Rheinische Post Krefeld Kempen
„Viele Darmkrebs-Fälle wären vermeidbar“
Das Bauchzentrum am Hospital zum Heiligen Geist ist für die Darmkrebs-Behandlung ausgezeichnet worden.
KEMPEN Dickdarmkrebs ist die zweithäufigste Krebsart bei Männern und Frauen. Bundesweit gibt es jährlich rund 32.000 Neuerkrankungen bei Männern, rund 26.000 bei Frauen. Wird der Tumor rechtzeitig entdeckt und entfernt, sind die Heilungschancen gut. Warum Vorsorge so wichtig ist, was bei der Operation passiert und wie die weitere Therapie aussieht, erklärt Dr. Sven Hansen, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Hospital zum Heiligen Geist in Kempen.
Im AOK-Gesundheitsreport für
2020 hieß es, dass nur 11,4 Prozent der Menschen im Kreis Viersen zur Darmspiegelung gehen. Zur Vorsorge beim Zahnarzt gehen hingegen mehr als 50 Prozent. Warum scheuen so viele die Darmspiegelung? SVEN HANSEN Der Darm ist ein TabuBereich. Und die Vorstellung, dass jemand einen Fremdkörper in einen Körperbereich schiebt, ist vielen Menschen zuwider. Viele haben auch Angst, dass die Darmspiegelung weh tut. Muss sie aber nicht. Jeder Endoskopiker bietet dem Patienten ein Beruhigungsmittel an, dann bekommt man von der Darmspiegelung gar nichts mit. Manche Patienten sagen, das Schlimmste an der Darmspiegelung sei das Abführen. Auch das ist meistens halb so wild. Man muss den Darm vorher vom Stuhlgang reinigen, damit der Endoskopiker die Schleimhaut zuverlässig begutachten kann.
Sie raten also dazu, die VorsorgeAngebote anzunehmen?
HANSEN Unbedingt. Für Männer wird die Darmspiegelung ab 50 Jahren empfohlen, für Frauen ab 55. Das liegt daran, dass die meisten Darmkrebserkrankungen eher im Alter zu erwarten sind, bei Frauen statistisch betrachtet später als bei Männern. Durch die Werbung in den Medien hat die Zahl der Darmspiegelungen in den vergangenen zehn Jahren zwar zugenommen, aber sie könnte höher sein. Man muss ja bedenken, dass Darmkrebs eine Erkrankung ist, die durch Vorsorge vermeidbar ist. Das ist bei vielen anderen Tumorerkrankungen leider nicht so erfolgreich möglich. Bei Darmkrebs können Sie durch die Vorsorge dafür sorgen, dass erst gar kein Tumor entsteht. Jährlich sterben deutschlandweit immer noch 25.000 Menschen an Darmkrebs. Viele Fälle wären vermeidbar, wenn mehr Menschen rechtzeitig zur Vorsorge gehen würden.
Wie funktioniert diese Vorsorge? HANSEN Der typische Darmkrebs entsteht im Laufe der Jahre aus gutartigen Polypen oder sogenannten Adenomen. Nicht aus jedem Polypen entwickelt sich Krebs. Wenn ein bösartiger Tumor entsteht, so dauert die Entwicklung Jahre. Diese Polypen lassen sich bei einer Darmspiegelung rechtzeitig entdecken und entfernen, das Gewebe wird dann untersucht. Anhand des Befundes können wir sehen, ob es noch gutartig ist oder ob es schon bösartige Veränderungen gibt. Es gibt auch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa sowie genetische Bedingungen, die zu Tumoren führen können. Wenn beispielsweise erste Angehörige mit unter 50 Jahren an Darmkrebs erkrankt sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher, ebenfalls an Darmkrebs zu erkranken, wobei der Tumor dann auch schneller wächst.
Wenn der histologische Befund nun auf eine bösartige Veränderung hinweist, was machen Sie dann? HANSEN Wir müssen zunächst das Ausmaß des Tumorleidens feststellen. Hat der Tumor gestreut? Wie sieht die Umgebung aus? Sind Leber oder Lunge betroffen? Weitere Untersuchungen folgen, etwa Blutbilduntersuchung, Röntgen, Computertomographie, Kernspintomographie, das können wir jederzeit machen, auch nachts. Die Darmkrebsbehandlung
erfolgt in Kempen nach den aktuellen Darmkrebs-Leitlinien sowie den Empfehlungen der Deutschen Krebsgesellschaft. Um eine optimale Versorgungsqualität zu gewährleisten, lassen wir alle Behandlungen über das Westdeutsche Darmkrebs-Centrum prüfen. In den vergangenen sieben Jahren sind wir immer als „sehr gut“ausgezeichnet worden. Dazu gehört beispielsweise auch, bei der Operation nicht nur ein bestimmtes Ausmaß des erkrankten Darms, sondern auch eine Mindestanzahl an Lymphknoten zu entfernen. Mindestens zwölf müssen es sein, wir entfernen mehr als diese Mindestanzahl.
Warum ist das so wichtig?
HANSEN In Studien hat sich gezeigt, dass man mindestens zwölf Lymphknoten braucht, um das tatsächliche Tumorstadium zu bestimmen. Hätten Sie nur sechs entfernt, würden diese prüfen und feststellen, dass sie nicht befallen sind, könnten Sie glauben, dass der Krebs nicht gestreut hat. Es kann aber sein, dass andere Knoten befallen sind. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine hohe Lymphknoten-Ausbeute haben. Nur dann können wir eine Aussage dazu treffen, in welchem Stadium sich die Krebserkrankung befindet.
