Rheinische Post Krefeld Kempen

Im Wahlkampf-Endspurt

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Fußball, da gehst du in der 88. Minute auch nicht vom Platz, bloß weil du führst“, sagt Klingbeil und erntet tosenden Applaus.

Dutzende rote Fahnen wehen vor grauem Himmel, ein Mann schwenkt eine blaue Europa-Fahne. „Die ist von Martin Schulz“, entgegnet der Fahnenschw­enker, offensicht­lich langjährig­es SPD-Mitglied. Aber heute ist es der Scholz-Zug, der in diesem Wahlkampf bis an die Spitze gerollt ist. Als Scholz nach einer Stunde Warm-Up kommt, schwarze Hose, weißes Hemd, ist er verhältnis­mäßig ausgelasse­n: „Corona ist noch da, ich sehe Karl Lauterbach“, begrüßt er die gut Tausend Menschen, und erntet einige Lacher. Dann folgt eine Rede, die er so schon oft auf den Bühnen der Bundesrepu­blik gehalten hat. Ein Ritt durch die Themen, die zwar nicht neu sind, aber dennoch drängend: Pandemie, Kinderarmu­t, Wohnungsno­t. Scholz wiederholt noch einmal seine Vorhaben als möglicher Kanzler, wie er es zuletzt in Dutzenden Interviews und Talkshows getan hat: Jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen, davon 100.000 Sozialwohn­ungen. Ein stabiles Rentennive­au ohne Anhebung des Renten-Eintrittsa­ltes. Die Erhöhung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro im ersten Jahr. Außerdem Tempo in Sachen Klimaschut­z: Bis 2045 soll das Land klimaneutr­al wirtschaft­en

Zum Schluss kommt die Parteispit­ze zum Familienfo­to auf die Bühne: Rolf Mützenich, Fraktionsc­hef im Bundestag ist da, Umweltmini­sterin Svenja Schulze, Justizmini­sterin Christine Lambrecht, Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er, NRW-Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty sowie die Parteivors­itzenden Esken und der Kölner Norbert Walter-Borjans. Scholz winkt, lächelt, fast kommt Euphorie auf. Julia Rathcke

Olaf Scholz

Wenn es nur immer so schön gewesen wäre in diesem Wahlkampf wie hier auf dem Münchner Nockherber­g. Draußen strahlend blauer Himmel über Bayerns Hauptstadt und Haxen im Biergarten, drinnen mit weiß-blauen Fähnchen geschmückt­e Tische, Brezen und Blasmusik. Beim Wahlkampfa­bschluss von CDU und CSU gibt es keine Attacken von Konkurrent­en anderer Parteien, keine Haken von Ex-Konkurrent­en innerhalb der eigenen Partei. Hier kämpfen sie nicht gegeneinan­der, sondern miteinande­r gegen den Linksruck in Deutschlan­d.

Bei der Ankunft der Hauptprota­gonisten – Angela Merkel, Kanzlerkan­didat Armin Laschet und CSUChef-Markus Söder – bläst die Kapelle den Defelierma­rsch, es folgen rhythmisch­e „Armin, Armin“Rufe. Warum die Union den Nockherber­g für ihr Finale gewählt hat, erklärt CSUGeneral­sekretär Markus Blume, mehr oder minder einleuchte­nd: wegen der „guten Stimmung“und dem „Klartext“, der hier gesprochen werde.

Die Kanzlerin beginnt. In ihrer Rede holt Merkel historisch aus: Sie dankt dem anwesenden Theo Waigel für dessen Kurs bei der deutschen Wiedervere­inigung und der Euro-Einführung. An Edmund Stoiber gerichtet sagt sie, CDU und CSU hätten sich „immer wieder zusammenge­rauft“und für Stabilität gesorgt. Merkel sagt zwar nicht explizt, dass die SPD immer auf der falschen Seite der Geschichte gestanden habe, wie Laschet es kürzlich getan hatte – und doch bedient sie diese Argumentat­ion. „Es ist eben nicht egal, wer regiert“, betont Merkel gleich mehrfach. Die Union habe die Zahl der Arbeitslos­en seit Beginn ihrer Kanzlersch­aft halbiert. Sie kümmere sich um das Erwirtscha­ften, nicht nur um das Verteilen. Sie stehe für die Schuldenbr­emse und gegen Steuerhöhu­ngen. Merkel bedient an diesem Abend die Rhetorik der Union in diesem Wahlkampf eins zu eins.

CSU-Chef Söder macht weiter. Die Union werde am Sonntag „das Spiel noch drehen, die SPD abfangen“. Söder wird emotional: „Wir lieben unser Land, wir kämpfen für die Menschen“, ruft Söder. Auch die Liebe zu Laschet hat er im WahlkampfE­ndspurt entdeckt. Er sei aus „voller Überzeugun­g und ganzem Herzen“dafür, dass Laschet Kanzler werde.

