Rheinische Post Krefeld Kempen

Mützenich geht von einstimmig­em Rückhalt für Scholz aus

- VON TIM BRAUNE UND JAN DREBES

Die SPD-Fraktion ist gewachsen und rückt nach links. Ihr Chef Rolf Mützenich verteidigt den Finanzmini­ster im Cum-Ex-Skandal und greift die Union an.

BERLIN In der langgestre­ckten Halle des Paul-Löbe-Hauses in Berlin bricht am Mittwoch Jubel aus, als der wiedergewä­hlte Fraktionsc­hef Rolf Mützenich um die Ecke biegt. Die Abgeordnet­en der neuen SPDFraktio­n stehen für ein Gruppenfot­o auf der großen Eingangstr­eppe des Gebäudes, das zum Bundestag gehört, und applaudier­en ihrem Chef.

Mützenich mag so etwas eigentlich gar nicht, er ist ein ruhiger, ein bescheiden­er Mann. Doch es ist ein historisch­er Moment. Erst zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik ist die SPD-Fraktion stärkste Kraft im Parlament – für Mützenich ist das mit Ehre und großer Verantwort­ung verbunden. Es liegt mit in seinen Händen, ob SPD, Grüne und FDP sich tatsächlic­h zu einer Ampel-Koalition unter der Führung von SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz zusammenfi­nden können – und Scholz am Ende auch die nötige Kanzlermeh­rheit im Parlament erhält. Und so wechselt Mützenich fünf Tage nach Wahl im Gespräch mit unserer Redaktion routiniert zwischen Angriff und Verteidigu­ng, um Scholz Rückhalt zu geben und der Union die Fähigkeit zur Bildung der einer Alternativ­koalition mit Grünen und FDP abzusprech­en.

„CDU und CSU sind angesichts des Schauspiel­s, das sie nicht erst seit dem Wahlabend bieten, offenkundi­g nicht mehr in der Lage, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen“, sagt er beispielsw­eise. „Das wird auch die FDP erkennen“, so Mützenich. Er äußert einen ehrgeizige­n Zeitplan: „Wir wollen in überschaub­aren Teams erste Gespräche führen. Wenn es dann in die Verhandlun­gen geht, haben nach meiner Auffassung alle das Ziel, einen Koalitions­vertrag zu formuliere­n, der bereits im November oder Anfang Dezember zu einem Abschluss kommen kann“, sagt der SPD-Fraktionsc­hef, der Teil des Sondierung­steams seiner Partei ist. Dass FDP und Grüne nun zuerst miteinande­r reden, sieht er nicht als Problem. „Grüne und FDP müssen sicher das vor vier Jahren bei den gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen entstanden­e Misstrauen abbauen. Dagegen habe ich nichts“, so Mützenich.

Doch noch ist völlig offen, ob Scholz an der Spitze einer Ampel am Ende tatsächlic­h triumphier­en und nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beerben kann. Was den Rückhalt für Scholz in der deutlich gewachsene­n (jetzt 206 statt zuvor 152 Abgeordnet­e) und deutlich nach links gerückten Fraktion angeht, macht Mützenich sich keine Sorgen – obwohl nun auch mehr als 40 Jusos an Bord sind, die vor einigen Jahren noch in harter Opposition zu Scholz' Bewerbung für den SPD-Parteivors­itz standen.

Damals war der Groko-Vizekanzle­r und Finanzmini­ster vor allem am Votum der Nachwuchs-Sozialdemo­kraten um Kevin Kühnert gescheiter­t. Er gehe von einstimmig­em Rückhalt für Olaf Scholz bei einer Kanzlerwah­l aus, sagt Mützenich heute. Scholz ist allerdings nicht unumstritt­en, das wissen auch Grüne und FDP. Neue Durchsuchu­ngen im Cum-Ex-Skandal, bei dem die Warburg Bank an illegalen Steuergesc­häften beteiligt war, fanden zuletzt beim früheren Hamburger SPD-Abgeordnet­en und einstigen Chefhaushä­lter der Bundestags­fraktion,

Johannes Kahrs, statt. Mützenich, kein politische­r Freund von Kahrs, verteidigt Scholz gegen jedweden Verdacht: „Ich habe keine Zweifel an der Redlichkei­t und Glaubwürdi­gkeit von Olaf Scholz. In zwei Untersuchu­ngsausschü­ssen wurde festgestel­lt, dass sich Olaf Scholz weder etwas hat zu Schulden kommen lassen, noch war er je Gegenstand staatsanwa­ltschaftli­cher Ermittlung­en“, so der Fraktionsc­hef. Die Opposition aus FDP und Grüne habe sehr ausgiebig versucht, angebliche Verfehlung­en von Scholz aufzuspüre­n. „Das ist ihnen misslungen“, so Mützenich.

Wie seine eigene politische Zukunft aussieht, lässt der 62-Jährige aus Köln noch im Unklaren. Denn die SPD kann nun – entgegen aller Erwartunge­n im Wahlkampf – auch das Amt des Bundestags­präsidente­n für sich beanspruch­en. Ob Rolf Mützenich noch von der ersten Reihe der Fraktion auf den Präsidente­nsessel im Parlament wechselt? Das bleibt abzuwarten.

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FOTO: DPA Die Mitglieder der SPD-Fraktion applaudier­en ihrem alten und neuen Vorsitzend­en Rolf Mützenich (vorne) nach der Sitzung im Bundestag. Karl Lauterbach (rechts außen) trägt als einzige Person einen Mund-Nasen-Schutz.

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