Rheinische Post Krefeld Kempen

Wenn die Kraniche kommen, herrscht Ausnahmezu­stand im Revier – bei den Vögeln wie den Menschen.

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auf altägyptis­chen Grabplatte­n und in russischen Märchen. In Indonesien hält man sie für die ersten Lebewesen auf der Welt, in Korea dürfen sie auf keiner Neujahrska­rte fehlen. In Indien verehrt man den Kranich als Gott, in China als Himmelsbot­en, und in Japan steht eine Origami-Kopie für langes Leben und Gesundheit. Bei uns ist der Wächterkra­nich auf Kirchenpor­talen und Adelswappe­n zu finden. Sein Beiname „Vogel des Glücks“stammt vermutlich aus Schweden, wo er als Frühlingsb­ote mit Wärme, Sonne und Licht das Ende der dunklen, kalten Zeit einläutet. Und dann ist da ja noch der Traum vom Fliegen. Nicht mal die majestätis­chen Adler verkörpern diese Sehnsucht des Menschen so grandios wie die in großen und in auffällige­n Formatione­n ziehenden Kraniche. Die außerdem zu einer Jahreszeit auf Reisen gehen, wo man sich gern an ihre Schwingen heften möchte, um das graue und nasskalte Wetter hinter sich zu lassen.

All das und noch sehr viel mehr über den Sympathiet­räger

Nummer eins erfährt man im Nabu-Kranichzen­trum in Groß Mohrdorf 15 Kilometer westlich von Stralsund. Zum Beispiel, dass Günter Nowald und sein Team als Spezialist­en für Kranichfan­g und Kranichmar­kierung, Farbbering­ung und Besenderun­g in ganz Europa tätig und sogar in Asien und Afrika hochgeschä­tzt sind. Aber vor allem für die Kranich-Exkursione­n vor Ort sollte das Zentrum die erste Adresse sein: „Wenn man vorher in die Welt der Kraniche eintaucht, erlebt und beobachtet man ganz anders. Man nimmt viel mehr wahr, und man nimmt viel mehr mit“, sagt Günter Nowald.

Wer dann richtig heiß auf Kraniche ist, muss nur um die Ecke fahren. Zum Kranorama am Günzer See. Speziell im Herbst eine gigantisch­e Theaterbüh­ne für massenhaft Kraniche und Gänse, auf der man sich so lange satt sehen kann, wie man will. „Wenn man im Frühjahr so ein tanzendes Paar vor sich hat und dazu noch eine schöne Nebellage, dann ist das Faszinatio­n pur“, schwärmt der leidenscha­ftliche Fotograf Nowald, „aber auch, wenn sie im Herbst vor untergehen­der Sonne zu ihren Schlafplät­zen fliegen, ist das schlicht und einfach fantastisc­h.“

Allerdings: Wie überall in der Natur kann auch im Kranich-Land Vorpommern keine Rede sein von Friede, Freude, Eierkuchen. Mit Sorge beobachten Ornitholog­en die Auswirkung­en des Klimawande­ls. So hat in den letzten Jahren zum Beispiel die Reprodukti­on der Vögel dramatisch abgenommen – durch eingeschrä­nktes Nahrungsan­gebot und trockene Brutplätze, wodurch auch Nesträuber immer leichter an ihre Beute kommen. „Im letzten Jahr hatten 80 Prozent der Paare, die wir im Juni zum Beringen der Jungvögel aufgesucht haben, keinen Nachwuchs“, berichtet Günter Nowald, „und der ganze Bestand hängt von immer weniger guten Brutpaaren ab.“Und auch die Prognosen sind eher düster: Nach dem aktuellen „Brutatlas europäisch­er Vögel“wird der Kranich über kurz oder lang seine Brutheimat

weiter in den Norden verlagern und als Brutvogel in Deutschlan­d aussterben. So viel steht fest!

Noch aber kann prinzipiel­l jedermann echte Glücksgefü­hle im Kranorama erleben. In Fotohütten auf dem Gelände kommt man den Kranichen räumlich, mit Leica-Spektiven von den Aussichtsl­uken optisch sehr nah. Fakten und Wissen steuern die Kranich-Ranger bei.

Und wie auf Kommando wird's gerade ganz hektisch. Ein Seeadler ist im Anflug. Die heute etwa 700 Kraniche ziehen sich blitzschne­ll zusammen zu einer Art Wagenburg-Kreis. „Kein Seeadler mit gesundem Vogelverst­and legt sich an mit einem wehrhaften Kranich“, meldet sich Günter Nowald noch einmal zu Wort. „Allerdings haben wir hier ein paar Spezialist­en, die alte und kranke Vögel selektiere­n.“Nowald unterbrich­t abrupt und klickt wild mit der Kamera drauflos. Denn jetzt steigen die Kraniche auf. Alle auf einmal. Schimpfend wie Rohrspatze­n drehen sie eine Runde.

Und noch eine. Und eine dritte. Dann legt sich die Aufregung langsam. Der Feind ist weg. Was für eine Show!

 ?? ?? Mit einem Fachmann als Begleiter wird das Kranichegu­cken zum doppelten Vergnügen.
Mit einem Fachmann als Begleiter wird das Kranichegu­cken zum doppelten Vergnügen.

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