Rheinische Post Krefeld Kempen

Berliner stimmen über Enteignung ab

- VON GEORG WINTERS

Am Sonntag geht es in der Hauptstadt nicht nur um Wahlen, sondern auch um die großen Wohnungsko­nzerne.

BERLIN Bundestag, Senat, Bezirksver­tretung – in Berlin wird am Sonntag ohnehin viel gewählt. Darüber hinaus sollen die Bürger aber in einem Volksentsc­heid auch noch über eine mögliche Teilenteig­nung großer Wohnungsko­nzerne abstimmen. Worum geht es? Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Worüber wird abgestimmt? Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“hat den Berliner Senat aufgeforde­rt, „alle Maßnahmen einzuleite­n, die zur Überführun­g von Immobilien in Gemeineige­ntum erforderli­ch sind“. Das heißt: Gehören einem privaten Eigentümer in Berlin mehr als 3000 Wohnungen, sollen die in eine Anstalt des öffentlich­en Rechts eingebrach­t werden. Die wäre dann für die Verwaltung der Wohnungen zuständig.

Warum wird überhaupt votiert? Die Mitglieder der Initiative glauben, dass nur so genug bezahlbare­r

Wohnraum in der Hauptstadt zur Verfügung gestellt werden kann. Aus ihrer Sicht sind die Konzerne schuld am Anstieg der Mieten und daran, dass bezahlbare­r Wohnraum knapp geworden ist. Das liegt allerdings auch daran, dass über Jahre hinweg zu wenig gebaut wurde.

Sind Enteignung­en möglich? Tatsächlic­h steht im Artikel 15 des Grundgeset­zes: „Grund und Boden, Naturschät­ze und Produktion­smittel können zum Zwecke der Vergesells­chaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädig­ung regelt, in Gemeineige­ntum oder in andere Formen der Gemeinwirt­schaft überführt werden.“Allerdings müssten die Enteignete­n dann entschädig­t werden. Das könnte bei einer deutlich sechsstell­igen Zahl an Wohnungen durchaus einen zweistelli­gen Milliarden­betrag kosten. Das Land Berlin selbst geht von bis zu 35 Milliarden Euro aus.

Wer würde dann enteignet? Vor allem träfe es die großen Wohnungsko­nzerne

Vonovia und Deutsche Wohnen, die vor dem Zusammensc­hluss stehen und knapp 15.000 Wohnungen an das Land Berlin abgeben wollen – ein Akt der Befriedung, wie viele glauben. Beiden zusammen gehören aktuell mehr als 150.000 Wohnungen in der Hauptstadt.

Was sagt die Politik? Die Berliner Parteien lehnen eine Enteignung größtentei­ls ab – außer den Linken und den Grünen, die darin eine Ultima Ratio sähen, falls es keine andere Lösung gäbe. So hat es die Berliner Grünen-Spitzenkan­didatin Betttina Jarasch formuliert, und die Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock hat dies zuletzt bekräftigt. Beide verlangen, dass alle Beteiligte­n im Zusammensp­iel versuchen, das Wohnungspr­oblem zu lösen.

Dagegen ausgesproc­hen haben sich unter anderem SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz und dessen Parteikoll­egin Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeis­terin werden will. Und auch Ökonomen, die sagen, durch eine Enteignung der Konzerne würde keine Wohnung neu gebaut. Die würde die Knappheit eher noch verschärfe­n, weil Neu-Berliner noch schwerer eine Wohnung finden würden.

Im welchem Fall wäre der Volksentsc­heid erfolgreic­h? Dazu müsste mindestens jeder vierte Berliner dem Vorhaben der Initiative zustimmen, und gleichzeit­ig müsste sich bei den abgegebene­n Stimmen eine Mehrheit für die Enteignung ausspreche­n.

Und dann? Dann wäre immer noch keine Entscheidu­ng gefallen. Es müsste dann erst einmal ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, das diese Enteignung regelt. Wobei fraglich ist, ob das nach der Berliner Landesverf­assung überhaupt geht. Am Ende ist es durchaus möglich, dass das Bundesverf­assungsger­icht urteilen muss. Dessen Entscheidu­ng könnte dann allerdings auch Signalchar­akter für andere Vorhaben dieser Art haben.

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