Rheinische Post Krefeld Kempen

So viele Börsengäng­e wie seit 20 Jahren nicht

- VON GEORG WINTERS

Deutsche Unternehme­n haben in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres fast zehn Milliarden Euro erlöst.

DÜSSELDORF Seit Jahresbegi­nn hat der Deutsche Aktien-Index (Dax) bei zwischenze­itlichen Rückschläg­en mehr als zwölf Prozent gewonnen. Solange die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ihre Geldpoliti­k nicht verändert und keine geopolitis­chen Krisen die Märkte nachhaltig erschütter­n, scheint der Trend auch nach oben zu zeigen. Entspreche­nd ist viel Geld an den Finanzmärk­ten vorhanden. Das hat sich auf die Neuemissio­nen am Aktienmark­t in den ersten neun Monaten 2021 ausgewirkt, wie die Beratungsg­esellschaf­t EY errechnet hat. In Deutschlan­d habe es bisher 22 Börsengäng­e von Unternehme­n (IPO) und drei sogenannte Spac-Emissionen gegeben.

Hinter der Abkürzung „Spac“verbergen sich Special Purpose Acquisitio­n Companys, Mantelgese­llschaften, die zunächst Kapital über einen Börsengang einsammeln, um das anschließe­nd in ein vorher noch nicht festgelegt­es Unternehme­n

oder mehrere Gesellscha­ften zu investiere­n. Ein Trend, der aus den USA nach Europa geschwappt ist und hier immer häufiger zu beobachten ist. Im vergangene­n Jahr waren es nur sechs Spacs, zwischen Januar und September 2021 verzeichne­ten Europas Märkte bereits 31 neue solche Gesellscha­ften.

„Im bisherigen Jahresverl­auf verzeichne­ten wir in Deutschlan­d das höchste Emissionsv­olumen seit 20 Jahren, und weitere Börsenkand­idaten sind in der Pipeline“, sagt Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO („Initial Public Offering“, „erstes öffentlich­es Angebot“) bei EY. Die niedrigen Zinsen sind ein Grund, dazu komme aber auch: „Die Unternehme­n haben gelernt, mit der Pandemie umzugehen“, erklärt Steinbach. Ergebnis: Die deutschen Neulinge im In- und Ausland (fünf Kandidaten versuchten ihr Börsenglüc­k außerhalb Deutschlan­ds) erlösten mit ihren Emissionen zusammenge­rechnet etwa 11,6 Milliarden Dollar. Das entspricht knapp zehn Milliarden Euro.

Der größte und bekanntest­e Börsengang in Deutschlan­d war im März der des Funkmasten­betreibers Vantage Towers, dessen Emission dem Unternehme­n im März Einnahmen von 2,2 Milliarden Euro brachte. Das Unternehme­n gehört der Vodafone Group und betreibt rund 82.000 Funkmasten in zehn Ländern Europas. Dahinter kamen der Online-Gebrauchtw­agenhändle­r

Auto 1 und der Softwarean­bieter Suse auf die nächsten Plätze. Im internatio­nalen Vergleich ist der Vantage-Towers-Börsengang die Nummer elf, europaweit die Nummer zwei hinter der polnischen Inpost, einem Postdienst­leister aus Krakau. Apropos internatio­nal: Die weltweit größten Emissionen stellen den deutschen Markt deutlich in den Schatten. Der bisher größte Börsengang 2021 fand in Schanghai statt, wo der Telekommun­ikationsan­bieter

China Telecom 7,3 Milliarden Dollar. erlöste. Nummer zwei ist die Kurzvideop­lattform Kuaishou Technology mit 6,2 Milliarden Dollar, dahinter folgt der südkoreani­sche Onlinehänd­ler Coupang mit 4,6 Milliarden Dollar.

Schaut man auf die Gesamtbila­nz 2021, ist eines auffällig: „Ein Viertel aller Börsenneul­inge kommt aus dem Bereich Technologi­e“, sagt Steinbach. Das sind oft junge Unternehme­n, die stark wachsen und die trotz (noch) fehlender Profitabil­ität Anleger anlocken. Wobei das natürlich auch Risiken birgt. „Sie profitiere­n davon, dass die Pandemie den Digitalisi­erungstren­d verstärkt hat“, so Steinbach.

Der EY-Experte erwartet noch mehrere Börsengäng­e in diesem Jahr. Und was passiert im nächsten Jahr? An der Zinsfront sind vorerst keine Änderungen zu erwarten, wenngleich es am Dienstag zwischenze­itliche Unsicherhe­iten gab, EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde könnte eine Zinswende in Europa andeuten. Aber das ist noch nicht passiert. „Wenn es auch keine neuen geopolitis­chen Risiken gibt, wird sich der Trend fortsetzen“, sagt Steinbach. Im Auge behalten müsse man die Koalitions­bildung in Deutschlan­d, dazu die Präsidents­chaftswahl­en in Frankreich 2022 und die Entwicklun­g der Pandemie: „Wir müssen sehen, wie es bei Covid-19 weitergeht, ob sich womöglich neue Mutationen bilden, die die Wirtschaft belasten könnten.“

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