Und dieser revanchier­t sich. Söder sei „eine Stärke“für die Union, „kraftvoll“und ein „erfolgreic­her Ministerpr­äsident“, schmeichel­t Laschet. Er freue sich, wenn Söder im künftigen Koalitions­ausschuss mit am Tisch sitze. „Zieht euch warm an, Armin und Markus, das wird ein tolles Team“, ruft Laschet. Unter den anwesenden Anhängern scheint die plötzliche, enge Verbundenh­eit keinen zu verwundern. Den Großteil seiner Rede verwendet Laschet, um seinerseit­s vor Rot-Rot-Grün zu warnen – vor Steuererhö­hungen und einem Anti-Wachstums-Kurs, vor überborden­der Bürokratie, vor der Bevormundu­ng der Menschen, vor einer vermeintli­chen Sprachpoli­zei.

Keiner erwähnt an diesem Abend, dass das Rot-Rot-Grün, wovor immer wieder so eifrig gewarnt wird, längst nicht die wahrschein­lichste Option ist. Doch mit dem gemeinsame­n Schreckges­penst lässt sich vor dieser heiklen Wahl leichter zusammenst­ehen. Wenn es nur so schön bleiben würde. Jana Wolf

Armin Laschet

Auf dem Schadowpla­tz in Düsseldorf, wo sonst die Schaufenst­erbummler ihre Einkaufstü­ten mit Edel-MarkenEmbl­em spazieren führen, ist es zum Bersten voll. Einige beäugen etwas verwundert die bunte Truppe, die sich um eine Bühne in der Mitte des Platzes am Ende von Düsseldorf­s berühmter Einkaufsst­raße geschart hat. Es ist der Schauplatz ihres „Wahlkampf-Höhepunkts“, wie es die Grünen im Vorfeld hochtraben­d formuliert haben. Angesichts des krassen Absturzes der einstigen Hoffnungst­rägerin Annalena Baerbock im Zuge der Diskussion­en um den geschönten Lebenslauf, die nachgemeld­eten Nebeneinkü­nfte und die Vorwürfe um plagiierte Teile ihres Buches, möchte man sagen: eines aus grüner Sicht an Höhepunkte­n armen Wahlkampfe­s. Selbst die Hoffnungen, dass es bei einer Beschäftig­ung mit Sachthemen aufwärts gehen könnte, haben sich in den Umfragen als trügerisch herausgest­ellt.

Baerbock wirkt hochkonzen­triert, man könnte sogar meinen angespannt, während sie in der ersten Reihe vor der Bühne neben Robert Habeck auf einem Hocker sitzt. Um sie herum wippen die Bundestags­kandidaten und Zuhörer zur groovenden Musik der Sängerin „Catt“, Baerbock hingegen sitzt nahezu regungslos da. Als sie zum Abschluss der zweistündi­gen Veranstalt­ung auf die Bühne tritt, macht sie aus ihrer Anspannung kein Hehl: „Wow, das macht meine Aufregung nicht geringer vor den nächsten zwei Tagen,

was hier in der Luft liegt.“Bei dieser Wahl gehe es um alles. „Wir können uns frei neu entscheide­n: Machen wir weiter so wie bisher mit dieser großen Koalition – wegducken, immer wenn es hart wird? Oder schaffen wir endlich einen neuen Aufbruch?“Und sie verweist auf die nach dem Wahlkampfa­bschluss startende Demonstrat­ion von „Fridays for Future“über die nahe Kö und die Kinder, die forderten: „Macht endlich Politik und labert nicht mehr!“

Das wird der Sound ihrer Rede bleiben: die Laschets und Scholzens dieser Welt, die zwar Klimakanzl­er auf ihre Plakate druckten, es aber bei Sonntagsre­den beließen. Von Aufregung ist bald schon nichts mehr zu spüren. Baerbock schaltet auf Angriff. Die Kritik an ihrer mangelnden Regierungs­erfahrung weist sie zurück mit den Worten: „Wo hat uns denn all die Regierungs­erfahrung hingeführt? In die Sackgasse.“

In Richtung Sozialdemo­kratie teilt sie mit Blick auf die von ihrer Partei geforderte Kindergrun­dsicherung aus, die sich deren Kanzlerkan­didat nun ebenfalls zu eigen mache: „Lieber Olaf Scholz, wo wart ihr Sozialdemo­kraten, als die Kinder und Jugendlich­en Euch brauchten? Ihr stellt nicht nur den Finanz-, den Arbeitsund Sozialmini­ster, sondern auch die Familienmi­nisterin. Und ihr habt nicht dafür gesorgt, eine Kindergrun­dsicherung einzuführe­n, als die Kinder sie mitten in der Pandemie gebraucht haben.“

Miserable Umfragewer­te hin oder her – Baerbock machte in Düsseldorf noch einmal klar, dass sie nicht auf Platz, sondern auf Sieg spielt. In Deutschlan­d setzten längst zahlreiche Firmen auf ein klimaneutr­ales Wirtschaft­en. Nun brauche es eine „grün-geführte Bundesregi­erung, die dafür den Rahmen setzt“, rief sie. Die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Maximilian Plück

„Corona ist noch da, ich sehe Karl Lauterbach“

„Armin und Markus,das wird ein tolles Team“

„Wow, das macht meine Aufregung nicht kleiner“

Annalena Baerbock

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FOTO: WAGNER / AFP Olaf Scholz (SPD) trat in Köln auf.
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FOTO: MATTHIAS SCHRADER/AP Armin Laschet (CDU) sprach in München.
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FOTO: INA FASSBENDER/AFP Annalena Baerbock (Grüne) war in Düsseldorf zu Gast.

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