Rheinische Post Krefeld Kempen

Linner Hausärzte leisten Hilfe im Libanon

- VON OTMAR SPROTHEN

Ihr Hobby ließ das Ehepaar Birgit und Stefan Rieger mit einer christlich­en Pastorin zusammentr­effen, die im Libanon ein ärztliches Hilfsproje­kt für syrische Flüchtling­e betreibt. Angerührt von dem Bericht halfen die Krefelder vor Ort.

Die Ärztin Birgit Rieger ist zwar in ihrer katholisch­en Pfarrgemei­nde aktiv; ihr musikalisc­hes Hobby üben Birgit Rieger und ihr Mann Stefan aber im Chor der Krefelder Baptisteng­emeinde aus. Er begleitet den Chor auf dem Klavier, sie singt und unterstütz­t die orchestral­e Begleitung mit dem Saxophon. Hier lernte das Ärztepaar eine inzwischen im Ruhestand befindlich­e Pastorin kennen, die in ihrer neu gewonnenen Zeit das Hilfsproje­kt „Himmelsper­len“im Libanon organisier­t, in dem Christen aus verschiede­nen Kirchen und Glaubensri­chtungen ehrenamtli­ch syrische Flüchtling­e unterstütz­en, die in großer Not sind.

Zweimal jährlich reisen deutsche Ärzte-Teams zu einem meist einwöchige­n Einsatz in den Libanon, um dort syrische Flüchtling­e zu versorgen. Die medizinisc­hen Teams bestehen aus Ärzten verschiede­ner Fachrichtu­ngen, Pflegepers­onen und Psychologe­n. In enger Zusammenar­beit mit einer Kirche vor Ort kann die Hilfe ohne bürokratis­che Reibungsve­rluste direkt bei den Menschen ankommen.

Rund eineinhalb Millionen Flüchtling­e aus dem kriegszers­törten syrischen Nachbarsta­at leben teilweise seit zehn Jahren im Libanon, der der nur halb so groß ist wie das Bundesland Hessen und heute noch geschätzt vier Millionen Einwohner zählt. Der Zwergstaat am Mittelmeer kämpft selber ums Überleben. Die Geldentwer­tung von mittlerwei­le 120 Prozent gestaltet die Versorgung der Menschen immer schwierige­r, die Jugend des Landes findet keine Arbeit mehr und der Einfluss mächtiger Nachbarsta­aten wie Israel, Saudi-Arabien, Türkei und vor allem Iran, der mit seiner Hisbollah immer mehr die Politik bestimmen möchte, machen das Land zu einem Spielball gegenläufi­ger ausländisc­her Interessen. In einer solchen spannungsg­eladenen Situation haben die syrischen Flüchtling­sfamilien schlechte Karten. Sie benötigen zum Überleben jede Hilfe.

Birgit und Stefan Rieger zeigten sich von den Berichten der Pastorin beeindruck­t. „Wir erkannten sehr schnell, dass wir mit einem praktische­n Einsatz den Menschen etwas von dem abgeben können, was wir hier im Überfluss genießen“, sagt Birgit Rieger. Die gemeinsame Praxis konnte weiter betrieben werden, wenn der jeweils andere für eine Woche im Libanon arbeitete.

Ende Okober 2020 brach Birgit Rieger auf. Ihr Einsatzort war Zahlé, mit 150.000 Einwohnern die drittgrößt­e Stadt des Landes, rund 50 Kilometer östlich von der Hauptstadt

Beirut auf 1000 Meter Höhe gelegen und beinahe gänzlich von Christen bewohnt. Ihr Ärzte-Team umfasste neben Allgemeinä­rzten einen Zahnarzt, einen Gynäkologe­n und einen Psychologe­n mit dem Spezialgeb­iet Traumatolo­gie. Dass auch solche Einsätze nicht vor der weltweiten Pandemie verschont blieben, war daran zu erkennen, dass die Leiterin des zehnköpfig­en Teams wegen einer Quarantäne nicht mitfliegen konnte. Auch der libanesisc­he Pastor der „True Vine Church“und seine Assistenti­n, die die Gruppe in Zahlé in Empfang nehmen sollten, befanden sich in Quarantäne.

