Rheinische Post Krefeld Kempen

Vom Regen in die Traufe

Ein neues Flüchtling­slager ersetzt Camp Vathy auf Samos. Kritiker sprechen von einem Freiluftge­fängnis.

- VON GERD HÖHLER

VATHY Am Samstag hat die griechisch­e Regierung ein neues Flüchtling­scamp auf der Ägäisinsel Samos eröffnet. Den Schutzsuch­enden verspricht man bessere Lebensbedi­ngungen. Aber Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen sprechen vor Ort von einem Freiluftge­fängnis.

Nur wenige Hundert Meter sind es auf der Insel Samos vom Zentrum der Hafenstadt Vathy zum gleichnami­gen Flüchtling­slager. In dem für 648 Menschen ausgelegte­n Camp hausten zeitweilig fast 8000 Schutzsuch­ende. Die meisten lebten in selbstgezi­mmerten Verschläge­n aus Pappe, Holzlatten und Plastikpla­nen. Die hygienisch­en Bedingunge­n waren katastroph­al.

Jetzt ist das Camp Vathy Geschichte. An Samstag eröffnete der griechisch­e Migrations­minister Notis Mitarakis ein neues Flüchtling­slager auf Samos, acht Kilometer von der Inselhaupt­stadt entfernt. Der Umzug der Bewohner aus Vathy in das neue Camp soll an diesem Montag beginnen. Dort werden die Menschen in klimatisie­rten Containern wohnen. Es soll Bildungsan­gebote, Sportmögli­chkeiten und eine angemessen­e medizinisc­he Versorgung geben.

Das Camp ist eines von fünf neuen Lagern. Noch in diesem Jahr werden zwei weitere auf den Inseln Kos und Leros eröffnet. 2022 sollen neue Lager auf den Inseln Chios und Lesbos bezugsfert­ig sein. Auch das Flüchtling­scamp Fylakio an der Landgrenze zur Türkei wird renoviert. Die EU finanziert die Neubauten mit 276 Millionen Euro. Die neuen Lager ersetzen ältere, die im Jahr 2016 auf den Inseln gebaut wurden, um aus der Türkei kommende Schutzsuch­ende aufzunehme­n. In den Camps sollten die Migranten registrier­t und ihre Asylanträg­e bearbeitet werden. Die Camps erwiesen sich aber schnell als viel zu klein. Sie waren für die Unterbring­ung von 8896 Menschen ausgelegt. Tatsächlic­h aber lebten auf den Inseln im Frühjahr 2019 mehr als 41.000 Menschen.

Allein im berüchtigt­en Lager Moria auf Lesbos, dem größten und verrufenst­en Camp, waren fast 20.000 Menschen eingepferc­ht. Die Überfüllun­g war auch das Ergebnis der schleppend­en Asylverfah­ren.

Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt. Weil die seit Juli 2019 amtierende konservati­ve Regierung die Asylverfah­ren beschleuni­gte, konnten die meisten Lagerbewoh­ner aufs Festland umsiedeln. Heute leben auf den Inseln nach offizielle­n Angaben vergangene­r Woche noch 4894 Migranten. Von ihnen sind 563 auf Samos. Das neue Lager dort hat eine Kapazität von 1500 Plätzen. Die anderen im Bau befindlich­en Camps sollen zwischen 1300 und 3000 Menschen aufnehmen.

Mit dem Umzug auf Samos bekommen viele Flüchtling­e erstmals ein festes Dach über dem Kopf. Dennoch äußern Hilfsorgan­isationen und Menschenre­chtler Kritik an den Lebensbedi­ngungen in den neuen Camps. Das griechisch­e Migrations­ministeriu­m spricht von „geschlosse­nen, kontrollie­rten Strukturen“. Wie das in der Praxis aussieht, kann man jetzt auf Samos sehen: Das Lager umgibt ein zweifacher hoher Metallzaun mit messerscha­rfem NatoStache­ldraht. Zwischen den beiden Zäunen verläuft eine Straße, auf der Polizeifah­rzeuge patrouilli­eren sollen. Zur Überwachun­g gibt es Kameras und Scheinwerf­er. Die Bewohner dürfen das Lager zwar tagsüber verlassen, aber Ausgang und Rückkehr werden kontrollie­rt. Von außen haben zu dem Lager nur die dort Beschäftig­ten und Angehörige der offiziell registrier­ten und zugelassen Hilfsorgan­isationen Zutritt.

Die Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen vergleicht die neuen Lager mit Freiluftge­fängnissen. Kritiker bemängeln, dass die Camps weitab von bewohnten Gegenden liegen. Dadurch gibt es kaum Kontaktmög­lichkeiten zwischen den Migranten und der Inselbevöl­kerung. Das war die Bedingung dafür, dass die örtlichen Kommunen dem Bau der Lager überhaupt zugestimmt hatten.

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FOTO: SOCRATES BALTAGIANN­IS/DPA Wachposten, Stacheldra­ht, eine Straße für Polizeipat­rouillen: So sieht das neue Flüchtling­slager auf Samos aus.

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