeiten sind vorbei. Mit der Schwindsucht der Volksparteien ergeben sich nun viele Möglichkeiten für eine künftige Koalition im Bund. Was käme für Wirtschaft, Klima und Verbraucher dabei heraus?
Ampel-Koalition Eine Koalition von SPD, Grünen und FDP wäre SPDKanzlerkandidat Olaf Scholz am liebsten. FDP-Chef Christian Lindner hat aber klare Bedingungen formuliert: Es dürfe keine höheren Steuern und keine Aufweichung der Schuldenbremse geben. An der Schuldenbremse will auch Scholz (im Gegensatz zu anderen Genossen) festhalten. Zugeständnisse müssten SPD und Grüne bei den Steuern machen, wenn sie die FDP locken wollen: Auf die Vermögensteuer müssten sie ebenso verzichten wie auf einen höheren Spitzensteuersatz. Gegen bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen hat aber auch die SPD nichts. Die FDP rüttelt nicht an der gesetzlichen Rente, will diese aber um eine Aktienrente ergänzen: So soll ein kleiner Teil des Einkommens verbindlich in Aktienfonds fließen. Unter der Überschrift „Reform der Riesterrente“könnten die anderen das mitmachen. Die Garantie des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die SPD und Grüne versprechen, wird nur bei einer langfristigen Erhöhung des Rentenalters zu haben sein. In der Klimapolitik sind sich alle drei einig, das 1,5-Grad-Ziel erreichen zu wollen. Die Grünen wollen den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen. Vielleicht wird es am Ende 2035 – selbst RWE geht längst von einem früheren Ausstieg als 2038 aus, weil der steigende CO2-Preis Strom aus Braunkohle immer teurer macht. Schwierig wird es beim Tempolimit: Die FDP lehnt es ab, SPD und Grüne wollen Tempo 130 auf Autobahnen.
Jamaika-Koalition Eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP stand vor vier Jahren erstmals im Raum. Nochmal würde die FDP sie wohl nicht platzen lassen, zumal sie die Chance hätte, mit der Union zu regieren. Einig ist man in der Klimapolitik: Alle wollen weg von der ungeliebten EEG-Umlage beim Strom. Die Grünen wollen ein Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor festschreiben, Union und FDP wollen das dem Markt überlassen. Da scheint ein Kompromiss möglich. Auch in dieser Koalition müssten die Grünen auf die Vermögensteuer verzichten, was ihnen gegen Zugeständnisse beim Klimaschutz nicht schwerfallen dürfte. Bei der Schuldenbremse könnte es auf eine neue Definition hinauslaufen: Grüne und CSU-Chef Markus Söder wollen Investitionsausgaben, die der Staat für das Klima vornimmt, nicht mehr anrechnen. Das lehnen Wirtschaftsweise zwar ab, aber in diese Richtung könnte ein Deal gelingen. Bei der Rente könnte es Bewegung geben: Grüne und FDP wollen das Renteneintrittsalter flexibler gestalten. Noch lehnt die Union ein höheres Renteneintrittsalter ab. Aber angesichts der künftigen Finanzprobleme der Rentenversicherung muss etwas passieren: Die Union will dies in einem Alterssicherungsbeirat diskutieren lassen. So haben schon andere große Reformen
begonnen. Die Erweiterung der Rentenversicherungspflicht auf Selbstständige wollen Union wie Grüne. Eine Bürgerversicherung bei der Krankenkasse, die die Grünen wollen, lehnen Union und FDP hingegen ab.
Rot-Grün-Rot Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken ist für viele in der Wirtschaft ein Schreckensszenario. Die Überschneidung der drei Parteien in der Steuerpolitik ist groß, die FDP fehlt hier als Korrektiv für wirtschaftliche Vernunft: In dieser Koalition wird es Erhöhungen der Einkommensteuer für Gutverdiener geben und die Einführung der Vermögenssteuer. Das sehen vor allem Familienunternehmen als eine Bedrohung. Ein Prozent Vermögenssteuer wirkt bei Betriebsvermögen so wie zehn Prozent mehr Körperschaftsteuer, hat das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt. Alle drei Parteien wollen die Krankenversicherung auf eine Bürgerversicherung umstellen, für die private Krankenversicherung würde damit das Sterbeglöckchen läuten. Zudem soll der Mindestlohn angehoben werden. Scheitern dürfte die Linke mit ihrer Forderung, die Energiekonzerne zu verstaatlichen. Grüne und Linke wollen den Verbrenner ab 2030 verbieten. Ausgeschlossen
hat Olaf Scholz eine solche Koalition zwar nicht ausdrücklich, aber klare Bekenntnisse zur Nato gefordert, was die Linke ablehnt. An dieser Bedingung könnte Rot-Grün-Rot am Ende ohnehin scheitern.
Kenia-Koalition Eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und Grünen wünschen sich weder Union noch SPD, wäre sie doch die Fortsetzung der ungeliebten großen Koalition mit drittem Partner. In einem solchen Dreierbündnis würde mehr als bisher bei Klimaschutz passieren. SPD und Grüne würden zudem den Druck auf die Union erhöhen, die Kosten der CO2-Bepreisung nicht nur den Mietern aufzubrummen, sondern auch die Vermieter zu beteiligen. Armin Laschet hat bereits Nachdenken signalisiert. Die Schuldenbremse dürfte kreativ aufgeweicht werden, auch der Mindestlohn dürfte steigen. Eine neue Rentenkommission würde die heikle Frage der Rente mit 68 plus lösen müssen.
Deutschland-Koalition Eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und FDP dürfte ähnlich unbeliebt sein – und auch nicht wahrscheinlich. Hier könnte die SPD von ihren Plänen wie Bürgerversicherung in der Krankenversicherung und Steuererhöhungen am wenigstens umsetzen. Warum sollte sie sich darauf einlassen, falls sie tatsächlich stärkste Kraft wird? Die Wirtschaft würde sich freuen: Die Vermögenssteuer und Bürgerversicherung würden dann nicht kommen, der Soli aber ganz abgeschafft werden. Die Rentenreform würde zum Bedauern der Wirtschaft vertagt in die Kommission. Ein Tempolimit würde nicht kommen. Beim Klimaschutz würde sich wenig ändern: Die Grünen als Antreiber fehlen. Es wäre auch bei der Digitalisierung die mutloseste Koalition.
Kompliziert werden die Koalitionsverhandlungen angesichts der vielen Optionen in jedem Fall. Und dass Angela Merkel auch noch die nächste Neujahrsansprache hält, ist nicht ausgeschlossen.