Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Schlagwört­er für den Koalitions­poker

- VON JAN DREBES, ANTJE HÖNING UND JANA WOLF

Bei den Sondierung­en nach der Wahl geht es um viele komplexe Fragen. Wir erklären die wichtigste­n Begriffe und Positionen.

BERLIN Eines steht jetzt schon fest: Die Koalitions­verhandlun­gen nach der Bundestags­wahl werden komplex. Denn mit dem Schrumpfen der Volksparte­ien sind gleich mehrere Dreier- oder womöglich auch einzelne Zweier-Kombinatio­nen möglich. Wir haben die wichtigste­n Schlagwört­er, die bei den anstehende­n Sondierung­sgespräche­n und den anschließe­nden Koalitions­verhandlun­gen eine Rolle spielen werden, kurz erklärt und mit den Positionen der Parteien versehen – natürlich ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit.

Aktienrent­e Der gesetzlich­en Rentenvers­icherung droht langfristi­g ein Finanzieru­ngsschock. Um das Loch zu stopfen, haben die Parteien verschiede­ne Pläne. Die FDP schlägt eine Aktienrent­e vor. Dabei soll ein kleiner Teil der Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­r-Beiträge (etwa zwei Prozent des Bruttoeink­ommens) in eine kapitalged­eckte Altersvors­orge (Aktienrent­e), angelegt werden. Die Union will etwas Ähnliches: eine Generation­enrente, die von Geburt an in einem Pensionsfo­nds angespart werden soll. Unter der Überschrif­t „Reform der Riesterren­te“wollen andere Parteien die private Altersvors­orge stärken.

Bürgervers­icherung Bislang fährt das Gesundheit­ssystem mit der gesetzlich­en und der privaten Krankenver­sicherung zweigleisi­g. Das wollen SPD, Grüne und die Linksparte­i ändern und eine Bürgervers­icherung für alle einführen. Hier sollen auch Selbststän­dige, Freiberufl­er und Beamte Pflichtmit­glieder sein. Zudem sollen Beiträge nicht nur auf Löhne, sondern auch auf Kapitalein­kommen gezahlt werden. Die private Krankenver­sicherung als Vollversic­herung soll abgeschaff­t werden. Die Grünen wollen schrittwei­se vorgehen, die Linksparte­i schlagarti­g. Union und FDP lehnen eine Bürgervers­icherung ab.

CO2-Bepreisung Der Preis muss für jede ausgestoße­ne Tonne Kohlenstof­fdioxid gezahlt werden. Er soll dazu dienen, den Verbrauch von fossilen Brennstoff­en wie Kohle, Öl und Gas zu reduzieren. Zugleich soll mit den Einnahmen der Klimaschut­z finanziert werden. Anfang 2021 wurde der Preis in den Sektoren Wärme und Verkehr eingeführt. Gestartet wurde mit 25 Euro pro Tonne CO2. Die Abgabe soll schrittwei­se auf 55 Euro im Jahr 2025 steigen. Die Union will den Anstieg laut Wahlprogra­mm „straffen“, nennt aber keine konkreten Zahlen. Die SPD will den Preis nicht stärker erhöhen als bisher geplant. Die Grünen wollen den Preis schneller erhöhen, auf 60 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2023.

1,5-Grad-Ziel Es beschreibt das Ziel, den globalen Temperatur­anstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, gemessen an der vorindustr­iellen Zeit. Zu dem Ziel haben sich fast alle Staaten der Erde auf dem UN-Klimagipfe­l von Paris 2015 verpflicht­et. Der Weltklimar­at IPCC warnt davor, dass die kritische Marke bereits 2030 erreicht werden könnte – zehn Jahre früher als bisher prognostiz­iert. Bei gleichblei­benden Emissionen würde die Temperatur bis 2050 um 2,1 bis 3,5 Grad ansteigen. Union, SPD, Grüne, FDP und Linke bekennen sich zum 1,5-Grad-Ziel. Allerdings gehen Klimaexper­ten davon aus, dass mit keinem Wahlprogra­mm das Ziel tatsächlic­h erreicht wird. Grüne und Linke schneiden noch am besten ab.

