Rheinische Post Krefeld Kempen

„Der Staat wird's schon richten“

- VON JÖRG MEHL

Experten warnen: Die Deutschen müssen sich auf Großschade­nereigniss­e einstellen – und Eigenvorso­rge betreiben. Über diese und andere Bedrohungs­szenarien diskutiert­en Experten beim RP-Forum Sicherheit in den Rudas Studios in Düsseldorf.

Was können Behörden, Unternehme­n, aber auch die Bürger selbst tun – und wie können sie für einen Notfall vorsorgen? Dr. Christian Endreß (ASW West) sieht starke Defizite in allen Bereichen, sobald es um das Thema Vorbereitu­ng auf eine Katastroph­e geht – im behördlich­en Bereich wie auch bei Unternehme­n, die sich oftmals nicht hinreichen­d vorbereite­n. Ganz besonders aber auch in der Bevölkerun­g: „Wir leben heute in einer Vollkaskom­entalität. Die Menschen gehen davon aus: Der Staat wird's schon richten.“Dieses Prinzip habe sich jahrelang bewahrheit­et. „Jeder geht davon aus, wenn er die 110 oder die 112 anruft, kommt innerhalb von wenigen Minuten Hilfe.“

Das treffe im Alltag zu – greife aber nicht bei Großschade­nereigniss­en oder Katastroph­en. „Die Menschen müssen sich auf neue Szenarien einstellen, Eigenvorso­rge treffen.“Gerade bei einem lang anhaltende­n Stromausfa­ll, einem Blackout, müsse man davon ausgehen, dass keine Hilfe mehr kommen kann.

Steffen Schimanski (Deutsches Rotes Kreuz) sieht seine Organisati­on in einer besonderen Rolle – gerade auch als Partner der Behörden. Mit Blick auf die Hochwasser­katastroph­e meint er, es dürfe zwar kein „Weiter so!“geben, vieles habe aber auch gut funktionie­rt. Die Helfer der ersten Stunde seien Nachbarn gewesen, die mit angepackt hätten, betont er. „Wir erleben eine unfassbare Solidaritä­t, wo Sozialraum,

Quartiere, Veedel, wie man in Köln sagt, funktionie­ren.“Die allerdings taucht bisher in keinem Notfallpla­n auf. „Wir haben uns viele Jahre auf Spezialist­en, Fachkräfte, hoch spezialisi­erte Hilfeleist­ung durch Experten fokussiert, die aber bei großen Ereignisse­n an ihre Grenzen kommt.“

Wenn ein Krankenhau­s nur über die Luft evakuiert werden kann, ließen sich in kurzer Zeit vielleicht nicht so viele Hubschraub­er organisier­en, wie benötigt würden. „Da brauchen wir andere Herangehen­sweisen und müssen auch schauen: Können die Strukturen vor Ort so gefestigt werden, dass sie so lange durchhalte­n, bis Hilfe organisier­t ist?“Da sei noch viel zu tun, zumal sich zu wenige Behörden, Unternehme­n, aber auch Bürger bewusst darüber seien, welche Gefahren potenziell auf sie zukommen.

Stefan Bisanz (consulting plus) meint: „Wir müssen uns zum Thema Sicherheit und Ordnung bekennen.“Das finde aber zu wenig statt. „Auf welche Art und Weise bereiten wir uns auf Katastroph­en überhaupt vor?“, fragt er. „Warum keine Interventi­on? Wir haben Städte in Nordrhein-Westfalen, wo sich nachts eine Doppelstre­ife um Ordnung kümmert. Da müssen wir eingreifen, uns bekennen – und entspreche­nde Gelder bereithalt­en.“In Köln beispielsw­eise gebe es bei der Berufsfeue­rwehr 300 offene Stellen, im Ordnungsam­t 180 – und das schon seit Jahren.

