Rheinische Post Krefeld Kempen
„Impfpflicht in manchem Beruf sinnvoll“
Der Chef der AOK Rheinland/Hamburg über die Kliniken, die Rolle der Apotheken und höhere Beiträge.
Herr Wältermann, die Impfquote in Deutschland ist zu niedrig für den Winter. Was können wir tun? WÄLTERMANN Wir haben schon viel erreicht, aber gerade in sozioökonomisch schlechter gestellten Vierteln müssen wir noch mehr tun. Wir müssen aufklären – in vielen Sprachen – und die Impfungen zu den Menschen bringen.
Brauchen wir mehr Druck auf Ungeimpfte – durch eine 2G-Regel? WÄLTERMANN Der Druck verstärkt sich: Wer sich gegen das Impfen entscheidet, muss die Konsequenzen tragen. Ab Oktober werden etwa die Bürgertests kostenpflichtig. Bevor wir 2G einführen, sollten wir den Menschen eine weitere Chance geben, sich impfen zu lassen. Ich plädiere dafür, die Menschen mit Argumenten zu überzeugen und möglichst viele niedrigschwellige Angebote zu schaffen.
Besonders problematisch ist es, wenn Mitarbeiter in Schulen, Kitas, Kliniken nicht geimpft sind. Können Sie sich eine berufsbezogene Impfpflicht vorstellen? WÄLTERMANN Die Impfbereitschaft in Krankenhäusern ist bereits hoch. Doch hier, wie in Schulen und Kitas, müssen wir alles tun, um die zu schützen, die sich nicht impfen können oder besonders gefährdet sind. In manchen Berufen kann eine Impfpflicht daher sinnvoll sein. Andere Länder machen das bereits vor.
Eine allgemeine Impfpflicht hat die Politik ausgeschlossen... WÄLTERMANN Die Politik hat sich immer wieder gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, dabei muss es bleiben.
Zugleich beginnt die InfluenzaSaison. Wie ist Ihre Erfahrung damit, dass im Rheinland Apotheker gegen Grippe impfen?
WÄLTERMANN Zunächst einmal werbe ich für die Influenza-Impfung, vor allem Ältere sollten die Chance nutzen – sei es beim Arzt oder beim Apotheker. An unserem Modellprojekt haben in der vergangenen Saison 150 Apotheken teilgenommen, jetzt wird es auf weitere Regionen ausgeweitet und es beteiligen sich 500 nordrheinische Apotheken. Apotheken sind eine Chance, Menschen zu erreichen, die keinen Hausarzt haben. In Europa wird das vielfach erfolgreich praktiziert.
Die Ärzte sind nicht begeistert, auch wegen der anderen Bezahlung.
WÄLTERMANN Eine Ärztin bekommt für eine Influenza-Impfung etwas weniger als ein Apotheker. Er hat aber auch mehr Kosten, weil er mehr dokumentieren und oft erst Räume für die Impfung schaffen muss.
Sollten Apotheker auch gegen Corona impfen?
WÄLTERMANN Das würden sie gerne. Doch das sollten wir derzeit lieber den Ärztinnen und Ärzten überlassen, bis wir mehr Erfahrungen mit der Corona-Impfung haben.
In einer Woche wird gewählt. Grüne und SPD wollen eine Bürgerversicherung. Gibt es die von ihnen beklagte Zwei-Klassen-Medizin? WÄLTERMANN Ja, wir haben eine zwei-Klassen-Medizin. Nicht bei der medizinischen Versorgung an sich, aber etwa bei der Terminvergabe. Gesetzlich Versicherte müssen teilweise noch immer zu lange auf einen Termin warten.
Das sollten die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen beheben.
WÄLTERMANN Dennoch kann es sein, dass eine Versicherte erst nach drei Monaten oder weit weg einen Termin beim Orthopäden erhält.
Das Geld, das hier investiert wurde, sollten wir in andere Bahnen lenken. Es ist keine Schande, ein Gesetz zu korrigieren, wenn sich Annahmen als falsch herausstellen.
Was halten Sie von der Bürgerversicherung, in der die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die private (PKV) aufgehen sollen? WÄLTERMANN Deutschland ist das einzige Land mit einer geteilten Krankenversicherung. Einerseits ist ein Wettbewerb unter den Versicherungen gut für die Patienten und die Kosten. Andererseits brauchen wir eine gesamtsolidarische Finanzierung, daran sollte sich die PKV über einen Finanzausgleich beteiligen.
Wenn der neue Gesundheitsminister Sie fragen würde, was wäre Ihr wichtigster Rat?
WÄLTERMANN Wir brauchen eine Reform der Krankenhauslandschaft – weg von der Gelegenheitschirurgie, bei der jedes Hausarzt alles macht. Das ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich für Patienten. Sie sollten nur zu Ärzten und Pflegekräften mit nachgewiesener Erfahrung kommen.
Was also tun?
WÄLTERMANN Wir brauchen für mehr Eingriffe Mindestmengen: Auch Schilddrüsenoperationen oder den Einsatz von Hüft-Endoprothesen sollten nur Häuser anbieten dürfen, die eine Mindestzahl im Jahr schaffen. Und wir brauchen eine Konzentration der Ressourcen. Die Menschen müssen Kliniken der Grundversorgung in 20 bis 30 Minuten erreichen können, bei schweren Eingriffen nehmen viele eine größere Entfernung auf sich, wenn sie dafür bestmöglich behandelt werden.
Wie sieht es bei den Kassen-Finanzen aus? Schon jetzt gibt es Milliarden-Löcher...
WÄLTERMANN …. Und die sind nicht Corona geschuldet. Jens Spahn hat viele wichtige Probleme im Gesundheitswesen angefasst, zum Beispiel die überfällige Digitalisierung. Viele seiner Gesetze haben jedoch viel gekostet und nicht die gewünschten Effekte gebracht. Hier muss die Politik nachsteuern.
Erwarten Sie eine Erhöhungswelle bei den Zusatzbeiträgen? WÄLTERMANN Aktuell liegt der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei 1,3 Prozent und soll nach Aussage der Bundesregierung auch im nächsten Jahr so bleiben. Jetzt kommt es darauf an, dass das Bundesgesundheitsministerium sein Versprechen an die Beitragszahler einlöst und den Steuerzuschuss für 2022 in Höhe von 7 Mrd Euro für die GKV auf den Weg bringt.
Wie sieht es bei der AOK Rheinland/ Hamburg aus?
WÄLTERMANN In diesem Jahr konnten wir den Zusatzbeitrag stabil halten, weil wir Rücklagen eingesetzt haben. Das war in Pandemie angemessen. Für 2022 werden wir einen ausgabendeckenden Beitragssatz erheben. Über die Höhe entscheidet der Verwaltungsrat Ende Dezember.