Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Schlagwörter für den Koalitionspoker
Bei den Sondierungen nach der Wahl geht es um viele komplexe Fragen. Wir erklären die wichtigsten Begriffe und Positionen.
BERLIN Eines steht jetzt schon fest: Die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl werden komplex. Denn mit dem Schrumpfen der Volksparteien sind gleich mehrere Dreier- oder womöglich auch einzelne Zweier-Kombinationen möglich. Wir haben die wichtigsten Schlagwörter, die bei den anstehenden Sondierungsgesprächen und den anschließenden Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen werden, kurz erklärt und mit den Positionen der Parteien versehen – natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Aktienrente Der gesetzlichen Rentenversicherung droht langfristig ein Finanzierungsschock. Um das Loch zu stopfen, haben die Parteien verschiedene Pläne. Die FDP schlägt eine Aktienrente vor. Dabei soll ein kleiner Teil der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Beiträge (etwa zwei Prozent des Bruttoeinkommens) in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge (Aktienrente), angelegt werden. Die Union will etwas Ähnliches: eine Generationenrente, die von Geburt an in einem Pensionsfonds angespart werden soll. Unter der Überschrift „Reform der Riesterrente“wollen andere Parteien die private Altersvorsorge stärken.
Bürgerversicherung Bislang fährt das Gesundheitssystem mit der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung zweigleisig. Das wollen SPD, Grüne und die Linkspartei ändern und eine Bürgerversicherung für alle einführen. Hier sollen auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte Pflichtmitglieder sein. Zudem sollen Beiträge nicht nur auf Löhne, sondern auch auf Kapitaleinkommen gezahlt werden. Die private Krankenversicherung als Vollversicherung soll abgeschafft werden. Die Grünen wollen schrittweise vorgehen, die Linkspartei schlagartig. Union und FDP lehnen eine Bürgerversicherung ab.
CO2-Bepreisung Der Preis muss für jede ausgestoßene Tonne Kohlenstoffdioxid gezahlt werden. Er soll dazu dienen, den Verbrauch von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas zu reduzieren. Zugleich soll mit den Einnahmen der Klimaschutz finanziert werden. Anfang 2021 wurde der Preis in den Sektoren Wärme und Verkehr eingeführt. Gestartet wurde mit 25 Euro pro Tonne CO2. Die Abgabe soll schrittweise auf 55 Euro im Jahr 2025 steigen. Die Union will den Anstieg laut Wahlprogramm „straffen“, nennt aber keine konkreten Zahlen. Die SPD will den Preis nicht stärker erhöhen als bisher geplant. Die Grünen wollen den Preis schneller erhöhen, auf 60 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2023.
1,5-Grad-Ziel Es beschreibt das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, gemessen an der vorindustriellen Zeit. Zu dem Ziel haben sich fast alle Staaten der Erde auf dem UN-Klimagipfel von Paris 2015 verpflichtet. Der Weltklimarat IPCC warnt davor, dass die kritische Marke bereits 2030 erreicht werden könnte – zehn Jahre früher als bisher prognostiziert. Bei gleichbleibenden Emissionen würde die Temperatur bis 2050 um 2,1 bis 3,5 Grad ansteigen. Union, SPD, Grüne, FDP und Linke bekennen sich zum 1,5-Grad-Ziel. Allerdings gehen Klimaexperten davon aus, dass mit keinem Wahlprogramm das Ziel tatsächlich erreicht wird. Grüne und Linke schneiden noch am besten ab.
Energiegeld Über das Energiegeld, auch Klimaprämie genannt, sollen Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Bürger ausgeschüttet und so ein Ausgleich für die Mehrbelastungen geschaffen werden. Dabei sollen die staatlichen Einnahmen als jährliche Pauschale zurückgezahlt werden. Wer weniger CO2 verbraucht, profitiert am Ende mehr vom Energiegeld. Wer viel CO2 verbraucht, zahlt drauf. Die Grünen wollen ein Energiegeld von jährlich 75 Euro pro Kopf einführen. Ein Kritikpunkt daran lautet, dass Gutverdiener das Geld nicht brauchen und Geringverdiener durch 75 Euro nicht entlastet werden. Zudem ist bisher noch unklar, auf welchem Weg die Klimaprämie ausgezahlt werden soll.
Erneuerbare-Energien-Gesetz Die erneuerbaren Energien tragen immer mehr zur Stromversorgung bei, wobei ihr Anteil drastisch zunehmen muss. Das EEG soll zur Förderung beitragen. Mit der Einführung des Gesetzes 2000 wurde die EEG-Umlage geschaffen, um Ökostromerzeugern eine Vergütung für die Netzeinspeisung zu zahlen. Die EEG-Umlage zahlen alle Verbraucher über die Stromkosten – doch das soll sich ändern. CDU/CSU und AfD setzen sich für die sofortige Abschaffung der Umlage ein. SPD und FDP wollen eine Übergangszeit. Linke und Grüne wollen die Erneuerbaren erst massiv ausbauen, dann die Umlage abschaffen. Für Verbraucher sinken damit die Strompreise, allerdings muss der Übergang für die Produzenten finanziert werden.
