Rheinische Post Krefeld Kempen
Lieferkettenprobleme treiben die Preise
In Deutschland steigt die Inflation weiter – auf über vier Prozent. Hoffnungen auf eine schnelle Trendwende schwinden.
FRANKFURT Wer sich überlegt, ein neues Auto anzuschaffen, muss tiefer in die Tasche greifen. Denn Neuwagen haben sich nach einer Analyse des Duisburger Auto-Experten Ferdinand Dudenhöffer um rund 360 Euro verteuert. Ursache ist die Halbleiter-Knappheit, die dem Automarkt mehr und mehr zusetzt. „Ein knappes Auto-Angebot lässt die Netto-Preise steigen und führt dazu, dass bei konstanten Listenpreisen die Zugeständnisse der Verkäufer kleiner werden“, sagte der Chef des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg.
Der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten in vielen Bereichen der Industrie treibt die Preise zunehmend. So ist im September die Inflation in Deutschland nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden auf 4,1 Prozent geklettert. Das ist der höchste Wert seit fast 30 Jahren. Die Statistiker machen dafür zum einen sogenannte Basiseffekte verantwortlich – etwa die zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer und die niedrigen Energiepreise während der Krise im vergangenen Jahr. Denn die Teuerung bemisst sich an den – in diesem Fall niedrigen – Preisen des jeweiligen Vorjahres. Zum anderen ist der Anstieg auch durch den mangelnden Nachschub in den Lieferketten begründet.
In Autoindustrie und Unterhaltungselektronik fehlen vor allem Halbleiter; auf dem Bau mangelt es an Holz, Stahl und Kunststoffen – die Preise sind entsprechend gestiegen. Doch auch Nahrungsmittel erleben derzeit einen deutlichen Preisanstieg. Dabei spielen die Verwerfungen in Folge der Corona-Pandemie eine zentrale Rolle: Die Nachfrage ist nach den Einschränkungen und Lockdowns hoch, die meisten
Volkswirtschaften befinden sich im Aufschwung. Gleichzeitig aber haben während der Krise viele Firmen und Zulieferer ihre Produktion heruntergeschraubt. Zudem verursachen Kurzarbeit oder Lockdowns in einigen Regionen weiterhin Störungen im Produktionsablauf.
So meldet der Sportartikelhersteller Adidas angesichts steigender Infektionszahlen in Vietnam Störungen seiner Fertigung. Der Konzern erwägt, die Produktion vorübergehend in andere Länder zu verlagern. Auch Konkurrent Nike leidet unter den Corona-Maßnahmen in vietnamesischen Fabriken. Bisherige Erfahrungen hätten gezeigt, dass es mehrere Monate dauern werde, bis die Fertigung wieder das übliche Niveau erreiche, sagte Finanzchef Matt Friend zur Vorlage der Nike-Quartalszahlen. Nach Einschätzung eines Sprechers von Puma ist mittlerweile die gesamte Branche vom Corona-Infektionsgeschehen in Vietnam betroffen. Auch potenzielle Käufer von Apples neuem iPhone 13 müssen sich Medienberichten zufolge auf längere Wartezeiten einstellen.
Zunehmend kommen Zweifel zur Sprache, ob sich die Lage rasch verbessern wird. Das gilt auch für die Chefinnen und Chefs wichtiger Notenbanken. Die hatten bisher darauf gehofft, dass sich die Probleme in den Lieferketten schnell wieder lösen ließen. Die Unsicherheit in den Unternehmen über die Lieferung von Rohstoffen und Materialien sei „eine Bedrohung für das Wachstum“, sagte aber die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, am Mittwoch beim EZB-Zentralbankforum. Es sei unklar, wie lange es diese „Flaschenhälse“noch geben werde, so Lagarde.
Der Chef der US-amerikanischen Notenbank, Jerome Powell, zeigte sich frustriert darüber, dass sich die Lieferkettenprobleme nicht besserten. Das Problem werde sich vermutlich bis ins nächste Jahr hineinziehen – und auch die Inflation länger auf einem höheren Stand halten als gedacht.
Auch jüngste Umfragen des Münchner Ifo-Institutes in der Industrie sprechen erst einmal für eine weitere Verschärfung der Lage. So berichteten mehr als 77 Prozent der Industriefirmen in Deutschland im September über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im August waren es noch knapp 70 Prozent gewesen. „Der Flaschenhals auf der Beschaffungsseite wird immer enger“, kommentierte daher auch der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. Immerhin: Im deutschen Bausektor hat sich die Versorgungslage nach Angaben des Instituts hierzulande wieder ein wenig entspannt.