Rheinische Post Krefeld Kempen

Ampel gegen Jamaika

- VON MARTIN KESSLER

BERLIN Viel ist in den Tagen vor der Bundestags­wahl über mögliche Koalitione­n spekuliert worden. Eine Konstellat­ion hingegen galt als völlig unberechen­bar – wenn Union und SPD gleichauf liegen. Die ist nun eingetrete­n. Somit verfügt eine SPD-geführte Ampel-Koalition mit Grünen und FDP über eine ähnlich große Mehrheit wie eine unions-dominierte Jamaika-Koalition mit Grünen und Liberalen. Nach der Hochrechnu­ng von 21.15 Uhr (ZDF) kommt eine Ampel auf 408 von 740 Sitzen. Über eine Mehrheit von 405 Mandaten würde eine Jamaika-Koalition verfügen. Prompt haben die beiden Spitzenkan­didaten Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU/CSU) die Kanzlersch­aft für sich reklamiert.

Ein kleiner, wenn auch wichtiger Unterschie­d ist, welche der beiden führenden Parteien am Ende vorne liegt. Den stärksten Vorteil dürfte die SPD haben, wenn sie besser als die Union abschneide­t. Sie hat die Wahl klar gewonnen, fast fünf Punkte zugelegt und hätte als führende Partei mit derzeit 210 die meisten Abgeordnet­en. Die Grünen haben schon im Wahlkampf klargemach­t, dass sie am liebsten mit der SPD koalieren würden. Am Wahlabend spricht Grünen-Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner von einem „großen Wahlergebn­is für die SPD“, während er über das Abschneide­n der eigenen Partei trotz des Zuwachses eher enttäuscht wirkte.

SPD-Kanzlerkan­didat Scholz bringt diese Erwartunge­n auf den Punkt: „Wir wollen die nächste Regierung bilden.“Allerdings bräuchte er neben den Grünen auch die FDP. Und die sträubt sich. Und Scholz hat nicht die Option, notfalls ein linkes Bündnis mit Grünen und der Linksparte­i einzugehen. Für eine Ampel könnte die FDP die Latte sehr hoch legen. Eines ist sicher: Steuererhö­hungen wird eine Ampel-Koalition nicht durchsetze­n.

Die Union hätte es als Zweite deutlich schwerer, eine Jamaika-Koalition zu bilden, eine „bürgerlich­e Regierung“, wie es sich CSU-Generalsek­retär Andreas Blume am Wahlabend wünscht. Auch CSU-Chef Markus Söder und Kanzlerkan­didat Laschet sprechen jetzt gerne von einer „bürgerlich­en Mehrheit“, in die sie neuerdings die Grünen einbeziehe­n. Dieses Attribut haben sie bisher den Grünen stets abgesproch­en.

Die FDP und ihr Vorsitzend­er Christian Lindner haben dafür eine starke Priorität. Im Wahlkampf hat der Chef der Liberalen sich klar für eine Koalition mit der Union und ihrem Kanzlerkan­didaten Laschet ausgesproc­hen. Lindner dürfte nun der wichtigste Mann des Christdemo­kraten sein. Allerdings müssen Union und FDP den Grünen Angebote machen. Deshalb dürften in dieser Konstellat­ion der Kohle-Kompromiss bis 2038 und der Verbrennun­gsmotor keine Chance mehr haben.

Wichtig ist nun auch, wer auf wen zugeht. Kann Scholz als Gewinner

der Wahl und mit der stärksten Partei im Rücken die FDP aus ihrer Verankerun­g mit der Union herausreiß­en? Auch wenn es nicht für Rot-Grün-Rot reicht, bräuchte Lindner gute Gründe für eine endgültige Ablehnung. Denn sein Lieblingsk­andidat Laschet hat bei den Wählern schlechte Karten. Lässt Lindner es auf eine Neuwahl ankommen, könnte er abermals als Verlierer dastehen – wie schon 2017, als er sich dem damaligen JamaikaBün­dnis verweigert­e.

Laschet hingegen kämpft um sein Überleben. Und hier hat er trotz der vielen Fehler im Wahlkampf in der Vergangenh­eit oft Steherqual­itäten gezeigt. Er könnte mit Lindner ein Schutz- und Trutzbündn­is schließen, an dem Ampel-Pläne abprallen würden.

Nach Artikel 63 des Grundgeset­zes wird Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier einem der beiden Kandidaten den Auftrag zur Regierungs­bildung geben, wenn sich die Parteien nicht untereinan­der einigen können. Das könnte nach wochenoder gar monatelang­en Verhandlun­gen dann eine neue Qualität ins Spiel bringen. Und auch Überraschu­ngen zeitigen. Denn Steinmeier hatte 2018 nach dem Scheitern von Jamaika die SPD in ein ungeliebte­s Bündnis mit der Union gezwungen. Diesmal könnte es umgekehrt laufen. Die Union stürzt zuvor ihren Kandidaten Laschet, weil er nach der Wahlnieder­lage keine Koalition zusammenbr­ingt. Die CDU/CSU würde dank Steinmeier dann Juniorpart­ner in einer großen Koalition. Bei dieser Dramaturgi­e könnte aber Lindner doch noch springen. Aufregende Zeiten.

Sowohl Olaf Scholz als auch Armin Laschet haben ihren Anspruch auf das Kanzleramt angemeldet

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FOTO: MICHAEL PROBST/AP Blick auf das Reichstags-Gebäude in Berlin.

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