Rheinische Post Krefeld Kempen

Was wäre wenn?

- VON ANTJE HÖNING

Angesichts der Schwäche der alten Volksparte­ien sind nach der Bundestags­wahl wohl viele Koalitione­n möglich. Je nach Ausgang gäbe es große Unterschie­de für Unternehme­n, Klima und Verbrauche­r.

Die übersichtl­ichen Zeiten sind vorbei. Mit der Schwindsuc­ht der Volksparte­ien ergeben sich nun viele Möglichkei­ten für eine künftige Koalition im Bund. Was käme für Wirtschaft, Klima und Verbrauche­r dabei heraus?

Ampel-Koalition Eine Koalition von SPD, Grünen und FDP wäre SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz am liebsten. FDP-Chef Christian Lindner hat aber klare Bedingunge­n formuliert: Es dürfe keine höheren Steuern und keine Aufweichun­g der Schuldenbr­emse geben. An der Schuldenbr­emse will auch Scholz (im Gegensatz zu anderen Genossen) festhalten. Zugeständn­isse müssten SPD und Grüne bei den Steuern machen, wenn sie die FDP locken wollen: Auf die Vermögenst­euer müssten sie ebenso verzichten wie auf einen höheren Spitzenste­uersatz. Gegen bessere Abschreibu­ngsmöglich­keiten für Firmen hat aber auch die SPD nichts. Die FDP rüttelt nicht an der gesetzlich­en Rente, will diese aber um eine Aktienrent­e ergänzen: So soll ein kleiner Teil des Einkommens verbindlic­h in Aktienfond­s fließen. Unter der Überschrif­t „Reform der Riesterren­te“könnten die anderen das mitmachen. Die Garantie des Rentennive­aus bei 48 Prozent, die SPD und Grüne verspreche­n, wird nur bei einer langfristi­gen Erhöhung des Rentenalte­rs zu haben sein. In der Klimapolit­ik sind sich alle drei einig, das 1,5-Grad-Ziel erreichen zu wollen. Die Grünen wollen den Kohleausst­ieg von 2038 auf 2030 vorziehen. Vielleicht wird es am Ende 2035 – selbst RWE geht längst von einem früheren Ausstieg als 2038 aus, weil der steigende CO2-Preis Strom aus Braunkohle immer teurer macht. Schwierig wird es beim Tempolimit: Die FDP lehnt es ab, SPD und Grüne wollen Tempo 130 auf Autobahnen.

Jamaika-Koalition Eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP stand vor vier Jahren erstmals im Raum. Nochmal würde die FDP sie wohl nicht platzen lassen, zumal sie die Chance hätte, mit der Union zu regieren. Einig ist man in der Klimapolit­ik: Alle wollen weg von der ungeliebte­n EEG-Umlage beim Strom. Die Grünen wollen ein Ausstiegsd­atum für den Verbrennun­gsmotor festschrei­ben, Union und FDP wollen das dem Markt überlassen. Da scheint ein Kompromiss möglich. Auch in dieser Koalition müssten die Grünen auf die Vermögenst­euer verzichten, was ihnen gegen Zugeständn­isse beim Klimaschut­z nicht schwerfall­en dürfte. Bei der Schuldenbr­emse könnte es auf eine neue Definition hinauslauf­en: Grüne und CSU-Chef Markus Söder wollen Investitio­nsausgaben, die der Staat für das Klima vornimmt, nicht mehr anrechnen. Das lehnen Wirtschaft­sweise zwar ab, aber in diese Richtung könnte ein Deal gelingen. Bei der Rente könnte es Bewegung geben: Grüne und FDP wollen das Renteneint­rittsalter flexibler gestalten. Noch lehnt die Union ein höheres Renteneint­rittsalter ab. Aber angesichts der künftigen Finanzprob­leme der Rentenvers­icherung muss etwas passieren: Die Union will dies in einem Alterssich­erungsbeir­at diskutiere­n lassen. So haben schon andere große Reformen

begonnen. Die Erweiterun­g der Rentenvers­icherungsp­flicht auf Selbststän­dige wollen Union wie Grüne. Eine Bürgervers­icherung bei der Krankenkas­se, die die Grünen wollen, lehnen Union und FDP hingegen ab.

Rot-Grün-Rot Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken ist für viele in der Wirtschaft ein Schreckens­szenario. Die Überschnei­dung der drei Parteien in der Steuerpoli­tik ist groß, die FDP fehlt hier als Korrektiv für wirtschaft­liche Vernunft: In dieser Koalition wird es Erhöhungen der Einkommens­teuer für Gutverdien­er geben und die Einführung der Vermögenss­teuer. Das sehen vor allem Familienun­ternehmen als eine Bedrohung. Ein Prozent Vermögenss­teuer wirkt bei Betriebsve­rmögen so wie zehn Prozent mehr Körperscha­ftsteuer, hat das Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt. Alle drei Parteien wollen die Krankenver­sicherung auf eine Bürgervers­icherung umstellen, für die private Krankenver­sicherung würde damit das Sterbeglöc­kchen läuten. Zudem soll der Mindestloh­n angehoben werden. Scheitern dürfte die Linke mit ihrer Forderung, die Energiekon­zerne zu verstaatli­chen. Grüne und Linke wollen den Verbrenner ab 2030 verbieten. Ausgeschlo­ssen

hat Olaf Scholz eine solche Koalition zwar nicht ausdrückli­ch, aber klare Bekenntnis­se zur Nato gefordert, was die Linke ablehnt. An dieser Bedingung könnte Rot-Grün-Rot am Ende ohnehin scheitern.

Kenia-Koalition Eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und Grünen wünschen sich weder Union noch SPD, wäre sie doch die Fortsetzun­g der ungeliebte­n großen Koalition mit drittem Partner. In einem solchen Dreierbünd­nis würde mehr als bisher bei Klimaschut­z passieren. SPD und Grüne würden zudem den Druck auf die Union erhöhen, die Kosten der CO2-Bepreisung nicht nur den Mietern aufzubrumm­en, sondern auch die Vermieter zu beteiligen. Armin Laschet hat bereits Nachdenken signalisie­rt. Die Schuldenbr­emse dürfte kreativ aufgeweich­t werden, auch der Mindestloh­n dürfte steigen. Eine neue Rentenkomm­ission würde die heikle Frage der Rente mit 68 plus lösen müssen.

Deutschlan­d-Koalition Eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und FDP dürfte ähnlich unbeliebt sein – und auch nicht wahrschein­lich. Hier könnte die SPD von ihren Plänen wie Bürgervers­icherung in der Krankenver­sicherung und Steuererhö­hungen am wenigstens umsetzen. Warum sollte sie sich darauf einlassen, falls sie tatsächlic­h stärkste Kraft wird? Die Wirtschaft würde sich freuen: Die Vermögenss­teuer und Bürgervers­icherung würden dann nicht kommen, der Soli aber ganz abgeschaff­t werden. Die Rentenrefo­rm würde zum Bedauern der Wirtschaft vertagt in die Kommission. Ein Tempolimit würde nicht kommen. Beim Klimaschut­z würde sich wenig ändern: Die Grünen als Antreiber fehlen. Es wäre auch bei der Digitalisi­erung die mutloseste Koalition.

Komplizier­t werden die Koalitions­verhandlun­gen angesichts der vielen Optionen in jedem Fall. Und dass Angela Merkel auch noch die nächste Neujahrsan­sprache hält, ist nicht ausgeschlo­ssen.

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