Kohleausstieg Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Spätestens ab 2038 soll Schluss sein mit der Kohleverstromung. Darauf hatte sich die Kohlekommission in der auslaufenden Legislaturperiode geeinigt. Doch die Debatte um das Ausstiegsdatum hält an. Die bisherigen
Regierungsparteien von Union und SPD wollen daran mit Verweis auf einen sozialverträglichen Übergang in den Kohlerevieren festhalten, auch wenn sie einen früheren Ausstieg – vorangetrieben durch die Unternehmen – für möglich halten. Die FDP nennt kein Ausstiegsdatum, Grüne und Linke wollen das Ende auf 2030 vorziehen.
Mietpreisbremse Die große Koalition führte sie ein, um den Mietenanstieg zu stoppen: Bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Die FDP will die Mietpreisbremse abschaffen. Die SPD will sie um ein Mietenmoratorium ergänzen: Mieten sollen für eine Zeit nur noch um die Inflationsrate erhöht werden. Die Grünen wollen ein Bundesgesetz schaffen, damit Länder rechtssicher Mietobergrenzen (Mietendeckel) im Bestand festlegen können. Union und FDP setzen dagegen auf steuerliche Anreize, um den Bau neuer Wohnungen zu fördern.
Mütterrente Eltern, die Kinder erzogen haben, bekommen für die Rente Kindererziehungszeiten angerechnet. Für Kinder, die 1992 oder später geboren wurden, bekommt die Mutter (oder der Vater) drei Jahre Durchschnittsverdienst und damit drei Rentenpunkte gutgeschrieben. Für vor 1992 geborene Kinder sind es nach mehreren Reformen 2,5 Rentenpunkte. Die CSU macht es zur Bedingung für eine neue Koalition, dass nun die vollständige Angleichung für ältere Mütter erfolgt. Die CDU hat wegen der hohen Kosten verhindert, dass die Forderung ins Wahlprogramm kommt. Auch Grüne und FDP warnen vor den hohen Kosten, die diese versicherungsfremde Leistung schon jetzt für die Beitragszahler der Rentenversicherung verursacht.
Schuldenbremse Bund und Länder sollen ihre Ausgaben ohne Kredite finanzieren, so steht es im Grundgesetz, wobei dem Bund eine „strukturelle Nettokreditaufnahme“von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zugestanden wird. In Katastrophenzeiten wie der Corona-Krise darf die Schuldenbremse ausgesetzt werden, was seit 2020 auch der Fall ist. CDU und FDP wollen an der Schuldenbremse festhalten, der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will sie ab 2023 wieder einhalten. Die Linkspartei will die Bremse abschaffen, Grüne und CSU wollen sie aufweichen: So sollen Investitionen in den Klimaschutz nicht als Ausgaben gezählt werden.
Spitzensteuersatz Das ist der höchste Grenzsteuersatz, der auf das Einkommen gezahlt werden muss. In Deutschland liegt der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent und wird ab einem zu versteuernden Gehalt (also nach Abzug von Belastungen, Werbungskosten, Sonderausgaben) von 57.919 Euro (Single) gezahlt. Die Linkspartei will den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anheben. Die SPD will ihn um drei Punkte auf 45 Prozent erhöhen, ihn aber erst bei höherem Einkommen greifen lassen, so SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Auch die Grünen planen eine Anhebung auf 45 Prozent. Die FDP will den Spitzensteuersatz hingegen erst ab 90.000 Euro greifen lassen.
Verbrenner-Ausstieg Mit der zunehmenden Elektrifizierung von Antrieben wird es künftig immer weniger Verbrennungsmotoren in Autos geben. Zusätzlichen Schub erhält die Entwicklung unter anderem durch steigende Benzin- und Dieselpreise. Union und SPD wollen das Auslaufen der Technologie weitgehend der Industrie überlassen, die Union setzt zudem auf synthetische Kraftstoffe für eine Zukunft von Verbrennungsmotoren. Die FDP lehnt einen gesetzlich geregelten VerbrennerAusstieg ab. Die Grünen sind da besonders streng. Sie wollen ab 2030 nur noch „emissionsfreie“Autos neu zulassen. Es geht also um Typzulassungen, nicht um bestehende Fahrzeugflotten. Auch die Linke will Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht mehr zulassen oder exportieren.
Vermögenssteuer Bis 1996 gab es diese Substanzsteuer, die jährlich auf Betriebs-, Immobilien- und Bankvermögen ab einem bestimmten Wert zu zahlen war. Dann kippte das Bundesverfassungsgericht die Steuer wegen der Ungleichbehandlung der Immobilienvermögen, deren aktueller Wert schwer zu ermitteln ist. Nun wollen SPD und Grüne die Steuer für sehr hohe Vermögen wieder einführen. Die Linkspartei will sie schon für Vermögen ab einer Million Euro verlangen, dazu will sie noch eine einmalige Vermögensabgabe zur Finanzierung der CoronaKosten auf Nettovermögen über zwei Millionen Euro erheben. Familienunternehmen sind besorgt, weil auch Betriebsvermögen besteuert würde. Union und FDP lehnen eine Vermögenssteuer ab.