Rheinische Post Krefeld Kempen
Rede einer „Bürgerin aus dem Osten“
Es war vielleicht die letzte „große Rede“als amtierende Bundeskanzlerin, die Angela Merkel beim Festakt der Deutschen Einheit in Halle gehalten hat. Doch waren es nicht die staatstragenden Worte zur Einheit und dem verletzlichen Gut der Demokratie, die darin bemerkenswert waren, sondern zwei Momente, in denen sie persönlich wurde und als „Bürgerin aus dem Osten“sprach.
Es ging in dieser Passage um Respekt. Als Beispiel für mangelnde Anerkennung griff Merkel zurück auf die eigene Biografie: In einem Buchbeitrag war ihre ostdeutsche Herkunft als „Ballast“bezeichnet worden, in einem Zeitungsartikel hieß es, sie sei eben keine „geborene, sondern angelernte Bundesdeutsche und Europäerin“. Merkel zitierte das mit der sarkastischen Anmerkung, der Duden definiere Ballast als „unnütze Last“. Was ihr selbst widerfuhr, wollte sie als Beleg dafür verstanden wissen, dass DDR-Lebensgeschichten im vereinigten Deutschland kaum wertgeschätzt werden. Dass Erfahrungen in einem repressiven Staat vielmehr unausgesprochen als Makel angesehen werden. Merkel betonte, dass sie das moniere als „eine von 16 Millionen Menschen, die in der DDR gelebt haben und solche Bewertungen immer wieder erfahren“. Da sprach schon die Frau, die das Ende ihrer politischen Karriere vor sich sieht – und persönlich werden darf. Und bei der Frage, warum Ost und West noch immer so vieles trennt, beim Respekt landet.
Bezeichnenderweise stellte Merkel damit genau jenes Thema ins Zentrum ihrer potenziellen Abschiedsrede, das ausgerechnet der SPD zum Wahlsieg verholfen hat. Wie ein Mantra hat SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz das Schlüsselwort Respekt im Wahlkampf wiederholt. Merkels Rede zur Einheit hat einmal mehr gezeigt, warum es Scholz gelingen konnte, sich als eigentlicher Erbe der Kanzlerin zu inszenieren.
BERICHT MERKEL VERURTEILT ATTACKEN . . ., POLITIK