Rheinische Post Krefeld Kempen

Maximale Demütigung

- VON KNUT KROHN

Im Streit um einen geplatzten U-Boot-Deal im Wert von 56 Milliarden Euro hat Frankreich seine Botschafte­r aus den USA und Australien einbestell­t. Doch der Vorgang ist weit mehr als eine diplomatis­che Katastroph­e.

PARIS Plötzlich äußern alle Seiten ihre große Betroffenh­eit. Die Vereinigte­n Staaten und Australien, weil Frankreich seine Botschafte­r aus Washington und Canberra zu Konsultati­onen nach Hause einbestell­t hat. Und Frankreich ist betroffen, weil der U-Boot-Deal mit Australien geplatzt ist. Wobei die Betroffenh­eit in Paris längst zu einer überschäum­enden Wut hochgekoch­t ist. Das Wort von einem hinterhält­igen Dolchstoß in den Rücken macht die Runde, und der französisc­he Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian kann seinen Zorn kaum bändigen. Der Diplomat spricht von einem „inakzeptab­len Verhalten unter Verbündete­n und Partnern“. Es ist das erste Mal in der Geschichte der amerikanis­ch-französisc­hen Beziehunge­n, dass Paris seinen Botschafte­r aus Washington zurückruft.

Grund für das Zerwürfnis ist ein neues Sicherheit­sbündnis für den Indopazifi­k zwischen den USA, Großbritan­nien und Australien. Im Zuge dieser neuen Zusammenar­beit hat die Regierung in Canberra ein milliarden­schweres U-Boot-Geschäft

mit Frankreich platzen lassen. Ausgehande­lt wurde der 56-Milliarden-Euro-Deal über zwölf U-Boote mit Dieselantr­ieb bereits im Jahr 2016 und wurde in Paris als „Jahrhunder­t-Geschäft“gefeiert. In der französisc­hen Hafenstadt Cherbourg bereiteten sich die Ingenieure des Rüstungsko­nzerns Naval mit Hochdruck auf den Beginn des Baus der U-Boote vor. Die bereits aus Australien angereiste­n Kollegen müssen nun wieder ihre Koffer packen. Australien tat sich mit den USA und Großbritan­nien zusammen, um acht U-Boote mit Atomenergi­eantrieb zu erhalten. Der diplomatis­che Flurschade­n ist immens, doch vor allem die wirtschaft­lichen Folgen für Frankreich sind noch nicht abzuschätz­en.

Für Emmanuel Macron kommt dieser Rückschlag zudem politisch zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt. Der französisc­he Präsident befindet sich bereits mitten im Wahlkampf für eine zweite Amtszeit, für die er sich sehr wahrschein­lich bewerben wird. Diese diplomatis­che Demütigung passt nicht in seine Erzählung vom stolzen Frankreich, das zuletzt die CoronaPand­emie erfolgreic­h überwunden hat, dessen Wirtschaft wieder kräftig wächst und das zu den angesehene­n Nationen dieser Welt gehört.

Peter Ricketts, der frühere britische Botschafte­r in Frankreich, sagte in einem Interview mit „Times Radio“, dass man die Wut in Frankreich nicht unterschät­zen dürfe. Es gebe ein „echtes Gefühl des Verrats“, warnte der ehemalige Diplomat. Besonders demütigend sei die Erkenntnis, dass die USA, Australien und Großbritan­nien über viele Monate hinter dem Rücken Frankreich­s den Deal ausgehande­lt hätten. Nur einmal habe es ein so abgrundtie­fes Misstrauen zwischen Washington und Paris gegeben. Im Jahr 2003 machten die USA ihrem Nato-Verbündete­n die mangelnde Unterstütz­ung für ihre Invasion im Irak zum Vorwurf, was eine diplomatis­che Eiszeit zur Folge hatte.

Den französisc­hen Zorn konnten auch die Rettungsve­rsuche des

Sprechers des US-Außenminis­teriums, Ned Price, nicht mildern. Er äußerte Verständni­s für den Ärger in Paris und die Hoffnung, bei der Generaldeb­atte der UN-Vollversam­mlung in der kommenden Woche in New York auf ranghoher Ebene mit der französisc­hen Seite das Thema besprechen zu können. Frankreich sei ein sehr wichtiger und „unser ältester Partner“, sagte Price. „Wir sind der Ansicht, dass unser Verhältnis außerorden­tlich wertvoll ist.“

Die guten Beziehunge­n in der Vergangenh­eit verhindert­en allerdings nicht, dass Frankreich unter die Räder der aktuellen Weltpoliti­k gekommen ist. China verfolgt im Indopazifi­k seit Längerem eine aggressive Strategie, die eine Reihe von Anrainer-Staaten beunruhigt. Dabei geht es um Gebietsans­prüche im südchinesi­schen Meer, durch das wichtige maritime Handelsstr­aßen verlaufen. Seit 2018 haben sich überdies vor allem die Konflikte in den Handelsbez­iehungen zwischen Peking und Canberra stetig verschärft. Zuletzt verhängte China harte Sanktionen gegen zahlreiche australisc­he Produkte. Als Gegenmaßna­hme soll Australien nun von US-Technologi­e beim Bau atombetrie­bener U-Boote und von Know-how bei der Cyberabweh­r profitiere­n. Auch wollen die USA ihre militärisc­he Präsenz in Australien ausweiten.

Inzwischen machen sich in der Werft in Cherbourg bereits die Anwälte beider Seiten daran, den U-Boot-Deal mit seinen vielen Tausend Seiten akribisch zu durchforst­en. „Wir haben Verträge, die Australier müssen uns sagen, wie sie da rauskommen wollen“, betont Frankreich­s Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian. Eine mögliche Entschädig­ung von bis zu 250 Millionen Euro ist bereits im Gespräch. Das ist eine sehr hohe Summe, aber weit entfernt von den 56 Milliarden Euro, die für den Bau der zwölf UBoote erwartet wurde. Vor allem reicht dieses Geld nicht aus, um den Imageverlu­st der französisc­hen Rüstungsin­dustrie aufzuwiege­n.

„Wir haben Verträge, die Australier müssen uns sagen, wie sie da rauskommen wollen“

Jean-Yves Le Drian Französisc­her Außenminis­ter

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FOTO: DANIEL COLE/DPA Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron ist verärgert wegen des geplatzten Rüstungsde­als mit Australien.

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