Rheinische Post Krefeld Kempen
Mützenich geht von einstimmigem Rückhalt für Scholz aus
Die SPD-Fraktion ist gewachsen und rückt nach links. Ihr Chef Rolf Mützenich verteidigt den Finanzminister im Cum-Ex-Skandal und greift die Union an.
BERLIN In der langgestreckten Halle des Paul-Löbe-Hauses in Berlin bricht am Mittwoch Jubel aus, als der wiedergewählte Fraktionschef Rolf Mützenich um die Ecke biegt. Die Abgeordneten der neuen SPDFraktion stehen für ein Gruppenfoto auf der großen Eingangstreppe des Gebäudes, das zum Bundestag gehört, und applaudieren ihrem Chef.
Mützenich mag so etwas eigentlich gar nicht, er ist ein ruhiger, ein bescheidener Mann. Doch es ist ein historischer Moment. Erst zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist die SPD-Fraktion stärkste Kraft im Parlament – für Mützenich ist das mit Ehre und großer Verantwortung verbunden. Es liegt mit in seinen Händen, ob SPD, Grüne und FDP sich tatsächlich zu einer Ampel-Koalition unter der Führung von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zusammenfinden können – und Scholz am Ende auch die nötige Kanzlermehrheit im Parlament erhält. Und so wechselt Mützenich fünf Tage nach Wahl im Gespräch mit unserer Redaktion routiniert zwischen Angriff und Verteidigung, um Scholz Rückhalt zu geben und der Union die Fähigkeit zur Bildung der einer Alternativkoalition mit Grünen und FDP abzusprechen.
„CDU und CSU sind angesichts des Schauspiels, das sie nicht erst seit dem Wahlabend bieten, offenkundig nicht mehr in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen“, sagt er beispielsweise. „Das wird auch die FDP erkennen“, so Mützenich. Er äußert einen ehrgeizigen Zeitplan: „Wir wollen in überschaubaren Teams erste Gespräche führen. Wenn es dann in die Verhandlungen geht, haben nach meiner Auffassung alle das Ziel, einen Koalitionsvertrag zu formulieren, der bereits im November oder Anfang Dezember zu einem Abschluss kommen kann“, sagt der SPD-Fraktionschef, der Teil des Sondierungsteams seiner Partei ist. Dass FDP und Grüne nun zuerst miteinander reden, sieht er nicht als Problem. „Grüne und FDP müssen sicher das vor vier Jahren bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen entstandene Misstrauen abbauen. Dagegen habe ich nichts“, so Mützenich.
Doch noch ist völlig offen, ob Scholz an der Spitze einer Ampel am Ende tatsächlich triumphieren und nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beerben kann. Was den Rückhalt für Scholz in der deutlich gewachsenen (jetzt 206 statt zuvor 152 Abgeordnete) und deutlich nach links gerückten Fraktion angeht, macht Mützenich sich keine Sorgen – obwohl nun auch mehr als 40 Jusos an Bord sind, die vor einigen Jahren noch in harter Opposition zu Scholz' Bewerbung für den SPD-Parteivorsitz standen.
Damals war der Groko-Vizekanzler und Finanzminister vor allem am Votum der Nachwuchs-Sozialdemokraten um Kevin Kühnert gescheitert. Er gehe von einstimmigem Rückhalt für Olaf Scholz bei einer Kanzlerwahl aus, sagt Mützenich heute. Scholz ist allerdings nicht unumstritten, das wissen auch Grüne und FDP. Neue Durchsuchungen im Cum-Ex-Skandal, bei dem die Warburg Bank an illegalen Steuergeschäften beteiligt war, fanden zuletzt beim früheren Hamburger SPD-Abgeordneten und einstigen Chefhaushälter der Bundestagsfraktion,
Johannes Kahrs, statt. Mützenich, kein politischer Freund von Kahrs, verteidigt Scholz gegen jedweden Verdacht: „Ich habe keine Zweifel an der Redlichkeit und Glaubwürdigkeit von Olaf Scholz. In zwei Untersuchungsausschüssen wurde festgestellt, dass sich Olaf Scholz weder etwas hat zu Schulden kommen lassen, noch war er je Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen“, so der Fraktionschef. Die Opposition aus FDP und Grüne habe sehr ausgiebig versucht, angebliche Verfehlungen von Scholz aufzuspüren. „Das ist ihnen misslungen“, so Mützenich.
Wie seine eigene politische Zukunft aussieht, lässt der 62-Jährige aus Köln noch im Unklaren. Denn die SPD kann nun – entgegen aller Erwartungen im Wahlkampf – auch das Amt des Bundestagspräsidenten für sich beanspruchen. Ob Rolf Mützenich noch von der ersten Reihe der Fraktion auf den Präsidentensessel im Parlament wechselt? Das bleibt abzuwarten.