An der Operation kommt man also nicht vorbei, oder?
HANSEN Die Operation ist die klassische Behandlung bei Darmkrebs.
In den meisten Fällen befindet sich der Tumor im Dickdarm, in seltenen Fällen ist der Dünndarm betroffen. Handelt es sich um Enddarmkrebs – das sind die letzten 16 Zentimeter des Dickdarms vor dem Darmausgang –, werden manchmal vor der OP Bestrahlung und Chemotherapie nötig. Auch wenn der Tumor dabei komplett einschmilzt, was vorkommt, muss man trotzdem operieren, denn hierdurch kann eher gewährleistet werden, dass er nicht mehr wieder kommt. Und man muss wissen, ob Lymphknoten befallen sind. Je nach Stadium der Krebserkrankung ist nach der OP dann noch eine Chemotherapie erforderlich. Viele Patienten haben Angst davor, denken, dass ihnen die Haare ausfallen und sie den ganzen Tag im Bett liegen und ihnen übel ist. Das muss heute aber nicht mehr so sein. Die Chemotherapie beim Darmkrebs ist im Allgemeinen gut verträglich und wenig beeinträchtigend. Sie kann normalerweise gut ambulant durchgeführt werden. Die allgemeine Entwicklung geht immer mehr dahin, dass jeder Patient eine individuelle Chemotherapie bekommt.
Was machen Sie konkret bei der OP?
HANSEN Der Darmtumor wird mit dem nötigen Sicherheitsabstand zum gesunden Gewebe entfernt. Das gelingt uns fast immer minimal-invasiv, also durch „Schlüssellochtechnik“mithilfe modernster
Technik. Davon profitiert der Patient, er ist viel schneller wieder auf den Beinen, als wenn er einen langen Bauchschnitt bekäme. Für die Tumorentfernung brauchen wir einen ,Bergeschnitt', da machen wir einen vier bis fünf Zentimeter langen Querschnitt über der Blase. Das reicht in der Regel, um den Tumor herauszuholen. Zum Schluss werden die Darmenden wieder miteinander vernäht. Hierzu verwenden wir moderne, zuverlässige Klammernahtgeräte.
Moment, dann habe ich TackerNadeln im Körper?
HANSEN Ja, die sind aus Titan und wirklich winzig klein. Die schaden nicht, sie können im Körper bleiben. Und nein, die sorgen auch nicht dafür, dass es am Flughafen bei der Kontrolle piepst. Danach fragen mich Patienten nämlich öfter.
Wie lange liegt man nach einer Darmkrebs-OP im Krankenhaus? HANSEN Der Heilungsprozess dauert etwa eine Woche, danach können viele Leute wieder nach Hause. In meiner chirurgischen Jugendzeit war das anders, da lag man vier bis fünf Wochen im Krankenhaus und durfte lange Zeit nichts Festes essen. Heute werden die Patienten bei uns in wenigen Tagen wieder zur Vollkost geführt. Die gefürchtetste Komplikation ist der Nahtbruch der Darmnaht. Sie ist bei uns sehr selten und erfordert durch ein spezielles Management auch nur selten eine erneute OP.
In welchen Fällen legen Sie bei einer Darmkrebs-OP einen künstlichen Ausgang?
HANSEN Wenn der Krebs im Schließmuskelbereich ist, müssen wir den Schließmuskel opfern. Und der Schließmuskel ist nicht zu ersetzen. Deshalb legen wir in solchen Fällen einen künstlichen Ausgang in den linken Unterbauch, der dann für immer dort bleibt. Die erste Reaktion von Patienten, die davon hören, ist oft: „Dann lasse ich mich nicht operieren.' Aber wir helfen natürlich den Patienten, mit dieser besonderen Situation klarzukommen: Zusammen mit Stoma-Therapeuten, Ernährungsberatern, Psychoonkologen gelingt es meist, zu einer neuen Normalität zu finden. Hilfreich ist auch die Ilco-Selbsthilfegruppe, eine deutschlandweite Stomaträgervereinigung. Die Ortsgruppe in Nettetal ist unser Ansprechpartner, die Leute dort sind sehr nett. Es hilft, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und von ihnen Tipps zu bekommen. Dann gibt es den Fall, dass wir einen künstlichen Ausgang anlegen, weil die empfindliche neue Darmnaht geschützt werden muss. Hierzu wird ein Stück Dünndarm vorgelagert, damit der Stuhlgang den Körper vor der Darmnaht verlässt. Diesen Ausgang kann man mit einer kleinen OP nach acht bis zwölf Wochen zurückverlegen, wenn die Darmnaht verheilt ist.
Wie stehen die Chancen, dass der Krebs nach einer Darm-OP zurückkehrt?
HANSEN Es gibt Krebsarten, bei denen die Aussichten eher schlecht sind, etwa beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, beim Gallenblasenkrebs. Beim Darmkrebs sind die Aussichten deutlich besser: Entfernen wir den Tumor in einem frühen Stadium, liegen die Heilungschancen bei 80 bis 90 Prozent. Wichtig ist eine turnusmäßige Nachsorgeuntersuchung über fünf Jahre, wie sie in den Leitlinien empfohlen wird. Danach ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie den Krebs dauerhaft überlebt haben. Trotzdem sollten Sie weiter zur Kontrolle gehen. Deshalb nochmal mein Appell: Gehen Sie zur Darmspiegelung!