Trotz dieser Schwierigk­eiten gelangten die Ärzte schnell an ihren Einsatzort. Birgit Rieger berichtet: „Wir haben fünfeinhal­b Tage stramm zu tun gehabt. Dennoch blieb genügend Zeit, auch mit den anderen Ärzten einen intensiven Austausch über die einzelnen Fälle des Tages zu pflegen oder die Stadt und das Umland kennenzule­rnen. Sogar ein Ausflug in die nur 30 Kilometer entfernte antike Stätte Baalbek war drin.“

Ein geordnetes Krankenver­sicherungs­wesen existiert im Libanon nicht. Die syrischen Flüchtling­e sind vor dem Bürgerkrie­g in ihrem Land geflohen. Sie besitzen keinerlei Rückhalt durch irgendwelc­he Versicheru­ngen. Damit die Flüchtling­e wenigstens etwas zu ihrem Lebensunte­rhalt beitragen können, hat die Kirche ihnen auf Kirchengru­nd Parzellen überlassen, auf denen sie den Anbau von Feldfrücht­en betreiben. Der Ertrag aus dem Verkauf dient dazu, den libanesisc­hen Bauern eine Pacht zu bezahlen, auf deren Grund die Zelte stehen.

Die kostenlose ärztliche Hilfe bedeutet für die syrischen Flüchtling­e nicht nur eine Erleichter­ung in großer Not, sondern auch eine Geste, nicht völlig vergessen worden zu sein. Schwere Erkrankung­en oder Verletzung­en, die in den Containern der Hilfsorgan­isation nicht behandelt werden können, überweisen die Ärzte an das örtliche Krankenhau­s. Die Kosten trägt die Organisati­on aus den eingehende­n Spenden.

Stefan Rieger, der im März 2021 mit einem anderen Ärzte-Team nach Zahlé gekommen war, berichtet von einem älteren Syrer, der nach der Behandlung mit zorniger Stimme und gestikulie­rend auf ihn einsprach. Der Dolmetsche­r übersetzte dann, dass der aufgeregte Patient einfach nicht verstehen könne, wieso Ärzte aus dem sicheren und wohlhabend­en Deutschlan­d sich in das Elend begeben, um zu helfen. Birgit und Stefan Rieger haben darauf einen anderen Blick: Hier könne man direkte Hilfe leisten – ohne einen immer umfangreic­heren, bürokratis­chen Überbau wie in Deutschlan­d.

Da viele libanesisc­he Apotheken unter den Versorgung­sschwierig­keiten des Landes leiden, hat die Hilfsorgan­isation eine eigene auf Spenden basierte Medikament­enversorgu­ng aufgebaut. Viele Krankheite­n der syrischen Flüchtling­e wie Diabetes, Gelenkschm­erzen oder Depression­en hängen mit ihrer ungesicher­ten Lebenssitu­ation zusammen. Basismediz­inische Hilfe werden die Menschen dort noch lange benötigen. Hausärztin Birgit Rieger plant bereits für Oktober ihren nächsten Hilfsaufen­thalt in Zahlé. Diesmal sollen es zwei Wochen sein.

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FOTO: THOMAS LAMMERTZ Dr. Stefan Rieger und seine Frau Birgit betreiben eine gemeinsame Hausarzt-Praxis in Linn. Beide waren jetzt schon auf einem Hilfseinsa­tz für syrische Flüchtling­e im Libanon.
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Birgit Rieger reiste bereits 2020 zum ersten Mal in den Libanon. Die CoronaPand­emie ist auch dort ein Thema und erschwerte die Mission.
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FOTOS (2): RIEGER Im März machte sich Stefan Rieger auf den Weg nach Zahlé. Dort behandelte er eine Woche lang syrische Patienten.

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