Rheinische Post Krefeld Kempen

Fehlstart für die Deutschlan­d-Koalition

- VON GREGOR MAYNTZ

CDU-Wahlsieger Reiner Haseloff scheiterte in Sachsen-Anhalt bei der Wiederwahl als Ministerpr­äsident im ersten Wahlgang deutlich – trotz Verständig­ung mit FDP und SPD. Die Hintergrün­de des neuen Misstrauen­s in Magdeburg.

MAGDEBURG Alles scheint Routine im Magdeburge­r Landtag an diesem Donnerstag­vormittag: CDU, SPD und FDP haben sich nach monatelang­en Verhandlun­gen auf Deutschlan­ds erste schwarz-rotgelbe Deutschlan­d-Koalition geeinigt. Reiner Haseloff braucht 49 Stimmen zur Wiederwahl als Ministerpr­äsident; seine Koalition hat 56 und sich auf Seite 154 des Koalitions­vertrages schriftlic­h zu seiner Wahl verpflicht­et. Doch plötzlich geht ein Raunen durch den Landtag, als Parlaments­präsident Gunnar Schellenbe­rger das Ergebnis bekannt gibt: „Mit Ja haben gestimmt: 48. Mit Nein haben gestimmt: 49.“Die Gesichtszü­ge der Protagonis­ten entgleisen.

Ein CDU-Abgeordnet­er erinnert sich hinterher: Reiner Haseloff habe geguckt, als wolle er sagen: „Leute, ich bin zu alt für diesen Scheiß“. Der 67-Jährige hatte eigentlich nach zehn Jahren als Regierungs­chef in Magdeburg ins Privatlebe­n wechseln wollen. Die Kabalen um seine Nachfolge waren längst im Gange, als er sich doch zum Weitermach­en entschied. Das hat manche Karrierepl­äne durchkreuz­t. Auf dem Höhepunkt der Regierungs­krise um die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags feuerte er Ende vergangene­n Jahres seinen Innenminis­ter Holger Stahlknech­t, weil der offen über einen Bündnisbru­ch und eine – von der AfD tolerierte – Minderheit­sregierung spekuliert hatte. Teile der Union Sachsen-Anhalts können sich Kooperatio­nen mit der AfD vorstellen. Und Haseloff unternahm nichts, dass Stahlknech­t und andere AfD-Sympathisa­nten wieder in den Landtag kamen.

Das potenziell­e Störfeuer ist also Teil der alten und neuen Wirklichke­it in der 40-köpfigen CDU-Fraktion. Bislang schien es, dass Haseloffs glasklarer Anti-AfD-Kurs so viel Zustimmung beim bürgerlich­en Publikum finden konnte. Doch die alten Reflexe sind noch da. Kamen sie durch, als die CDU-Abgeordnet­en in einer offenen Probeabsti­mmung am Dienstag einstimmig für Haseloff votierten, in der geheimen Wahl im Landtag dann einige aber den Wahlzettel zum Denkzettel machten?

Haseloff weist jeden Verdacht gegen CDU-Abgeordnet­e brüsk von sich. Er habe „klare Signale“, erläutert er nach seiner dann im zweiten Anlauf geschaffte­n Wiederwahl, „dass wir sehr stark auch im bundespoli­tischen Rahmen eine Rolle gespielt haben“. Eine landespoli­tische Entscheidu­ng sei nie abgekoppel­t von dem, was bundespoli­tisch passiere. Und da, so suggeriert er, könne es „Fallgestal­tungen“gegeben haben, wonach einzelnen Parteien nicht passe, dass sie in Magdeburg die Partnersch­aft pflegen, während sie auf dem Höhepunkt des Bundestags­wahlkampfe­s als Konkurrent­en unterwegs seien. Das ist eine indirekte Ansage an SPD und FDP.

„Ich stehe nicht hinter den Abgeordnet­en in der Wahlkabine“, sagt SPD-Fraktionsc­hefin Katja Pähle – und unterstrei­cht dann, wie sehr ihre Kolleginne­n und Kollegen die neue Koalition befürworte­n, auch wenn sie die Zuständigk­eit für Wirtschaft abgeben mussten. Auch FDPFraktio­nsvize Andreas Silbersack sagt, wie sehr er sich gewünscht hätte, gleich zum Auftakt „dem Ministerpr­äsidenten ein starkes Zeichen zu geben“– zumal die Liberalen mit nahezu 100 Prozent dem Koalitions­vertrag zugestimmt hätten.

Nun ja, das „starke Zeichen“hat Haseloff bekommen. Den Hinweis, in seiner dritten Amtszeit auf schwankend­em Boden zu stehen. Vor allem ist jetzt der Startschus­s für alle gekommen, sich rechtzeiti­g für die Nachfolge warmzulauf­en. Am Tag seiner Wiederwahl versichert Haseloff zwar, die gesamte fünfjährig­e Wahlperiod­e im Amt bleiben zu wollen. Aber ist die Annahme wirklich abwegig, ein Ministerpr­äsident könnte mit 70 Jahren auf den Gedanken kommen, seinen Nachfolger mit Amtsbonus in die nächsten Wahlen zu schicken, wenn er selbst eigentlich schon mit 67 hatte aufhören wollen? Deshalb wird in der CDU-Fraktion auch damit gerechnet, dass strategisc­he Stellungss­piele die taktische Arbeit begleiten werden.

Denn die Entscheidu­ng, Reiner Haseloff im ersten Wahldurchg­ang gleich acht Stimmen zu verweigern, wurde nach einer Stunde Auszeit im zweiten Durchgang nur halb geheilt. Denn auch da brachte das 56-Stimmen-Bündnis nur 53 eigene Unterstütz­er zusammen. Zwei Koalitions­abgeordnet­e blieben bei ihrem Nein, einer stimmte mit Enthaltung. Reiner Haseloff bemühte sich, seine Koalition schnell zusammen zu bringen. Er verzichtet­e auf die Möglichkei­t, unmittelba­r nach seiner Vereidigun­g als Ministerpr­äsident eine kurze Ansprache zu halten. Er sparte sich das für den Nachmittag auf, um vorher seine Minister zu ernennen und optisch als Team vor den Landtag von Sachsen-Anhalt zu treten.

„Mir ist egal, was da in Berlin passiert“, gab Haseloff zu Protokoll – offenbar genervt von mutmaßlich­en Wahlkampfm­otiven bei der Errichtung von Hinderniss­en vor seiner Wiederwahl. Seine Devise: „Ich hab 'ne Mannschaft, ich hab 'ne Mehrheit.“Jetzt sei er „froh, nach vorne starten zu können“.

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Medienvert­reter drängen sich im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt vor dem Platz von Reiner Haseloff.

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