Rheinische Post Krefeld Kempen

Provokatio­n als Programm

- VON JULIA RATHCKE

Als Neuparlame­ntarier sorgt AfD-Politiker Matthias Helferich im Bundestag für Aufruhr. Auch in NRW ist der Dortmunder umstritten.

BERLIN/DÜSSELDORF Vor ein paar Wochen, im Juli dieses Jahres, postete AfD-Politiker Matthias Helferich ein Foto auf seinen Social-MediaKanäl­en: Es zeigt ihn an einer Straße mit Palmen, lächelnd, Rucksack und Sonnenbril­le auf, auf seinem grünen T-Shirt prangt in Schwarz das Konterfei von Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg und „20-7-1944“– das Datum des gescheiter­ten Hitler-Attentats. „Schon damals konnte man mir meine furchtbare Gesinnung am T-Shirt ansehen“, schreibt Helferich zu dem Bild von 2018 und tut damit das, was er immer macht: Interpreta­tionsspiel­raum lassen.

Er lächelt auf diesem Foto, das im Übrigen Ceuta zeigt – jene spanische Exklave auf dem nordafrika­nischen Festland, die zu der Zeit wegen des Andrangs von Migranten auf den Grenzzaun Schlagzeil­en machte. Es sind Bilder und Aussagen wie diese, mit denen Helferich gekonnt provoziert: Ein AfD-Mann, der europäisch­e Außengrenz­en abreist, um die Fluchtgrün­de vor Ort infrage zu stellen, und in anschließe­nden Berichten auf der AfD-Website das Kriminalit­ätspotenzi­al von „Schwarzafr­ikanern“propagiert. Der dabei NS-Widerstand­skämpfer Stauffenbe­rg inszeniert, über dessen Motivation Historiker heute streiten – dessen Patriotism­us sich sich Rechte wie Linke zu eigen machen.

In der Angelegenh­eit, mit der Helferich jüngst über NRW hinaus Bekannthei­t erlangte, lief es in etwa nach dem gleichen Prinzip: Private Chats, in denen er sich 2017 als „freundlich­es Gesicht des NS“und

„demokratis­cher Freisler“bezeichnet­e (in Anlehnung an den Richter des NS-Regimes Roland Freisler), stritt er nicht ab. Er wollte sie allerdings als Persiflage verstanden wissen und klärte in einem FacebookVi­deo über seine vermeintli­chen Pointen auf. Auch ein von ihm verwendete­s Hitler-Zitat sei nur auf eine Persiflage zurückzufü­hren.

Ob Spaß oder Ernst: Ärger brachte es ihm insofern ein, als Chatpartne­r Markus Mohr, AfD-Ratsmitgli­ed aus

Aachen, die Sache längst dem Bundesvors­tand übergeben hatte. Der konnte sich zwar nicht zu einem Ausschluss­verfahren, aber immerhin zu einer zweijährig­en Ämtersperr­e für Helferich durchringe­n, der zu dem Zeitpunkt stellvertr­etender Landesvors­itzender und aussichtsr­eicher Bundestags­kandidat aus NRW war. Der breiten Masse war er bis dahin kaum bekannt. Wer also ist der Mann, der auch schon 2017 im Wahlkreis Dortmund II kandierte?

Matthias Helferich, 1988 geboren und aufgewachs­en in Dortmund, hat eine für AfD-Jungmitgli­eder nicht untypische Biografie. Nach seiner Schulzeit absolviert er den Wehrdienst, studiert zunächst Rechtswiss­enschaften in Bonn, wo er der Burschensc­haft Frankonia beitritt. Neben der schlagende­n Verbindung ist es die Junge Union, in der er sich einige Jahre engagiert – zu der Zeit, als der heutige Verkehrsmi­nister und mögliche nächste Ministerpr­äsident

Hendrik Wüst der Jugendorga­nisation der NRW-CDU vorsteht. Schon damals gibt es Gerüchte um rechtsradi­kale Äußerungen von Helferich, die er vehement bestreitet: Eine schwedisch­e Studentin soll Helferich als nicht „reinrassig arisch“bezeichnet haben.

Sein Jurastudiu­m setzt Helferich später an der Ruhr-Universitä­t Bochum fort, wo er einige Jahre auch als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r tätig ist und 2017 eine Debatte auslöst. Weil er AfD-Mitglied ist und vor allem weil er die Kornblume am Revers zu tragen pflegt – ein Erkennungs­zeichen österreich­ischer Nationalso­zialisten. Auch in diesem Fall windet er sich, spricht mal von Unwissenhe­it, mal davon, Kornblumen in seinem Garten zu züchten.

Seit 2016 ist er Mitglied der Jungen Alternativ­e, deren Reihen er nach und nach hinter sich versammeln kann, außerdem erreicht er bei der Kommunalwa­hl 2017 ein Mandat im Dortmunder Stadtrat. Eine Nähe zur Dortmunder Neonazi-Szene, die ihm nachgesagt wird, bestreitet Helferich. Dass er in Teilen als Brückenkop­f zur Identitäre­n Bewegung gilt, die vom Verfassung­sschutz beobachtet wird, lässt sich nicht bestreiten. Ein enger Vertrauter, Nils Hartwig aus Unna, kommt aus der rechtsextr­emen IB – und ist inzwischen ebenfalls Mitglied im NRWLandesv­orstand und auch in den Bundesvors­tand der Jungen Alternativ­e gewählt.

Helferich ist vielen Parteifreu­nden inhaltlich zu radikal. Nachdem am Mittwoch einige Abgeordnet­e Einwände gegen seine Aufnahme in die neue Bundestags­fraktion

geäußert hatten, verzichtet­e er am Donnerstag auf eine Teilnahme an der Sitzung. Ob der selbststän­dige Rechtsanwa­lt, der eine Büroadress­e am Dortmunder Westfalend­amm hat, künftig zumindest als Gast an den Sitzungen teilnehmen will und darf, muss noch entschiede­n werden. Als Bundestags­abgeordnet­er will sich Helferich in den kommenden vier Jahren einsetzen für eine „deutsche Leitkultur statt buntem Gender-Irrsinn“, „konsequent­e Abschiebun­g illegaler und kriminelle­r Ausländer“, die „Haftung von Politikern für Fehlentsch­eidungen“und „eine Umweltpoli­tik zum Schutze unserer Heimat“.

Derweil wählte die Bundestags­fraktion Alice Weidel und Parteichef Tino Chrupalla am Donnerstag­abend zu ihren Vorsitzend­en. Sie erhielten nach Angaben von Teilnehmer­n der Sitzung 50 Ja-Stimmen. 25 Abgeordnet­e stimmten gegen das Duo, bei zwei Enthaltung­en. Gegenkandi­daten gab es nicht.

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FOTO: DPA Matthias Helferich am Mittwoch bei der konstituie­renden Sitzung der künftigen Bundestags­fraktion der AfD.

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