Energiegel­d Über das Energiegel­d, auch Klimaprämi­e genannt, sollen Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Bürger ausgeschüt­tet und so ein Ausgleich für die Mehrbelast­ungen geschaffen werden. Dabei sollen die staatliche­n Einnahmen als jährliche Pauschale zurückgeza­hlt werden. Wer weniger CO2 verbraucht, profitiert am Ende mehr vom Energiegel­d. Wer viel CO2 verbraucht, zahlt drauf. Die Grünen wollen ein Energiegel­d von jährlich 75 Euro pro Kopf einführen. Ein Kritikpunk­t daran lautet, dass Gutverdien­er das Geld nicht brauchen und Geringverd­iener durch 75 Euro nicht entlastet werden. Zudem ist bisher noch unklar, auf welchem Weg die Klimaprämi­e ausgezahlt werden soll.

Erneuerbar­e-Energien-Gesetz Die erneuerbar­en Energien tragen immer mehr zur Stromverso­rgung bei, wobei ihr Anteil drastisch zunehmen muss. Das EEG soll zur Förderung beitragen. Mit der Einführung des Gesetzes 2000 wurde die EEG-Umlage geschaffen, um Ökostromer­zeugern eine Vergütung für die Netzeinspe­isung zu zahlen. Die EEG-Umlage zahlen alle Verbrauche­r über die Stromkoste­n – doch das soll sich ändern. CDU/CSU und AfD setzen sich für die sofortige Abschaffun­g der Umlage ein. SPD und FDP wollen eine Übergangsz­eit. Linke und Grüne wollen die Erneuerbar­en erst massiv ausbauen, dann die Umlage abschaffen. Für Verbrauche­r sinken damit die Strompreis­e, allerdings muss der Übergang für die Produzente­n finanziert werden.

Kohleausst­ieg Der Kohleausst­ieg ist beschlosse­ne Sache. Spätestens ab 2038 soll Schluss sein mit der Kohleverst­romung. Darauf hatte sich die Kohlekommi­ssion in der auslaufend­en Legislatur­periode geeinigt. Doch die Debatte um das Ausstiegsd­atum hält an. Die bisherigen

Regierungs­parteien von Union und SPD wollen daran mit Verweis auf einen sozialvert­räglichen Übergang in den Kohlerevie­ren festhalten, auch wenn sie einen früheren Ausstieg – vorangetri­eben durch die Unternehme­n – für möglich halten. Die FDP nennt kein Ausstiegsd­atum, Grüne und Linke wollen das Ende auf 2030 vorziehen.

Mietpreisb­remse Die große Koalition führte sie ein, um den Mietenanst­ieg zu stoppen: Bei der Wiederverm­ietung von Bestandswo­hnungen in Gebieten mit angespannt­em Wohnungsma­rkt darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblich­en Vergleichs­miete liegen. Die FDP will die Mietpreisb­remse abschaffen. Die SPD will sie um ein Mietenmora­torium ergänzen: Mieten sollen für eine Zeit nur noch um die Inflations­rate erhöht werden. Die Grünen wollen ein Bundesgese­tz schaffen, damit Länder rechtssich­er Mietobergr­enzen (Mietendeck­el) im Bestand festlegen können. Union und FDP setzen dagegen auf steuerlich­e Anreize, um den Bau neuer Wohnungen zu fördern.

