Rheinische Post Krefeld Kempen
An der Seite der Verbrecher
Die Strafverteidiger Burkhard Benecken und Hans Reinhardt gewähren in einem Podcast Einblicke in ihre spektakulärsten Fälle.
MARL Es gibt einen Fall, der sich für immer in das Gedächtnis des Strafverteidigers Hans Reinhardt gebrannt hat. Die Tat in Duisburg ist vor 20 Jahren als „Pokémon-Mord“bekannt geworden. Reinhardt war damals ein junger Familienvater. Seine drei Kinder waren etwa im Alter des kleinen Sedat. Sedat wurde neun Jahre alt. Sein Mörder Oliver S. hat die Leiche zerstückelt. Passanten entdeckten Teile der Kinderleiche unweit der Wohnung des Täters. Er hatte sie in einem Koffer vor einem Altkleidercontainer abgestellt.
„Es war eines der kaltblütigsten Verbrechen der deutschen Kriminalgeschichte“, sagt Reinhardt, der die Verteidigung des 23-jährigen Täters übernahm. Dessen Motiv: Mordlust. Um zu erfahren, wie es sich anfühlt, ein Kind zu töten, hatte er Sedat mit dem Versprechen in seine Wohnung gelockt, ihm PokémonSammelkarten zu zeigen. Im Prozess wurde nicht nur zur Lynchjustiz gegen Oliver S. aufgerufen, auch Hans Reinhardt bekam viel Zorn zu spüren. „Wir Anwälte wurden angegriffen und mussten unter Polizeischutz aus dem Gerichtsgebäude eskortiert werden“, sagt der 61-Jährige, der seit 30 Jahren als Rechtsanwalt arbeitet.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Burkhard Benecken hat Reinhardt ein Buch geschrieben, das gerade erschienen ist. In „Inside Strafverteidigung“
geben die Anwälte aus Marl einen Einblick in ihre Arbeit als Strafverteidiger im Ruhrgebiet. Der Pokémon-Mord steht beispielhaft für grausame Verbrechen, bei denen Außenstehende fragen: Wie kann man Männer wie Oliver S. verteidigen? Die Anwälte gehen in ihrem Buch auf Fragen wie diese ein.
Sie beschreiben ihre Überzeugung, dass jeder Tatverdächtige eine faire Verteidigung verdient hat. „Advokaten des Bösen“lautet passenderweise der Untertitel des Buchs. Sie äußern Verständnis für Rachegefühle der Gegenseite – und versuchen gleichzeitig, mit Vorurteilen gegen ihren Berufsstand aufzuräumen.
„Es gibt ein grundlegendes Missverständnis“, sagt Benecken: „Verteidigung bedeutet nicht gleichzeitig Rechtfertigung, und Beistehen steht ja auch nicht für Gutheißen.“Verteidigt werde immer ein mutmaßlicher Täter – nicht die Tat. Für den 45-Jährigen gibt es nur zwei Gründe, ein Mandat abzulehnen: „Wenn die Chemie zwischen einem Mandanten und mir nicht stimmt – oder wenn ich persönlich emotional betroffen wäre und daher nicht die nötige Distanz zu dem Fall aufbringen könnte, etwa wenn meine Partnerin auf der Anklagebank säße.“
Im Buch beschreiben die Anwälte, wie sie mit ihren Mandanten agieren, wie sie bei Zeugenbefragungen vorgehen und Strategien entwickeln, um das bestmögliche Ergebnis vor
Gericht zu erreichen. Dazu kann auch gehören, Privatgutachter einzusetzen, etwa um die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen zu prüfen. Begleitend zum Buch haben die beiden die ersten Teile ihres Podcasts „Advokaten des Bösen“veröffentlicht. Sie sind sich bewusst, dass es schon jede Menge True-CrimePodcasts
Burkhard Benecken Rechtsanwalt
gibt. „Das Besondere an unserem Podcast ist, dass wir nicht nur über unsere Fälle sprechen, sondern die Hörer mitnehmen: zum Gericht, ins Gefängnis oder zu Tatorten“, sagt Benecken.
In der zweiten Folge spricht Hans Reinhardt über den SatanistenMord von Witten. Im Juli 2001 ermordete Daniel R. mit seiner Frau Manuela einen Bekannten mit fast 70 Messerstichen – laut eigener Aussage auf „Befehl des Teufels“. Reinhardt übernahm die Verteidigung von Daniel R. und kommt im Podcast auch auf die Rolle der Medien in einem solch außergewöhnlichen Verfahren zu sprechen. „Es war wie im Zoo“, sagt Reinhardt. Auch deshalb, weil der Prozess an jedem Tag Dutzende schaulustige Zuschauer anzog. „Ich dachte, Daniel R. ist ein hoffnungsloser Fall, aber er hat an sich gearbeitet und die Zeit im Gefängnis genutzt“, sagt Reinhardt.
Wenn er sich wieder mal Kritik stellen muss, weil er sich vor Gericht für einen Mörder einsetzt, verweist er auf das Glück, in einem Rechtsstaat leben zu können: „Und darin übernimmt der Verteidiger eine Korrekturfunktion.“Im Schlusswort ihres Buchs schreiben die Anwälte: „Das Bild vom Advokaten des Bösen dreht sich in dem Moment, in dem ein Mensch selbst zum Beschuldigten wird.“
„Es gibt ein grundlegendes Missverständnis: Verteidigung bedeutet nicht gleichzeitig Rechtfertigung“
„Inside Strafverteidigung – Advokaten des Bösen“ist im BeneventoVerlag erschienen und kostet 22 Euro.