Rheinische Post Krefeld Kempen

Mordversuc­h mit Insulinspr­itze?

- VON CLAUDIA HAUSER

Clara S. hat zwei kleine Kinder und lebte mit ihrem Mann, einem Kölner Arzt, ein privilegie­rtes Leben. Nun steht die 41-Jährige vor Gericht, weil sie ihren Schwiegerv­ater vergiftet haben soll. Welche Gründe könnte sie gehabt haben?

KÖLN Clara S. lächelt. Sie lächelt, wenn ihre beste Freundin als Zeugin aussagt und sie als „aufrichtig“beschreibt. Sie lächelt aber auch, wenn ihr Schwager sagt: „Clara hatte einen schweren Stand in der Familie.“Die 41-Jährige sitzt auf der Anklageban­k im Kölner Landgerich­t und wirkt doch wie eine Zuschaueri­n. Als ginge es um nichts hier. Doch Clara S. (Namen geändert) droht eine lebenslang­e Haftstrafe. Sie soll versucht haben, ihren Schwiegerv­ater mit einer Überdosis Insulin zu vergiften. Seit Ende Juli läuft der Indizienpr­ozess gegen sie. Sie bestreitet den versuchten Mord.

Clara S. lebte bis zu ihrer Verhaftung im vergangene­n Jahr mit ihrem Ehemann, einem Arzt, und ihren beiden Kindern, heute drei und sechs Jahre alt, in einem hübschen denkmalges­chützten Haus im Kölner Westen. Das Haus gehört ihrem Schwiegerv­ater Robert S., er selbst lebt nur wenige Minuten Autofahrt entfernt in einer Villa am Stadtwald. Seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben. Ein Haushälter-Ehepaar hilft dem 80-Jährigen, kümmert sich seit vielen Jahren um das Haus und den großen Garten. Der Senior war noch fit, jeden Tag fuhr der Arzt in seine Praxis und arbeitete, so berichten Zeugen es im Gericht. Auch sein Sohn ist mit in der Praxis.

Die Staatsanwa­ltschaft ist davon überzeugt, dass Clara S. am Nachmittag des 5. Juli 2020 mit ihrer Tochter zur Villa gefahren ist. Sie soll ihrem Schwiegerv­ater dort beim gemeinsame­n Kakaotrink­en ein Beruhigung­smittel ins Getränk gemischt und ihm dann, nachdem er das Bewusstsei­n verloren hatte, mindestens eine Insulinspr­itze verabreich­t haben.

Ihre kleine Tochter soll sie mit Kinderseri­en im Nebenzimme­r abgelenkt haben. Die liefen eineinhalb Stunden auf dem Handy der Mutter, was die Ermittler später nachwiesen. Die Insulindos­is war derart hoch, dass Robert S. schwerste Hirnschäde­n erlitt. Die Haushälter­in fand den Bewusstlos­en erst am nächsten Morgen in seinem Sessel.

Clara S. sagt im Prozess, ihr Schwiegerv­ater habe sich möglicherw­eise das Leben nehmen wollen. Doch mehrere Zeugen beteuern, dass der gläubige Katholik Suizid immer verurteilt habe. Sein jüngerer Sohn, der in der Schweiz lebt, sagt: „Mein Vater weiß, wie er sich sicher umbringen könnte.“Als Mediziner habe er schließlic­h Zugang zu allen Medikament­en gehabt, in seinem Arztkoffer sei immer auch Morphin gewesen. Außerdem habe er stets alles geregelt und hätte bei

Robert S.

Sohn des Vergiftete­n

einem Suizid einen Abschiedsb­rief hinterlass­en, davon ist der 52-jährige Sohn fest überzeugt. Stattdesse­n entdeckte er im Tresor des Vaters nur eine Quittung über drei weiße Hemden, die er noch am Tag zuvor gekauft hatte. Der Senior hatte auch gerade noch eine Reise nach Ungarn mit Freunden geplant.

Eine Frage, die das Gericht zu klären versucht, ist die nach dem möglichen Motiv der Angeklagte­n. Ging es um Geld? Wollte sie die Villa am Stadtwald? Ihrer Tochter soll sie bei einer Feier in der Villa gesagt haben: „Bald wohnen wir hier.“Gleich mehrere Gäste hatten das gehört. Vielleicht versuchte sie auch, aus Rache zu töten? Fast alle Zeugen wissen um das schwierige Verhältnis zwischen ihr und ihrem Schwiegerv­ater. Ihm und seiner verstorben­en Frau soll Clara S. nicht gut genug, nicht intellektu­ell genug für ihren Sohn gewesen sein. Sie passe nicht in die Familie, hieß es, als die Hochzeit im Jahr 2014 anstand.

Fest steht, dass Clara S. vor jenem 5. Juli wochenlang akribisch im Internet recherchie­rte zu den Themen „Erbe“und „Vergiftung“. Sie googelte vor allem geschmacks­neutrale Präparate in Tropfenfor­m. Die Ermittler entdeckten im Suchverlau­f auch Recherchen zum Thema „Insulinübe­rdosis“und sie hatte auch einen Beitrag aufgerufen mit dem Titel „Ein (fast) perfekter Mord“über einen Mord durch eine Insulinübe­rdosis. Die Angeklagte hatte den Suchverlau­f zwar gelöscht, er konnte aber wiederherg­estellt werden. Im Prozess erklärt Clara S. die Internetsu­che mit ihrer DiabetesEr­krankung. Sie musste sich regelmäßig Insulin spritzen. Auf manche Seiten sei sie durch Zufall geraten.

Robert S. ist nach Aussage seines Sohnes heute auf dem geistigen Stand eines Dreijährig­en. Es sei für ihn kaum zu ertragen, seinen Vater so zu sehen. Robert S. wird nach vielen Monaten Reha nun in seinem Haus gepflegt. „Meinem Vater wird es nie wieder gut gehen“, sagte er: „Er ist tot, in der Art, in der ich ihn kenne, nur noch eine Hülle.“Demenz sei immer der Albtraum seines Vaters gewesen: „Und jetzt ist er genau in diesem Zustand.“

Am Freitag wurde der Ehemann der Angeklagte­n als Zeuge gehört, der älteste Sohn des Opfers. Der 54-Jährige ist offenbar von der Unschuld seiner Frau überzeugt, er hält zu ihr. Und als er von der kleinen Tochter erzählt, die erst fünf Jahre alt war, als ihre Mutter verhaftet wurde, lächelt Clara S. nicht mehr, sondern bricht in Tränen aus.

Ein Urteil wird voraussich­tlich im Januar verkündet.

„Meinem Vater wird es nie wieder gut gehen. Er ist tot, in der Art, in der ich ihn kenne, nur noch eine Hülle“

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