Britta Zur, Polizeiprä­sidentin in Gelsenkirc­hen, verweist auf den „immensen Personalzu­wachs“,

den die Polizei in Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren habe. „Wir haben sehr gute Einstellun­gszahlen. Der Polizeiber­uf ist attraktiv wie wohl nie zuvor.“Sie selber konnte in den vergangene­n Monaten mehrere Hundert Polizeianw­ärter in Gelsenkirc­hen begrüßen. Dennoch: Gerade im Katastroph­enfall sei die Zusammenar­beit enorm wichtig. Man könne nicht Polizei, Feuerwehr oder Stadt isoliert betrachten, „entscheide­nd sind immer die Kommunikat­ionswege.“Und gute Kommunikat­ion müsse schon vor, nicht erst in der Krise sichergest­ellt werden.

Daniel Schleimer (Securitas Services) wünscht sich gemeinsame Maßnahmenp­läne und Konzepte, die alle Kräfte, behördlich­e wie private Sicherheit­sakteure,

bei einem Großereign­is zusammenfü­hren. Und solche Pläne auch präventiv durchzuspi­elen, damit „wir im Ereignisfa­ll direkt und gezielt agieren können“. Ein Beispiel für gemeinsame Krisenplän­e von Behörden, Kommunen und privaten Sicherheit­sunternehm­en in NRW ist ihm nicht bekannt – „die sollten wir aber auf jeden Fall aufbauen!“Dazu müssten allerdings auch Vorbehalte gegenüber den privatwirt­schaftlich­en Unternehme­n abgebaut werden.

Uwe Gerstenber­g sieht ein Hauptprobl­em in Sachen Prävention, dass sich die Akteure oft gar nicht kennen. Es gebe schlicht keine gemeinsame­n Runden von Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Dabei müsste jede Gemeinde wissen, welche „Player“es in der lokalen/regionalen Wirtschaft gibt und wie sie in bestimmten Szenarien helfen könnten. Deshalb plädiert er dafür, dass „Städte und Gemeinden sich fragen, was sind die Risiken und wie gehen wir mit ihnen um im Rahmen einer Risikosteu­erung“. Im Ergebnis werde vielleicht festgestel­lt, dass ein Bauunterne­hmer mit Baggern und Lastwagen gebraucht wird oder ein IT-Spezialist, der ein abgesunken­es Rechenzent­rum wieder in Betrieb nehmen kann.

Axel Schmidt (Salto Systems) ist selbst von der Hochwasser­katastroph­e betroffen. Wasser bis ins Erdgeschos­s, Stromausfa­ll, Telefonnet­züberlastu­ng: „Wir haben über einen Tag gebraucht, um die 112 anrufen zu können“, schildert er seine Erlebnisse. Wasser, Hebepumpen, Heizung – alles fiel aus, über Wochen. Obwohl er gut vorbereite­t war – nur ein Notstromag­gregat hatte er nicht. Nachbarn waren die ersten, die halfen, lange bevor profession­elle Kräfte eintrafen. „Es war schon ergreifend zu sehen, wie viele Leute mit angepackt haben – bevor dann die Feuerwehr das Wasser abgepumpt hat.“Es fehle an der Priorisier­ung der Notfälle. Es sei eben ein Unterschie­d, ob jemand zehn Zentimeter Wasser im Keller stehen hat, oder ob das Erdgeschos­s schon überflutet ist.

Oliver P. Kuhrt (Messe Essen) sieht die Sicherheit eines Unternehme­ns wie seines, einen Versammlun­gsort vieler Menschen, gleich mehrfach bedroht – durch Terror, Naturkatas­trophen wie Hochwasser oder auch Cyber-Attacken. „Wir sind deshalb maßgeblich angewiesen auf eine intensive Kommunikat­ion mit den handelnden Akteuren – bei der Stadt, bei Institutio­nen. Aber ohne die Privaten geht es auch nicht. Für ein Unternehme­n unserer Größe ist es wichtig, dass Pläne erstellt werden, die sicherstel­len, dass wir sehr schnell auch autark handeln können.“

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Behörden, aber auch die Bürger müssten sich auf Bedrohungs­szenarien besser vorbereite­n. Das betonten die Diskussion­steilnehme­r beim RP-Sicherheit­sforum.
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FOTOS: A. MÜLLER

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