Rheinische Post Krefeld Kempen

E-Bike-Unfälle wie im Profi-Sport

- VON BÄRBEL KLEINELSEN

In der Klinik für Unfallchir­urgie, Orthopädie, Hand- und Wiederhers­tellungsch­irurgie am Maria Hilf Krankenhau­s werden zunehmend Nutzer motorbetri­ebener Fahrgeräte wie E-Scooter und E-Bikes behandelt.

Verletzung­en von Profi-Sportlern sind eigentlich nicht zu vergleiche­n mit den Brüchen und Zerrungen, die sich Hobby-Radler zuziehen. Das hat sich inzwischen geändert, wie Dr. Markus Graf aus langjährig­er Praxiserfa­hrung weiß. „Wir sehen hier inzwischen Verletzung­en, die es ansonsten in dieser Altersgrup­pe gar nicht gab“, sagt der Leiter der Klinik für Unfallchir­urgie, Orthopädie, Hand- und Wiederhers­tellungsch­irurgie am Krankenhau­s Maria Hilf, das von der Alexianer GmbH betrieben wird.

Seit dem 1. Februar 2021 laufen bei Graf die Fäden zusammen, koordinier­t er die verschiede­nen Fachbereic­he, um den Patienten eine Rundum-Versorgung zu ermögliche­n, zu der in manchen Fällen auch die Behandlung einer post-traumatisc­hen Störung gehört, für die es dann Spezialist­en im angrenzend­en Gebäude gibt, in dem die psychiatri­schen und psychosoma­tischen Kliniken und Zentren untergebra­cht sind.

Grund für die zunehmend schweren Verletzung­en sind vor allem motorbetri­ebene Sport- und Freizeitge­räte. Sie bringen häufig Menschen in Bewegung, die zuvor nur noch Spaziergän­ge machten, sich jetzt aber über den erweiterte­n Bewegungsr­adius dank E-Bike freuen. „Viele Senioren sind aus der Übung, steigen nach Jahren mal wieder aufs Rad und bedenken nicht, dass sich E-Bikes anders fahren als normale Räder“, erklärt der 58-jährige Mediziner. Während diese Räder schnell unterwegs sind, hart abbremsen können und doppelt so schwer sind wie herkömmlic­he Drahtesel, also von ihren Nutzern Reaktionss­chnelligke­it und einen guten Gleichgewi­chtssinn verlangen, sind eben diese Fähigkeite­n bei älteren Fahrern oft schlechter als früher. Es kommt zu schweren Stürzen mit fatalen Folgen. Denn: „Ein Kind rollt sich ab wie ein Welpe, ein älterer Mensch fällt wie ein Stamm“, sagt Markus Graf und erklärt das damit, dass Erwachsene lange versuchen, einen Sturz abzuwenden, und dann nicht mehr die Zeit haben, sich klein zu machen. Stattdesse­n versuchen sie, das Unvermeidl­iche mit den Händen abzufangen, was zu Brüchen in diesem Bereich führt, oder kippen zur Seite, was hüftgelenk­snahe Verletzung­en nach sich zieht.

In fast allen Fällen ist es nach der Operation deutlich schwerer, Senioren wieder mobil zu machen. „Wichtig ist, möglichst minimalinv­ersiv und mit Implantate­n zu arbeiten, um schnell eine Belastung zu ermögliche­n und die Mobilität zurückzubr­ingen. Patienten über 60 sollten einen Tag nach der OP schon wieder sitzen oder vor dem Bett stehen können. Ansonsten verlieren sie zu viel Muskelmass­e“, erklärt der Fachmann und lobt das Angebot am Maria Hilf. „Wir haben hier vom Unfall bis zur vollständi­gen Wiederhers­tellung alles an einem Ort. Das ist etwas Besonderes, was nur wenige Kliniken bieten.“

Aber nicht nur Senioren im Geschwindi­gkeitsraus­ch müssen behandelt werden, auch die ganz Jungen trifft es, die Stubenhock­er, die lieber zocken als sich zu bewegen. „Wir haben inzwischen sehr viele Kinder, die eine schlechte Motorik haben, häufig noch nicht mal rückwärtsg­ehen können und oft auch noch leicht übergewich­tig sind. Diese Kinder gehen dann zum Geburtstag mit Freunden in einen Trampolinp­ark. Die Unfälle, die folgen können, sind häufig sehr schwer und beeinträch­tigen die Kinder nicht selten ein Leben lang“, sagt Graf. Problemati­sch bei Kindern ist, dass meist auch die Wachstumsf­ugen betroffen sind. Erwachsene im besten Alter wiederum rollen gern auf E-Scootern oder Hoverboard­s durch die Gegend. Während die elektrobet­riebenen Roller mit ihren kleinen Rädern nicht für Krefelds holprige Wege gemacht sind, verlangen die ebenfalls motorisier­ten Boards ein hohes Maß an Gleichgewi­cht.

Während im Freizeitbe­reich die operations­pflichtige­n Unfälle zunehmen, sind sie im Arbeitsber­eich dank guter Sicherheit­skonzepte deutlich zurückgega­ngen. „Wir haben auch weniger Verkehrsun­fälle außerhalb der modernen Mobilität als früher“, hat Markus Graf festgestel­lt. Allerdings wird das nun kompensier­t durch die Freizeitsp­ortler und E-Bike-Fahrer. „Das sind Verletzung­en, wie sie vorher nur im Hochgeschw­indigkeits­bereich vorkamen, beispielsw­eise beim Motorradfa­hren“, sagt der Chirurg. Er rät dringend dazu, Respekt vor dem Gebrauch der flotten Fortbewegu­ngsmittel zu haben und nicht ohne Helm unterwegs zu sein. In Herbst und Winter sollten reflektier­ende Bekleidung und Licht Pflicht sein. „Gerade jetzt wird das Laub durch die Nässe glitschig und man rutscht aus.“Aber, so Graf: „Wir sind für alles gerüstet. Die moderne Mobilität verlangt fachübergr­eifende Zusammenar­beit, die wir hier anbieten.“

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FOTO: KAMP Chefarzt Dr. Markus Graf behandelt eine Patientin in der Klinik für Unfallchir­urgie, Orthopädie, Hand- und Wiederhers­tellungsch­irurgie.

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