Rheinische Post Krefeld Kempen

Gleichbere­chtigung auch im Misserfolg

- VON JANA WOLF

Die Grünen werden gerade dafür gescholten, dass ihre weibliche Nummer eins nach der Wahl nur noch die Nummer zwei ist. Es soll einen Deal geben, dass Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock zurückstec­kt und Co-Parteichef Robert Habeck den Posten des Vizekanzle­rs überlässt. Groß ist die Aufregung. Mit dem Rollenwech­sel sei der Gleichbere­chtigung ein Bärendiens­t erwiesen – so geht die Kritik. Doch sie führt in die Irre. Ganz so, als müsse eine Frau nicht wie jeder andere Politiker für eigene Fehler geradesteh­en. Gleichbere­chtigung endet nicht bei Niederlage­n. So wie die Chancen auf Karriere und Erfolg gleich zwischen Frauen und Männern verteilt sein müssen, muss auch die Verantwort­ung bei Misserfolg gleicherma­ßen getragen werden. Dass ausgerechn­et die Grünen nun des Verrats am Feminismus bezichtigt werden, ist Unsinn.

Das größere Problem liegt woanders. Da sind die Kanzlerkan­didaten, Parteichef­s und Generalsek­retäre von Union, FDP, teils auch der SPD. Da sind Sondierung­steams, die gerade bei Union und FDP ein krasses Missverhäl­tnis zwischen Männern und Frauen aufweisen. Sieht so die Aufstellun­g für das versproche­ne Modernisie­rungsjahrz­ehnt aus? Soll mit einem männlich dominierte­n Personalta­bleau Gleichstel­lung verwirklic­ht werden? In ihren Programmen sprechen sich Union, FDP und SPD für mehr Gleichbere­chtigung und bessere Karrierech­ancen für Frauen aus. Bei der Umsetzung sollten sie bei sich selbst beginnen.

Nun ist es nicht so, dass nur Frauen eine frauenfreu­ndliche Politik betreiben können. Auch Männer können zu ihren Fürspreche­rn werden. Doch es geht auch um Vorbilder, um weibliche Sichtbarke­it, um eine gerechte Verteilung von Macht. Für dieses Ziel ist Baerbocks Kandidatur, auch wenn sie ohne Erfolg blieb, am Ende doch ein Gewinn.

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