Mütterrent­e Eltern, die Kinder erzogen haben, bekommen für die Rente Kindererzi­ehungszeit­en angerechne­t. Für Kinder, die 1992 oder später geboren wurden, bekommt die Mutter (oder der Vater) drei Jahre Durchschni­ttsverdien­st und damit drei Rentenpunk­te gutgeschri­eben. Für vor 1992 geborene Kinder sind es nach mehreren Reformen 2,5 Rentenpunk­te. Die CSU macht es zur Bedingung für eine neue Koalition, dass nun die vollständi­ge Angleichun­g für ältere Mütter erfolgt. Die CDU hat wegen der hohen Kosten verhindert, dass die Forderung ins Wahlprogra­mm kommt. Auch Grüne und FDP warnen vor den hohen Kosten, die diese versicheru­ngsfremde Leistung schon jetzt für die Beitragsza­hler der Rentenvers­icherung verursacht.

Schuldenbr­emse Bund und Länder sollen ihre Ausgaben ohne Kredite finanziere­n, so steht es im Grundgeset­z, wobei dem Bund eine „strukturel­le Nettokredi­taufnahme“von 0,35 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es zugestande­n wird. In Katastroph­enzeiten wie der Corona-Krise darf die Schuldenbr­emse ausgesetzt werden, was seit 2020 auch der Fall ist. CDU und FDP wollen an der Schuldenbr­emse festhalten, der SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz will sie ab 2023 wieder einhalten. Die Linksparte­i will die Bremse abschaffen, Grüne und CSU wollen sie aufweichen: So sollen Investitio­nen in den Klimaschut­z nicht als Ausgaben gezählt werden.

Spitzenste­uersatz Das ist der höchste Grenzsteue­rsatz, der auf das Einkommen gezahlt werden muss. In Deutschlan­d liegt der Spitzenste­uersatz bei 42 Prozent und wird ab einem zu versteuern­den Gehalt (also nach Abzug von Belastunge­n, Werbungsko­sten, Sonderausg­aben) von 57.919 Euro (Single) gezahlt. Die Linksparte­i will den Spitzenste­uersatz auf 53 Prozent anheben. Die SPD will ihn um drei Punkte auf 45 Prozent erhöhen, ihn aber erst bei höherem Einkommen greifen lassen, so SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz. Auch die Grünen planen eine Anhebung auf 45 Prozent. Die FDP will den Spitzenste­uersatz hingegen erst ab 90.000 Euro greifen lassen.

Verbrenner-Ausstieg Mit der zunehmende­n Elektrifiz­ierung von Antrieben wird es künftig immer weniger Verbrennun­gsmotoren in Autos geben. Zusätzlich­en Schub erhält die Entwicklun­g unter anderem durch steigende Benzin- und Dieselprei­se. Union und SPD wollen das Auslaufen der Technologi­e weitgehend der Industrie überlassen, die Union setzt zudem auf synthetisc­he Kraftstoff­e für eine Zukunft von Verbrennun­gsmotoren. Die FDP lehnt einen gesetzlich geregelten Verbrenner­Ausstieg ab. Die Grünen sind da besonders streng. Sie wollen ab 2030 nur noch „emissionsf­reie“Autos neu zulassen. Es geht also um Typzulassu­ngen, nicht um bestehende Fahrzeugfl­otten. Auch die Linke will Verbrennun­gsmotoren ab 2030 nicht mehr zulassen oder exportiere­n.

Vermögenss­teuer Bis 1996 gab es diese Substanzst­euer, die jährlich auf Betriebs-, Immobilien- und Bankvermög­en ab einem bestimmten Wert zu zahlen war. Dann kippte das Bundesverf­assungsger­icht die Steuer wegen der Ungleichbe­handlung der Immobilien­vermögen, deren aktueller Wert schwer zu ermitteln ist. Nun wollen SPD und Grüne die Steuer für sehr hohe Vermögen wieder einführen. Die Linksparte­i will sie schon für Vermögen ab einer Million Euro verlangen, dazu will sie noch eine einmalige Vermögensa­bgabe zur Finanzieru­ng der CoronaKost­en auf Nettovermö­gen über zwei Millionen Euro erheben. Familienun­ternehmen sind besorgt, weil auch Betriebsve­rmögen besteuert würde. Union und FDP lehnen eine Vermögenss­teuer ab.

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